Heißer Biotech-Sommer

(3.8.17)  Diese beiden Biotechfirmen sind superheiß – dank rasant wachsender Produktverkäufe sowie einem US-Patent für eine Molekül-Klasse, deren Funktionsaufklärung vor 22 Jahren zu einem deutschen Nobelpreis führte.
Editorial
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© NWS-NOAA

Deutschland schwitzt! Der vorgestrige Dienstag etwa war der bislang heißeste Tag in Bayern; mit 35,8 Grad Celsius wurde in München ein saisonaler Hitzerekord erreicht. Noch zwei Tage, bis Samstagabend, wird das so weitergehen, ehe ein heftiger Wetterumschwung mit Regen und Gewittern das gemeinschaftliche Schwitzen beenden wird.

Bei schweißtreibenden Mittagstemperaturen von 29,1 °C in Heidelbergs Neuenheimer Feld, stattlichen 31,4 °C an der IZB-Residence in Martinsried und sogar 32,1 °C in den Freiburger Redaktionsräumen von Laborjournal vermeldeten Deutschlands Biotechfirmen noch schnell ihre Halbjahreszahlen – und die waren ebenfalls brandheiß.

Sygnis: explosives Umsatzwachstum

Der Heidelberger Enzym- und Reagenzien-Anbieter Sygnis etwa weist einen auf das neunfache (!) gestiegenen Halbjahresumsatz aus (verglichen mit dem ersten Halbjahr 2016) und rechnet zudem mit einer „anhaltend deutlichen Steigerung für die zweite Jahreshälfte 2017“. Das bedeutet, dass der Umsatz von Sygnis seit sechs (!) Quartalen in Folge zunimmt. Der unlängst (im März 2017) neu ernannte Finanzchef der kurpfälzisch-spanischen Firma (deren Hauptstandorte befinden sich in Heidelberg sowie in Madrid), David Roth, erwartet denn auch, im vierten Quartal des laufenden Jahres profitabel zu werden.

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Wesentlichen Anteil am finanziellen Aufschwung hätten die Übernahmen der beiden bereits damals profitablen Unternehmen C.B.S. Scientific (im Dezember 2016) und Innova Biosciences (Juli 2017) gehabt, sagt Heikki Lanckriet, der ebenfalls erst seit knapp einem Monat in Doppelfunktion die Posten des Geschäftsführers sowie des wissenschaftlichen Vorstands ausfüllt. Speziell der Wachstumsmarkt China stehe derzeit auf der Liste jener Regionen, welche die Sygnis AG künftig verstärkt erreichen wolle, so Lanckriet weiter.

Hohe Eigenkapitalquote

Konkret erreichte der Umsatz von Sygnis in den ersten sechs Monaten des Jahres 2017 immerhin 3,0 Millionen Euro (gegenüber 319.000 Euro im Vorjahres-Vergleichszeitraum); der von Akquisitionskosten bereinigte Nettoverlust betrug 0,9 Millionen Euro (Vorjahreszeitraum: 1,45 Millionen Euro).

Die Eigenkapitalquote des Molekularbiologie-Dienstleisters Sysgnis – ein wichtiger Indikator für die Kreditwürdigkeit von Unternehmen – ist übrigens seit Jahren stabil und mit derzeit 82 Prozent ungewöhnlich hoch. Der amerikanische Wirtschaftswissenschaftler und „Vater der fundamentalen Wertpapieranalyse“, Benjamin Graham (1894-1976), war der Meinung, ein solides Unternehmen müsse eine Eigenkapitalquote von mindestens 50 Prozent aufweisen; heutzutage spricht man von „solide finanzierten Firmen“, wenn die Eigenkapitalquote größer als 30 Prozent beträgt – was für so manches Unternehmen hierzulande durchaus eine respektable Hürde darstellt.

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Entsprechend den berichteten Erfolgen hat das Sygnis-Management die Prognosen für das Geschäftsjahr 2017 hochgesetzt: Basierend auf dem „weiteren starken organischen Wachstum der Produktverkäufe durch den Ausbau des Außendienstes in Kombination mit einer Weiterentwicklung der OEM- und Distributionskanäle“ erwartet man nun in Heidelberg einen Gesamtumsatz von 7 bis 8 Millionen Euro. Investieren will man vor allem in die Weiterentwicklung der „TruePrime“-Technologie und die sich daraus ergebenden Anwendungen (Einzelzell-DNA-Analyse; Liquid Biopsy zum frühen Nachweis und zur Verlaufskontrolle von Krebserkrankungen) – sowie in erhöhte Marketing- und Vertriebsaktivitäten.

