Phagen-Lauschangriff

(19.12.2018) Ein Vibriophage horcht seinen Wirt ab, um im geeigneten Moment zuzuschlagen. US-Forscher konstruierten daraus einen Todesschalter für pathogene Bakterien.
editorial_bild

Editorial

Parasiten, die sich auf Pflanzen oder Tiere spezialisiert haben, luchsen ihren Wirtsor­ganismen Stoffwechselprodukte ab, programmieren die Wirtszellen zu ihrem eigenen Nutzen um und vermehren sich auf fremde Kosten. Wenn es nichts mehr zu holen gibt, töten sie die Wirtsorga­nismen und tun sich an ihren Kadavern gütlich.

Mit ähnlich perfiden Manipulationen tricksen aber auch Phagen Bakterien aus. Man möchte meinen, dass sich nur ein Großhirn eine dazu nötige Strategie ausdenken kann und nicht etwa eine organische Struktur, die nicht einmal den Titel Lebewesen trägt. Aber weit gefehlt – auch Phagen sind erfindungs­reich. Ein erstaunliches Beispiel hierfür ist der Vibriophage VP882. Seine Taktik lautet: Den Wirt abhorchen, um ihn im günstigsten Moment attackieren zu können. Mit dieser Strategie stellt er sicher, dass sein Wirt Vibrio cholerae erst lysiert wird, wenn das Nahrungsangebot und somit das Weiterleben gesichert sind.

Editorial
Merkwürdiges Gen

Auf die erstaunliche Spionage-Tätigkeit von VP882 stießen die US-amerikanische Quorum-Sensing-Spezialistin Bonnie Bassler und ihr Mitarbeiter Justin Silpe von der Princeton University, als sie in ihrem Forschungsobjekt Vibrio cholerae etwas Merkwür­diges fanden: Ein Gen des Bakteriums kommt auch im Genom eines Vibriophagen vor, der je nach Bedingung lysogen oder lytisch auftritt. Wozu braucht ein Phage ein Bakterien-Gen? Die Antwort fand Basslers Team im Quorum Sensing-System von Vibrio cholerae.

V. cholerae nutzt ein Quorum Sensing-System, um sich intern über die eigene Zelldichte zu informieren. Es besteht aus dem Auto-Induktor DPO (3,5-Dimethylpyrazin-2-ol) und dem Rezeptor VqmAvc. Wächst V. cholerae stark, produzieren die Zellen große Mengen des Signalmoleküls DPO, das an VqmAvc bindet. VqmAvc fungiert als zytoplasmatischer Rezeptor und zugleich als Transkriptionsfaktor. Die Aktivierung durch DPO führt zur erhöhten Expression der kleinen RNA VqmR, die Gene für die Biofilmbildung und Virulenzfaktor-Synthese unterdrückt – ist die Zelldichte hoch, läuft die Bildung eines Biofilms auf Hochtouren während die Virulenz zurückgefahren wird.

Editorial
Nur ein virales Homolog

Die Doppelrolle von VqmAvc als Rezeptor und Transkriptionsfaktor fanden Bassler und Silpe interessant genug, um Sequenz-Datenbanken nach Homologen abzugrasen. Unter den über 100.000 Treffern gab es genau ein Homolog viralen Ursprungs, nämlich in dem Myoviridae-Virus VP882. Die Position dieses Gens, das die beiden von gp56 in VqmAphage umtauften, erschien ihnen höchst verdächtig – es liegt zwischen Genen, die für die Vermehrung und Instandhaltung der linearen Phagen-DNA verantwortlich sind.

Um die Funktion von VqmAphage besser zu verstehen, exprimierten Silpe und Bassler das Gen in Vibrio parahaemolyticus, die VP882 als Prophagen enthielten. Die Induktion des fremden Gens mit Arabinose führte prompt zur Lyse der Bakterien.

Wenn das Phagen-Gen VqmAphage einem Rezeptor-Gen des Wirts ähnelt und seine Expression offensichtliche Konsequenzen hat, stellt sich die Frage, ob der Aktivierungs­mechanismus des Wirts nicht auch mit dem Genprodukt von VqmAphage funktioniert. Um diese Frage zu beantworten, ließ das Forscherduo seine Bakterien auf Medium ohne Threonin wachsen, das für die DPO-Biosynthese unerlässlich ist. Als Konsequenz konnten VP882-Prophagen Vibrio cholerae, die VqmAphage exprimierten, nicht mehr lysieren.

Offensichtlich nutzt VP882 also die Quorum Sensing-Komponente DPO des Wirts, um ihn auszuhorchen. Das von den dicht wachsenden Vibrios vermehrt gebildete DPO verrät den Phagen, dass sich die Lyse lohnt. Die freigesetzten Phagen schwärmen aus und finden unmittelbar neue Zellen zur Vermehrung: DPO bindet an VqmAphage, wodurch der Transkriptionsfaktor die Expression seines eigenen Gens sowie des Antiterminator-Gens Q induziert. Q dirigiert das Lyse-Operon: steigt die Konzentration, leitet dies die Lyse der Vibrios ein.

Schalter umgelegt

Mit diversen Genreporter-Experimenten kamen die zwei dem Signalweg des Phagen auf die Schliche und konstruierten schließlich einen Todesschalter (kill switch) für pathogene Bakterien. Den Schalter zum Töten legt das Pathogen selbst um.

Als Demonstrationsobjekt wählten die zwei US-Amerikaner das humane Pathogen Salmonella typhimurium. In diesem Erreger ist InvF ein Transkriptionsaktivator für Pathogenitäts-Gene. Seine Expression wird indirekt über das Gen hilD gesteuert. Als Todesschalter setzte das Forscherduo den invF-Promoter vor das virale Antiterminator-Gen (Q). Das fertig klonierte Konstrukt schleusten sie in S. typhimurium-Zellen ein, die neben VP882 mit defektem Q, ein Plasmid mit einem Tetracyclin-induzierbaren hilD-Gen beherbergten. Die Zugabe von Tetracyclin löste eine tödliche Expressions-Lawine von HilD, invF sowie Q aus, die schließlich zur Lyse der Zellen führte.

Andrea Pitzschke

Silpe J. et al. (2018): A Host-Produced Quorum-Sensing Autoinducer Controls a Phage Lysis-Lysogeny Decision. Cell, DOI: 10.1016/j.cell.2018.10.059