Bauchweh ade

(18.10.2018) Bislang gibt es nicht viel, was bei Gluten-Unverträglichkeit hilft. Pharmafirmen experimentieren mit recht unterschied­lichen Therapie-Ansätzen.
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Editorial

Frisches Steinofenbrot vom Bäcker, leckere Pasta vom Italiener – für rund 800.000 Deutsche endet der Genuss dieser Lebensmittel oftmals mit Bauchschmerzen, Blähungen und Durchfall. Sie leiden unter Zöliakie. Verursacht wird diese Erkrankung durch pflanzliche Speicherproteine im Samen von Weizen, Gerste, Roggen, Hirse und sogar Mais: Gluteline und Prolamine bilden zusammen das allseits bekannte Gluten.

Und dieses wird manchem zum Verhängnis. Dabei ist noch ungeklärt, was die Krankheit verursacht – wie so oft werden sowohl genetische als auch Umweltfaktoren (oder beides?) in Betracht gezogen. Was im Verdauungstrakt von Betroffenen vor sich geht, ist jedoch schon besser verstanden. Die Prolamine werden im Darm von Zöliakie-Patienten nur unvollständig verdaut. Die Gewebe-Transglutaminase TG2 verändert die Peptide dann so, dass das Immunsystem sie als Störenfriede ausmacht und demzufolge proinflammatorische Cytokine freisetzt. Die Folge: eine chronische Entzündung der Dünndarmschleimhaut mit den erwähnten unangenehmen Symptomen.

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Diät hilft Patienten und Lebensmittelindustrie

Medikamente oder sonstige Heilmittel gibt es bisher nicht. Einzig eine strenge Diät und damit verbunden der konsequente Verzicht auf alles, was Prolamine und Gluteline enthält, hilft Zöliakie-Patienten. Was dem einen Leid, ist des anderen Freud. Im letzten Jahr machte die Lebensmittelindustrie mehr als 170 Millionen Euro Umsatz mit glutenfreien Lebensmitteln. Diese haben sich allerdings in der Zwischenzeit zu einem regelrechten Lifestyle-Produkt entwickelt und so stammt der Großteil dieser Summe von „ernährungs­bewussten“ Käufern, die dem gewieften Marketing („besonders gesund, hilft bei Gewichtsabnahme“) erlegen sind.

Ein kleinerer Teil des Gewinns könnte der Lebensmittel­industrie jedoch bald wegbrechen, denn Universitäten und Pharmafirmen gleichermaßen arbeiten mit Hochdruck an einer Zöliakie-Therapie. Interessanterweise verfolgen sie dabei sehr unterschiedliche Ansätze. So setzt die kalifornische Pharmafirma Alvine Pharmaceuticals (2016 von ImmunogenX übernommen) auf einen Mix zweier rekombinanter Proteasen (Latiglutenase, IMGX003), die Prolamine zu physiologisch irrelevanten Fragmenten abbauen. Ebenfalls in Kalifornien testet Amgen einen humanen monoklonalen Antikörper (AMG 714), der das proinflammatorische Cytokin IL-15 bindet und blockiert. Dieses Medikament soll in erster Linie gegen Gluten-Kontamination eigentlich glutenfreier Lebensmittel schützen – denn nur weil „-frei“ drauf steht, muss das noch lange nicht stimmen (man denke nur an „alkoholfreie“ Getränke).

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Wurmtherapie von Down Under

Hoffmann-La Roche hat einen Cathepsin-S-Inhibitor (RO5459072) im Köcher. Man hofft, damit die MHC-II-vermittelte Autoimmun-Antwort abzusenken. Die Immuntherapie-Spezialisten von ImmusanT sind eifrig dabei, einen therapeutischen Impfstoff namens Nexvax2 zur Marktreife zu bringen, der drei patentierte Peptide enthält. Diese sollen T-Zellen desensibilisieren und sie so „immun“ gegen Gluten machen. Last but not least experimentiert das Prince Charles Hospital in Brisbane, Australien, mit Würmern. Hakenwürmern (Necator americanus) um genau zu sein. Die Hypothese: die durch den Wurm ausgelöste Immunantwort erhöht auch die Gluten-Toleranz.

