Molekültransfer mit Strohhalmen

(07.11.2018) Eine neue Transformations-Technik nutzt winzige Nanostraws, um Biomoleküle in Zellen zu verfrachten.
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AAV-Injektion, PEG-Transformation oder klassische Elektroporation – jede Trans­formations-Technologie hat ihre Stärken und Schwächen und ist nur für bestimmte Zelltypen geeignet. Mal explodieren die Zellen, mal verweigern sie die Aufnahme, mal zeigen sie ungeahnte Nebeneffekte. Damit könnte jetzt Schluss sein, denn es gibt eine neue Transfor­mations-Methode, die Nano-Strohhalme (Nanostraws) für den Molekültransfer einsetzt. Erfunden wurde sie von der Gruppe des US-amerikanischen Materialwissenschaftlers Nicholas Melosh von der Stanford University.

Wichtigster Bestandteil der Technologie ist ein Nagelbett im Nanomaßstab. Dabei handelt es sich um eine Polycarbonat-Membran, die dank einer ausgeklügelten Ätz-Technik von winzigen Aluminium-Oxid-Kanälen („Nano-Strohhalme“) mit einem Durchmesser von 150 Nanometern durchsetzt ist. Myriaden von Kanälen liegen senkrecht, dicht an dicht, in der Membran und sind beidseitig geöffnet. Ihr unteres Ende ragt in ein Flüssigkeitsreservoir mit den zu verabreichenden Biomolekülen. Das andere pikst nach oben durch und steht wie die Nägel eines Fakir-Betts leicht über (ca. 2 µm).

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Platzsparende Inkubation

Hierauf können sich Zellen zur Ruhe legen: Verletzungsfrei und ohne große Bewegungs­einschränkung. Dennoch sind sie in ständigem direkten Kontakt mit den Nano-Stroh­halmen. Melosh und sein Team griffen auf bewährtes Knowhow zurück und integrierten eine Makrostruktur in die Membran, die mit Multi-Well-Platten kompatibel ist. So können Zellen ganz klassisch und platzsparend inkubiert werden, von der am Well-Boden liegenden Membran und der darunter schwimmenden Lösung nehmen sie wenig wahr. Klingt gut, aber: Wie gelangen die Moleküle aus dem Flüssigkeitsreservoir über die Membran in die Zelle?

Unter Membran und Reservoir liegt eine Zinnoxid-Elektrode, auf der Plattenoberseite eine Platin-Elektrode. Legt man eine Spannung an, so werden die gewünschten Substanzen elektrophoretisch in die Zellen injiziert, und zwar punktgenau dort, wo sie ein Nano-Strohhalm pikst. Das ganze ist erfreulich präzise und kontrollierbar: Die Forscher um Melosh beobachten einen linearen Zusammenhang zwischen der Dauer der angelegten Spannung und der Anzahl der in den Zellen landenden Moleküle.

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Schlank müssen sie sein

Mit der Nano-Strohhalm-Methode lassen sich offenbar beliebige Moleküle in Zellen einschleusen. Sie müssen nur schlank genug sein, um den Kanal zu passieren. So gelang es Meloshs Team mit den Nanostraws, mRNAs in humane embryonale Leberzellen (HEK293) zu transferieren.

Der Vorteil gegenüber der Transfektion mit AAVs ist unter anderem der Zeitgewinn. Kaum dass die mRNAs in der Zelle angelangt sind, startet die Translation. Offensichtlich funktioniert dies nicht nur mit HEK293-Zellen, sondern auch mit diversen primären Zelltypen, die sich sonst jeglicher Manipulation widersetzen.

Wer Proteine direkt in die Zellen einbringen will, kann dazu ebenfalls die Nanostraw-Technik einsetzen. Anhand des His- und mCherry-getaggten Membranproteins STIM zeigt das Team um Melosh, dass Lokalisations- und Interaktions-Eigenschaften der injizierten Fracht erhalten bleiben.

Proteine und RNA gleichzeitig

Selbst einen ganzen Cocktail von Wunsch-Molekülen kann man mit den Nano-Strohhälmen in Zellen verfrachten, etwa gleichzeitig RNAs und Proteine. Die Amerikaner zeigen dies am Parade-Beispiel CRISPR-Cas und schleusten GFP-Cas9-sgRNA-Komplexe in HEK293-Zellen ein. Einzelne grün fluoreszierende Punkte in den Zellen deuteten auf GFP-cas9-RNP-Komplexe hin, die Effizienz des Editings lag bei mehr als 25 Prozent.

Andrea Pitzschke

Cao Y. et al. (2018): Universal intracellular biomolecule delivery with precise dosage control. Science Advances, DOI:v10.1126/sciadv.aat8131