Intelligente Wege aus dem Daten-Dilemma

(11.04.2019) Mit der Hilfe von komplexen Such- und Sortieralgorithmen strukturiert das Esch­borner Start-up Innoplexus explodierende Datenozeane.
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Editorial

Laborjournal fragt: Warum heißt Ihre Firma Innoplexus? Wirtschaftswissenschaftler und Firmen-Co-Chef Gunjan Bhardwaj antwortet.

Herr Bhardwaj, ‚Plexus‘ stammt aus dem Lateinischen und bedeutet ‚Geflecht‘, ein Netzwerk von Nerven oder Blutgefäßen. Warum ist Ihre Firma ein innovatives Netzwerk?

Gunjan Bhardwaj: ‚Plexus‘ ist, wie Sie sagen, ein Netzwerk, in unserem Fall ein Netzwerk von Daten und semantischen Assoziationen. Wir stehen für innovative Ansätze auf Basis dieser Netzwerke. Deswegen heißt die Firma Innoplexus, also Innovation durch KI, Künstliche Intelligenz.

Innoplexus gibt es noch nicht sehr lange. Was haben Sie vorher gemacht?

Bhardwaj: Ich komme ursprünglich aus Indien, habe am Indian Institute of Technology in Mumbai ein wirtschaftliches Studium absol­viert. Über ein DAAD-Stipendium bin ich nach Deutschland gekommen und habe meine Doktorarbeit an der European Business School in Oestrich-Winkel bei Wiesbaden geschrieben. Danach habe ich bei Ernst & Young sowie Boston Consulting Group gearbeitet. Mit meinem Kumpel aus Bachelor-Studien-Zeiten, Gaurav Tripathi, habe ich dann zwischen 2011 und 2015 an einer neuen Idee getüftelt. Daraus ist Ende 2015 die Innoplexus AG in Deutschland entstanden. Heute haben wir mehr als 300 Mitarbeiter in Frankfurt wie auch in Hoboken, USA, und Pune, Indien.

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Innoplexus-CEO Gunjan Bhardwaj, Credit: Innoplexus

Wie kam es zum Wandel vom Unternehmensberater zum Unternehmenschef?

Bhardwaj: Mein erster Chef bei Ernst & Young war auch mein Mentor und ein sehr guter Freund. Wir beide sind Workaholics. Nicht im negativen Sinn, Fleiß ist wichtig. Immer wenn er nach Hause gefahren ist, hat er mich angerufen, um Updates zu erhalten. Eines Tages aber rief er an und sagte, dass bei ihm Krebs diagnostiziert wurde. Die folgende Zeit, auch während seiner Chemotherapie, war sehr emotional. Ich habe die Familie gesehen und deren Hilflosigkeit. Ich habe mir drei Fragen gestellt. Erstens: Warum glauben wir alles, was ein Chefarzt sagt? Gibt es alterna­tive Therapien? Nummer zwei: Woher kann man als Patient diese alternativen Therapien bekom­men, welche Studienzentren in Europa gibt es? Und drittens: Welche Key Opinion Leader für eine bestimmte Krebsart gibt es in Europa, bei denen man sich eine zweite Meinung holen kann?

Ich habe versucht, das alles über Google herauszufinden. Wir haben Bücher gekauft, er hat gelesen, ich habe gelesen. Ich habe bei der Deutschen Krebsgesellschaft nachgefragt: Gib es eine Möglichkeit, alles, was da draußen an Informationen ist, zu sortieren, um Antworten auf meine Fragen zu bekom­men? Und das sind wirklich kritische Fragen, nicht nur für medizini­sche Laien, sondern auch für Ärzte, Biotech- und Pharma-Unternehmen. Warum? Alles im Gesundheitswesen und der Wirkstoff­entwicklung ist datenbasiert. Und die Anzahl der Daten explodiert.

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Was für Daten sind das?

