Größer, schneller, schärfer

(25.09.2018) Bei Hamburg steht der weltweit modernste Röntgenlaser zur Struktur­aufklärung von Molekülen, der EuXFEL. Dass er hält was er verspricht, zeigten Forscher vom MPI in Heidelberg.
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Editorial

Acht Jahre dauerten die Bauarbeiten, bis im Juli 2017 dann die ersten Röntgenblitze durch die 3,4 Kilometer lange unterirdische Anlage zischten. Der European X-Ray Free-Electron Laser, kurz EuXFEL, ist der größte Röntgenlaser der Welt und nur einer von fünf, mit denen hochaufgelöste 3D-Strukturen von Molekülen aufgeklärt werden können. Das Besondere an EuXFEL: Er kann bis zu 27.000 Blitze pro Sekunde abfeuern, womit er wesentlich schneller ist als seine ‚Artgenossen‘, die es auf „nur“ etwas mehr als 100 Blitze pro Sekunde bringen.

Wie funktioniert die 3D-Strukturbestimmung? Zuallererst „fotografieren“ Forscher die für sie interessanten Moleküle in atomarer Auflösung mithilfe extrem kurzer Lichtblitze. Diese Molekülbilder aus unterschiedlichen Orientierungen werden dann zusammengesetzt und die 3D-Struktur kann berechnet werden. Molekulare Reaktionen können so mit sehr hoher Zeitauflösung gefilmt werden, wodurch Forscher neue Einblicke in ihre Systeme erhalten. „Der EuXFEL ermöglicht es, Experimente in viel kürzerer Zeit durchzuführen. Dadurch bekommen mehr Forscher Zugang zu XFELs und können neue, bisher nicht realisierbare Experimente in Biologie, Chemie und Physik durchführen,“ freut sich Ilme Schlichting, Direktorin am Max-Planck-Institut für medizinische Forschung in Heidelberg.

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Auf die Probe gestellt

Gleich nach Inbetriebnahme stellte sie mit ihrer Gruppe sowie mit Forschern der Rutgers Universität Newark (USA) und einem internationalen Team an Kollaborationspartnern von DESY die „Forschungsanlage der Superlative“ auf die Probe. Denn sie wollten wissen, wie es mit der Qualität der ausgespuckten Daten aussieht. Durch ausgeklügelte Experimente konnte das Team zeigen, dass die hohen Pulsfrequenzen bei den aktuellen Bedingungen entgegen vorheriger Befürchtungen nur mit Vorteilen verbunden sind. Doktorandin Marie Grünbein, Erstautorin der Publikation, erklärt uns: „Es war völlig unbekannt, ob es technisch möglich ist, intakte Proben schnell genug für jeden einzelnen Puls nachzuliefern und sinnvolle – also nicht geschädigte Daten – zu sammeln. Im Kern ging es uns also darum, zu verstehen, wie man mit der neuen Maschine umgeht und unter welchen Bedingungen Experimente die Möglichkeiten des Super-Röntgenlasers ausreizen können.“

Genauer angeschaut hat sich das Team zum Beispiel, wie der Protein-Kristall im Laser transportiert wird. Dies geschieht in einem Flüssigkeitsstrahl, der den Kristall in den Fokus des Röntgenlasers bringt. Trifft der Laser auf den Kristall, entsteht ein Beugungsmuster, welches mit einem Detektor gemessen wird. Das erste Bild ist produziert. Der nächste Laserpuls trifft dann auf den nächsten Kristall usw. Funktioniert das Ganze auch bei 27.000 Blitzen pro Sekunde? Doktorandin Grünbein erklärt: „Es wird so viel Energie freigesetzt, dass das vom Röntgenpuls getroffene Material explodiert, was auch eine Schockwelle freisetzt. Wie sich diese Schockwelle allerdings auf die Probe (also den Kristall) auswirkt, wenn so schnell hintereinander gemessen wird, konnte auf dieser Zeitskala bisher nicht erforscht werden. Wenn die Explosion der gerade gemessenen Probe den nächsten Kristall beeinflusst, kann dessen Messung nicht verwendet werden.“ Man bekäme Daten „geschädigter“ Moleküle, die eine Rekonstruktion des nativen Biomoleküls nicht zulassen. Unter den richtigen Bedingungen jedoch, bleibt die Probe (Schlichting und Co. verwendeten das röntgenkristallographische Standardprotein Lysozym) intakt.

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Nobles Enzym

Als nächstes machten sich die Forscher an ein komplizierteres Experiment. Sie fragten sich, ob mit dem neuen Laser auch Gemische von Kristallen verschiedener Proteine aufgeklärt werden können. Dafür gingen sie in die Forschung des letzten Jahrhunderts zurück und nahmen sich das erste Enzym vor, das jemals kristallisiert wurde, Urease. Übrigens: Für diese Kristallisation erhielt der amerikanische Chemiker James Sumner 1946 den Chemie-Nobelpreis.

Siebzig Jahre später untersuchten Schlichting und Co. das Enzym im Gemisch mit anderen kristallisierten Proteinen aus Riesenbohnen (Canavalia ensiformis). „Die Kristalle, die dabei herauskommen, sind allerdings ziemlich klein“, betont Marie Grünbein und fügt hinzu, „wir haben dieses nicht charakterisierte Gemisch an Proteinen nun dazu verwendet, um zu sehen, ob die Qualität der am EuXFEL gesammelten Daten gut genug ist, die Daten der verschiedenen Proteine im Gemisch zu trennen und zu analysieren.“ Dies gelang den Biophysikerinnen. „Der neue Laser ist nicht per se besser, er liefert aber dann bessere Signale, wenn man sehr viele Daten sammeln muss, um ein gutes Signal-zu-Rausch-Verhältnis zu bekommen,“ erklärt Schlichting.

Mehr Pulse, winzigere Objekte

Mit beiden Experimenten hat das Team um die beiden Heidelberger Forscherinnen also ein proof-of-principle geleistet. Für die Versuche bekamen sie Messzeit über fünf Tage, jeweils 12 Stunden täglich. In den 12 Stunden zwischen den Schichten wurden die Daten ausgewertet. Und bald werden sie vermutlich wieder nach Hamburg fahren, da das EuXFEL stetig weiterentwickelt wird. Neben noch mehr Pulsen wird ab nächstem Jahr ein viel kleinerer Fokus des Röntgenlasers zur Verfügung stehen, sodass auch winzige und sehr schwach streuende Objekte untersucht werden können. „Die Energiedichte, die der Röntgenlaser dann in die Probe bringt, wird viel höher“, sagt Ilme Schlichting. „Dann wird auch die Schockwelle größer und die Fragestellung, die wir hatten, muss nochmals aufgerollt werden.“

Aber auch neuen Fragen wird nachgegangen, wie uns Grünbein berichtet: „Wir wollen auch lichtempfindliche Proteine analysieren, in denen wir eine Reaktion mit einem Lichtblitz starten und dann zeitlich hochaufgelöste Aufnahmen machen. Damit wollen wir sehen, wie sich die Struktur mit Lichtabsorption ändert.“ Mit zeitaufgelösten Experimenten erhält man völlig neue Einblicke in die Dynamik und Reaktionsvorgänge von Proteinen, und genau das ist es, was die zukünftigen Experimente mit dem EuXFEL wirklich spannend machen.

Karin Lauschke

Grünbein M. et al. (2018): Megahertz data collection from protein microcrystals at an X-ray free-electron laser. Nature Communications, 9(1):3487