So verschieden die Herangehensweisen auch sind, eins haben all diese Studien gemeinsam. Sie stehen erst ganz am Anfang ihrer Entwicklung (maximal in Phase II). In Österreich hat man jedoch einen anderen Weg eingeschlagen. Die Technische Universität Wien und das Biotech-Unternehmen Sciotec tüfteln an einem Zöliakie-Mittel, das nicht direkt am Immunsystem der Patienten angreift. Vielmehr identifizierten die beteiligten Wissenschaftler ein Antikörper-Fragment, das mit der Nahrung aufgenommene Prolamine im Körper bindet, bevor sie Schaden anrichten.

In ihrer Publikation schreiben die Wissenschaftler: „Das Kernepitop des Antikörper-Fragments besteht fast ausschließlich aus Prolinen und Glutaminen – genau jenen Aminosäuren, die Probleme bei der Verdauung bereiten.“ Geplant ist, das Fragment in Mikropellets zu verpacken und es mit einer Schellack-Hülle zu ummanteln, damit es unbeschadet durch den Magen in den Darm gelangen kann. Details zum aktuellen Entwicklungsstand wollte Sciotec auf Nachfrage allerdings nicht verraten.

Wo sind die Grenzen?

Wenn es nach den Wissenschaftlern geht, könnten Zöliakie-Patienten jedoch schon recht bald (in ca. drei Jahren) von der Entdeckung profitieren. Denn das Präparat ginge als „Nahrungsergänzungsmittel“ (Medizinprodukt) durch und könnte somit einige Zulassungs-Hürden, wie sie zum Beispiel für Arzneimittel gelten, elegant überspringen. Wobei, nebenbei bemerkt, die definitorischen Grenzen zwischen Medizinprodukt und Arzneimittel nicht immer glasklar sind. Das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte definiert folgendermaßen: „Anders als bei Arzneimitteln, die pharmakologisch, immunologisch oder metabolisch wirken, wird die bestimmungsgemäße Hauptwirkung bei Medizinprodukten primär auf z. B. physikalischem Weg erreicht.“ Demnach ist die Antikörper-Blockade des Prolamin-Antigens also physikalisch und nicht pharmakologisch. Logisch!

Das Medizinproduktegesetz macht die Abgrenzung auch nicht wirklich einfacher: „Medizinprodukte sind auch Produkte (...), die einen Stoff oder eine Zubereitung aus Stoffen enthalten (...), die bei gesonderter Verwendung als Arzneimittel im Sinne des § 2 Abs. 1 des Arzneimittelgesetzes angesehen werden können und die in Ergänzung zu den Funktionen des Produktes eine Wirkung auf den menschlichen Körper entfalten können.“ Aha!

Käse besser vertragen

Wie dem auch sei, für Sciotec wäre es nicht das erste verschreibungsfreie Medizinprodukt. Die 2004 gegründete Firma ist spezialisiert auf Nahrungsmittel-Unverträglichkeiten. Blockbuster ist das Diamin-Oxidase-Präparat DAOSiN. Das Enzym fördert den Abbau des entzündungsfördernden Histamins, das zum Beispiel in lange gelagerten Lebensmitteln wie Alkohol und Käse enthalten ist.

Auch bei Laktose-Intoleranz gibt‘s was von Sciotec. Oder vielmehr von Stada Arzneimittel, denn 2015 kaufte der hessische Pharmakonzern die Österreicher für 17,2 Millionen Euro in bar. Ein kleines Schnäppchen, denn die Umsatzerwartungen der Sciotec-Produkte beliefen sich damals schon auf 5,8 Millionen Euro pro Jahr und man sprach von einem „global stark wachsenden und lukrativen Markt“. 17 Mitarbeiter von Sciotec wurden damals übernommen – diese arbeiten wohl derzeit auch am neuen Zöliakie-Mittel.

Kathleen Gransalke



Letzte Änderungen: 18.10.2018