Bhardwaj: Das sind Tausende von wissenschaftlichen Veröffentlichungen, Kongressdaten, klinische Studien, Patente, aber auch Daten, die Patienten über Advocacy Groups in digi­talen Foren veröffentlichen. Aber wie löst man so etwas? Man kann Tausende Analysten in China oder Indien einstellen, die diese Daten manuell zusammenbringen und annotieren. Dann verkauft man die Daten an die Big Pharma. Bei der Menge an Daten, die täglich hinzukommen, ist es wirtschaftlich unmöglich, in Echtzeit alles zu annotieren. Das geht einfach nicht! Als Folge befinden sich Biotech- und Pharma-Firmen im Daten-Blind­flug, nicht nur in Schwellenländern, auch in Deutschland, Frankreich, ganz Europa. Das führt zu einer heftigen Innovationsredundanz für die gesamte Wirkstoffentwicklungs-Branche. Wir haben versucht, einen Weg zu finden, dieses Dilemma mithilfe von zwei Technologien, KI und Blockchain, zu lösen.

Das ist Ihr Geschäftsmodell: Sie spüren vollautomatisch Daten auf und extrahieren relevante Informationen. Wer interessiert sich für derart aufbereitete Datenpakete?

Bhardwaj: Unsere Produkte werden von globalen Pharma-Unternehmen ebenso wie von Auftrags­forschungs­unternehmen und Biotechnologie-Unternehmen genutzt. Abhängig von ihrem Bedarf nutzen sie Daten und KI über drei Wege: Über Ontosight erhalten die Kunden Zugang zu unserem Datenozean. Ontosight ermöglicht umfangreiche Abfragen und Analysen. Zusätzlich können unternehmenseigene Daten integriert, mit unseren proprietären Technologien verbunden und analysiert werden, zum Beispiel für die Optimierung klinischer Forschung. Drittens bieten wir Kunden über die Nutzung kundeneigener Daten­analyse-Teams unsere Technologie als Service an.

Warum sind Big Data und deren Verknüpfung essentiell für die pharmazeutische Industrie und die Arzneimittel­entwicklung? Geht es um Geld, um Zeit, um Personalisierung?

Bhardwaj: Es geht um alles, was Sie gesagt haben [lacht]. Studien zeigen, dass Wissen­schaftler 53% ihrer Zeit mit der Datenrecherche verbringen. Statt Hypothesen A, B und C aufzustellen und über Experimente zu testen, kann man mithilfe von KI eine fast unbe­grenzte Zahl von Hypothesen generieren und validieren lassen. Oder schauen Sie sich Drug Discovery an. Für die Entwicklung neuer Wirkstoffe geben Unternehmen Milliarden aus, und das ganze dauert ungefähr acht bis zehn Jahre. Der größte Prozentsatz an Wirkstoffen funktioniert dann in klinischen Studien nicht so, wie er sollte. Mit KI kann man ein klinisches Protokoll bereits vorher optimieren. Und auch die Spezifität medizinischer Forschung nimmt zu. Vor vier, fünf Jahren war Brustkrebs eine Krebsart. Heute haben wir mehr als zwanzig unterschiedliche Brustkrebsarten, und nicht jedes Medikament funktioniert bei allen. Die Pharmaindustrie positioniert sich mehr und mehr in Richtung Precision Medicine.

Die Fragen stellte Sigrid März

    Steckbrief Innoplexus

  • Gründung: Irgendwo auf dem Weg von 2011 nach 2015
  • Sitz: Eschborn (bei Frankfurt)
  • Mitarbeiter: 300
  • Produkt: KI-basierte Super-Suchmaschine für die Pharmabranche

Sie möchten mehr über Innoplexus und Künstliche Intelligenz erfahren? In der aktuellen Printausgabe (04/2019) spricht Gunjan Bhardwaj mit Laborjournal über maschinelles Lernen, (Unter-)Förderung und Datensilos.