Kampf ums Eisen

(03.12.2018) Mit einem umstrukturierten menschlichen Protein haben Münchner Forscher dem Milzbrand-Erreger, Bacillus anthracis, ein Schnippchen geschlagen.
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Editorial

Heute vor allem als potenzielle Biowaffe im Gespräch, galt Milzbrand oder Anthrax lange Zeit als Krankheit von Hirten oder Gerbern. Kaum verwunderlich, ist Milzbrand doch als Zoonose mit wenigen Ausnahmen nur vom Tier auf den Menschen übertragbar. Kein Geringerer als Robert Koch stellte 1876 die Verbindung zwischen den stäbchenförmigen Bakterien und der Erkrankung her.

Bacillus anthracis kann in unwirtlicher Umgebung extrem widerstandsfähige Sporen bilden, die jahrzehntelang im Boden überleben können. Befinden sich die Sporen in einer „wirtlicheren“ Umgebung wie Gewebe oder Blut, keimen sie wieder zu Bakterien aus, die sich ausbreiten und Toxine ausschütten können.

Der Eintrittsweg ist entscheidend
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Beim Menschen unterscheidet man je nach Eintrittsstelle in Hautmilzbrand, Darmmilz­brand, Lungenmilzbrand oder Injektionsmilzbrand. Letzterer tritt vor allem bei Drogenab­hängigen auf, ausgelöst durch kontaminierte Spritzen. Lebensgefährlich sind vor allem Darm- und Lungen­milzbrand.

Der Darmmilzbrand entsteht durch Aufnahme der Bakterien in der Nahrung, beispielsweise beim Verzehr von kontaminiertem Fleisch. Beim Lungen­milzbrand werden Sporen einge­atmet und in die Lungenbläschen aufgenommen. Hier gelangen sie über Phagozytose in die Lymphknoten und keimen dort zu Bakterien aus, die sich wiederum im ganzen Körper verteilen und eine Sepsis auslösen können. Meist leiden die Patienten zunächst an grippe­ähnlichen Symptomen, die je nach Eintrittspforte über­gehen in blutige Diarrhoen und Erbrechen oder eine Lungenent­zündung mit Lungen­blutungen. An Darm- und Lungen­milzbrand sterben auch heute noch über die Hälfte der Erkrankten – unbehandelt führt der Lungen­milzbrand so gut wie immer zum Tod.

Gefährliche Biowaffe
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In Industrieländern ist Milzbrand so gut wie ausgelöscht – dennoch ist er alles andere als vergessen. Grund dafür ist, dass sich Bacillus anthracis durch seine widerstandsfähigen und leicht zu verbreitenden Sporen gut als biologische Waffe eignet. Für verschiedene Länder war Anthrax deshalb Teil des Biowaffenprogramms. Im 2. Weltkrieg forschten die Engländer auf der Insel Gruinard an Milzbrand, was die Insel bis in die 90er Jahre unbewohnbar machte.

Eigentlich verbietet die internationale Biowaffenkonvention seit Anfang der 70er Jahren jegliche Forschung an Milzbrand. 2001 erregte Bacillus anthracis dennoch wieder Auf­merksamkeit, als in den USA Briefe mit Milzbrandsporen an verschiedene Nachrichten­agenturen und Senatoren verschickt wurden. Durch die als Anthrax-Anschläge bekannt gewordenen Ereignisse erkrankten 22 Menschen, fünf starben an den Folgen.

Wer bekommt das Eisen?

Die Gefahr von biologischen Anschlägen gibt also Grund genug, weiterhin an Therapien gegen den Erreger zu forschen. Aktuell zur Verfügung stehen verschiedene Antibiotika, als Prophylaxe gibt es zudem einen zellfreien Impfstoff, dessen Schutz jedoch erst nach mehrmaligen Injektionen wirkt.

Eine neue Strategie zur Bekämpfung des Milzbrand-Erregers haben nun Forscher aus München entwickelt. Sie beruht auf dem Kampf um freies Eisen, welches im menschlichen Körper aufgrund seiner geringen Löslichkeit extrem selten, für den Bakterien-Stoffwechsel aber extrem wichtig ist.

Um freies Eisen zu binden und in die Zelle zu transportieren, bildet der Mensch Trans­ferrine. Bakterien haben eigene Proteine entwickelt, die Eisen-Ionen ebenfalls mit hoher Affinität binden: Siderophore. Als Abwehr gegen bakterielle Infektionen produzieren Menschen wiederum Siderocalin, welches Siderophore abfängt und über die Niere ausscheidet. Allerdings: Milzbrand-Erreger können diesem menschlichen Abwehrsystem mit einem alternativen Eisen-Komplexbildner entgehen. Petrobactin wird von Siderocalin nicht erkannt.

Erkannt und neutralisiert

Die Wissenschaftler aus München haben Siderocalin nun dahingehend umstrukturiert, dass es Petrobactin erkennen und ebenfalls neutralisieren kann – entstanden ist der Wirkstoff Petrocalin. „Das neu entwickelte Petrocalin fängt Petrobactin ab und entzieht damit dem Milzbrand-Erreger den Zugang zum lebensnotwendigen Eisen, was wie ein Protein-Antibiotikum wirkt“, erklärt Arne Skerra, Technische Universität München, in einer Pressemeldung.

In ihrer aktuellen Arbeit konnten die Forscher zeigen, dass dieser Ansatz in Bakterien­kulturen funktioniert. Eine darauf basierende Therapie könnte die Ausbreitung des Bakteriums im Körper des Patienten unterdrücken und so einen neuen Behand­lungsweg gegen den Milzbrand-Erreger eröffnen.

Melanie Erzler

Dauner M. et al. (2018): Reprogramming human siderocalin to neutralize petrobactin, the essential iron scavenger of anthrax bacillus, Angewandte Chemie International Edition, 57(44):14619-23