Bakterien unter Strom

(29.05.2018) In jedem Lebewesen fließt elektrischer Strom. Mit stromleitenden Ketten überbrücken manche Bakterien die Distanz zwischen Elektronen-Quelle und Elektronen-Akzeptor.
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Editorial

Im Sediment von Meeren und Seen leben Bakterien, die ihre Energie durch die Oxidation von Schwefelwasserstoff gewinnen. Die aufgenommenen Elektronen werden am Ende der Elektronen-Transportkette auf Sauerstoff übertragen. Das Sediment ist allerdings weitgehend anoxisch, Sauerstoff kommt nicht oder nur in geringer Menge vor.

Manche Bakterien haben offensichtlich einen cleveren Trick gefunden, dieses Problem zu umgehen. Sie lagern sich zu langen Ketten zusammen, mit denen sie eine Distanz von bis zu mehreren Zentimetern überbrücken können. Auf diese Weise wachsen sie vom Schwefelwasserstoff-haltigen Sediment in das mit Sauerstoff angereicherte Wasser über dem Sediment. Was aber bringt es einem Bakterium, das im Sediment Schwefelwasserstoff oxidieren möchte, wenn eine benachbarte Zelle im Kontakt mit Sauerstoff steht? Offensichtlich sind die Bakterien in der Lage, untereinander Elektronen zu übertragen, das heißt ihre Ketten leiten elektrischen Strom. So überspannen die „Bakterienkabel“ sogar eine Zone ganz ohne Schwefelwasserstoff und Sauerstoff.

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Kabel in der Kammer

Dass Bakterien über längere Distanzen Elektronen übertragen können, war schon länger vermutet worden. Beispielsweise haben Veränderungen in der Sauerstoff-Verfügbarkeit im Wasser direkten Einfluss auf die Oxidation von Schwefelwasserstoff im Sediment.

Alle bisher entdeckten Kabelbakterien gehören einer einzigen Gruppe an, die mit Sulfat-reduzierenden Bakterien der Familie Desulfobulbaceae verwandt sind. „Das ist überraschend“, sagt Andreas Schramm von der Aarhus-Universität in Dänemark und Seniorautor der PNAS-Veröffentlichung, „denn letztere veratmen anstelle von Sauerstoff Sulfat zu Schwefelwasserstoff und machen somit das exakte Gegenteil der Kabelbakterien“.

Bisher sind lediglich zwei eng verwandte Gattungen beschrieben, die weltweit in Meeres- und Süßwasser-Sedimenten vorkommen und vielerorts einen Großteil der bakteriellen Biomasse in den ersten Zentimetern des Meeresbodens ausmachen können. „Es ist deshalb wirklich erstaunlich, dass wir sie erst 2012 entdeckt haben“, so Schramm.

Da die Kabelbakterien im Labor nicht kultiviert werden können, ist es allerdings schwierig, ihre Eigenschaften zu untersuchen. Die Wissenschaftler nutzen deshalb einen Trick. Sie bauten eine kleine Kammer mit zwei Löchern an den Enden, von denen eins mit Sediment gefüllt wurde. Das Sediment enthielt Schwefelwasserstoff und eine Anreicherung der natürlicherweise dort vorhandenen Bakterien. Das andere Loch war mit Sauerstoff-haltigem Wasser gefüllt. Die Bakterien wuchsen nun vom Sediment in Richtung Sauerstoff und stellten schließlich eine Verbindung zwischen den beiden Löchern her. Als Kontrolle dienten Kammern, in denen die Bakterien noch nicht bis zum zweiten Loch gewachsen waren.

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Zentimeterlange Elektronenwanderung

Als Elektronen-Überträger kommt das Elektronen-Transportprotein Cytochrom c in Frage, dessen Redoxzustand sich mit der Raman-Mikrospektroskopie untersuchen lässt. Dabei zeigt nach dem Beschuss der Bakterien mit Laserlicht eine charakteristische Verschiebung der Wellenlänge des gestreuten Lichts an, ob das Cytochrom mit Elektronen beladen ist oder nicht, also reduziert oder oxidiert vorliegt. Und tatsächlich ergab die Messung, dass sich der Redoxzustand der Cytochrome graduell entlang der Bakterienkabel veränderte. Offensichtlich wandern die Elektronen vom Schwefelwasserstoff im Sediment bis zum Sauerstoff, so dass die Cytochrome zum sauerstoffhaltigen Wasser hin immer stärker oxidiert vorliegen. Bei den Bakterienketten, die noch nicht bis zum zweiten Loch gewachsen waren, lagen dagegen alle Cytochrome im reduzierten Zustand vor, da sie die Elektronen nicht an einen terminalen Elektronen-Akzeptor abgeben konnten.

Wurde der Sauerstoff aus dem Wasser entfernt, sank das Redoxpotenzial der Cytochrome im Sediment – ein Effekt, der sich durch Zugabe von Sauerstoff wieder umkehren ließ. In einem weiteren Experiment wurde der Elektronen-Transport gestoppt, indem die Bakterienkette mit Laserlicht zerschnitten wurde. Die Bakterien, die mit dem Sediment verbunden waren, wiesen dann Cytochrome im reduzierten Zustand auf. Der Vorteil dieser Methode ist, dass Sauerstoff- und Schwefelwasserstoff-Gradienten nicht gestört wurden.

Leiter gesucht

Wie genau die Elektronen-Transportprozesse ablaufen, ist noch unklar. Zwar könnten die Elektronen im Prinzip von den Hämgruppen der Cytochrome transportiert werden. Die Übertragung von Cytochrom zu Cytochrom wäre allerdings viel zu langsam über die großen Distanzen von Millimetern und Zentimetern. Schramm erklärt: „Wir vermuten, dass die Cytochrome nur für den Elektronen-Transport aus der Zelle (über den Quinon-Pool) in den bisher unbekannten Leiter, und wieder vom Leiter auf Sauerstoff zuständig sind. Der zentimeterlange Transport über mehrere 10.000 Zell-Längen findet dagegen wohl eher in einer Art ‚biologischem Kabel‘ mit einer metall-ähnlichen, und damit viel schnelleren, Leiteigenschaft statt“.

Interessanterweise bilden sich um die Kabelbakterien regelrechte Schwärme aus anderen Bakterien, die gezielt auf die Kabel zuschwimmen, solange dort ein Elektronen-Transport stattfindet. Welchen Nutzen die Bakterien davon haben, ist noch unklar. Schramm und sein Team halten zwei Erklärungen für möglich: „Entweder leben die schwärmenden Bakterien von niedermolekularen Substanzen, die die Kabelbakterien ausscheiden, oder - und das wäre revolutionär - sie benutzen die Kabelbakterien als indirekten Zugang zum Sauerstoff an der Oberfläche. Sie könnten beispielsweise Schwefelwasserstoff oder Fettsäuren oxidieren, und die daraus extrahierten Elektronen in die Kabelbakterien einspeisen“. Welche Variante zutrifft, soll in Zukunft mit der Raman-Mikrospektroskopie untersucht werden.

Larissa Tetsch