Zitronen im Saftladen

(10.05.2019) Highlights aus 25 Jahren Laborjournal: Heute Siegfried Bärs erste "Laborspitze" aus dem Jahr 1994. Ob das mit der Habilitation heute so viel besser läuft?
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Editorial

Über siebzig Prozent der Nobelpreisträger haben ihre entscheidenden Entdeckungen in jungen Jahren gemacht. Doch die meisten Assistenten unserer Unis werden noch mit Vierzig die Süppchen ihrer Professoren kochen müssen. In einem Alter dazu, in dem sie keine berufliche Alternative mehr haben.

Wäre es nicht besser, dem Nachwuchs schon mit Dreißig eine Chance zu geben? Mit Dreißig macht man leichter den Taxiführerschein als mit Vierzig. Fragen Sie einen der Vierziger – es sind die mit den hängenden Schultern, den sauren Reden, den gelblichen Gesichtern –, warum er noch keinen eigenen Laden hat. Er wird antworten: Ich habilitiere!

„Habilitation, what is that?" fragte mich ein amerikanischer Professor.

Erfunden wurde die Habilitation 1816, bei der Gründung der Universität Berlin. Der Doktortitel, der seit dem Mittelalter zum Lehren berechtigte, war damals so heruntergekommen, dass man in der Not noch einen akademischen Grad kreierte: die Habilitation. Es galt, Dr. Hinz und Dr. Kunz daran zu hindern, als Privatdozenten Hörergelder zu kassieren. Die Berliner Professoren wollten nur solche in den Lehrkörper aufnehmen, die ihrem Niveau entsprachen.

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Ein Instrument der Kooptation, der Selbstergänzung, war die Habilitation also – und sie ist es geblieben bis heute. Kooptation ist gut, wenn das Niveau der Kooptierenden gut ist und diese nur auf die wissenschaftlichen Fähigkeiten achten. Doch über die Generationen sinkt das Niveau – denn wer kooptiert schon einen, der besser ist als er selbst? Zudem wurde schon in Berlin vermutlich nicht nur auf die Wissenschaft geachtet. Um es nett zu sagen: Kooptiert werden nicht die Besten, sondern diejenigen, die am besten zu einem passen.

Wozu ist die Habilitation heute noch gut? Hörergelder sind abgeschafft, und die wissenschaftliche Qualifikation eines Kandidaten bescheinigen seine „Paper". Wozu Umständlichkeiten, die sich über Jahre hinziehen? Oder will jemand ernsthaft behaupten, im Habilitationsverfahren würde auf Lehrfähigkeit oder wissenschaftliche Begabung geprüft?

Ähnelt die Habilitation nicht vielmehr verzweifelt dem Hebel einer Zitronenpresse? Womit der Professor aus dem Assistenten rauszuholen versucht, was rauszuholen ist. Oder sollte es Zufall sein, dass das Durchschnittsalter der Habilitanden (39,5 Jahre) jenseits des Alters liegt, in dem die Leistungsfähigkeit des Menschen gipfelt?

Das Schlimmste aber ist: Wer glaubt ausgenutzt zu werden, entwickelt wenig Ehrgeiz und Phantasie. Er vertrocknet innerlich, so dass kaum noch was zum Ausquetschen bleibt. Das ist bei Habilitanden genau so wie bei Zitronen.


(Bereits ab unserem zweiten Heft 02/1994 schoss Bestseller-Autor Siegfried Bär ("Forschen auf Deutsch") regelmäßig seine Laborspitzen auf den Wissenschaftsbetrieb ab. In unserem Rückblick zum Jubiläum "25 Jahre Laborjournal" werden wir sicher noch die eine oder andere weitere, besonders scharfe Folge als "Highlight" präsentieren.)