Von den Biotech-Anlegern wurden die erneuten Frohnachrichten des Sygnis-Managements bislang nicht honoriert. Der Kurs der Sygnis-Aktie, der im Januar immerhin um fast 80 Prozent hochgeschnellt war (von 1,21 auf 2,17 Euro), hat sich seit Monaten zwischen 1,50 und 1,90 Euro konsolidiert. Von einer hitzigen Kurs-Rallye wie zum Beispiel bei der Hamburger Evotec AG (plus 190 Euro in den letzten zwölf Monaten) kann keine Rede sein. Aber das kann ja noch kommen, wenn sich das reale Sommerwetter endlich mal wieder abgekühlt hat. In Regensburg etwa regnet es bereits den ganzen heutigen Donnerstag über sporadisch, über Potsdam und Berlin sind am Nachmittag sogar heftige Regenfronten hinweggezogen, und auch die Uni Tübingen bekam bereits einen ersten feuchten Guss ab.

4SC: hitziges Kurs-Feuerwerk

München verzeichnete am vorgestrigen Dienstag nicht nur eine empfindliche Niederlage des heimischen FC Bayern gegen den FC Liverpool (Null zu Drei Tore), sondern auch, wie eingangs erwähnt, mit knapp 36 Grad einen Hitze-Rekord. In der Fröttmaninger Fußball-Arena soll es noch einige Grade mehr gehabt haben, speziell auf den Plätzen einiger Honoratioren.

Über derartige Temperatur-Rekorde können Anteilseigner der in Münchens Umland beheimateten 4SC AG jedoch nur lauwarm lächeln, denn ihr Papier ist heißer – viel heißer: Seit Anfang Mai ist der Kurs einer 4SC-Aktie von 2,35 auf aktuell 5,26 Euro hochgeschnellt. Dieser Zuwachs enspricht einem satten Plus von 124 Prozent binnen drei Monaten – und lässt die in den vergangenen Jahren doch recht gebeutelten Langzeit-Aktionäre der Firma aus dem Münchener Umland hoffen, dass es noch eine zeitlang so weitergeht. Denn langfristig macht die aktuelle Kursrallye bei 4SC noch keinen Sommer: Seit Januar 2011 hat das Papier stattliche 76 Prozent seines Werts verloren. Da wäre noch Luft nach oben.

Hilfreich dabei könnten die letzten Nachrichten aus Martinsried sein. Die amerikanische Patentbehörde erteilte der oberbayerischen Firma kürzlich ein Patent für die chemische Struktur einer Gruppe von Molekülen, zu denen auch das experimentelle Krebsmedikament 4SC-208 gehört.

Fehlgeschalteter Signalweg erzeugt Krebs – was tun?

4SC-208 ist ein Inhibitor des Hedgehog/GLI-Signalwegs – einem evolutionsgeschichtlich recht alten Signalweg, dessen Fehlfunktion bei Erwachsenen Krebs verursachen kann. Der Tübinger Entwicklungsbiologin Christiane Nüsslein-Volhard und ihrem US-Kollegen Eric Wieschaus gelang in den 1980ern am Drosophila-Modell die Funktionsaufklärung des entsprechenden Hedgehog-Gens und damit der genetischen Kontrolle der frühen Embryoentwicklung – womit die beiden den Grundstock für die spätere Zuerkennung des Nobelpreises im Jahre 1995 legten.

Wie oben erwähnt: Eine Fehlfunktion des Hedgehog/GLI-Signalwegs kann Krebs verursachen. Insofern liegt es nahe, bei entsprechend dispositionierten Krebspatienten genau diesen Signalweg zu hemmen. 4SC-208 wird derzeit im Tiermodell („präklinisch“) genau daraufhin getestet – und dank des erteilten US-Patents würde ein künftiges, klinisch getestetes und zugelassenes Krebsmedikament aus dem Hause 4SC bis zum Jahr 2033 Marktexklusivität besitzen.

Resistenzen weniger wahrscheinlich (sagt 4SC)

Auch andere Biotechfirmen setzen auf den Hedgehog/GLI-Signalweg, klar. Immerhin ist dieser ja entscheidend dafür, dass – im ungünstigsten Falle – Krebsstammzellen wachsen und sich vermehren können. Doch laut 4SC würden die Konzepte und Substanzen der Konkurrenz an anderen Stellen in den Signalweg eingreifen (etwa am sogenannten SMO-Rezeptor) – und gerade gegenüber SMO-Inhibitoren würden Tumoren leider häufig Resistenzen entwickeln und die Patienten somit rückfällig werden: indem der SMO-Rezeptor mutiert oder die Zellen auf alternative Signalübertragungswege ausweichen, die letztlich ebenfalls den Hedgehog/GLI-Signalweg aktivieren. 4SC-208 hingegen ziele, so 4SC, auf zwei Kinasen ab, die als Schlüsselregulatoren von GLI wirksam seien. Dies sei exklusiv bei 4SC entdeckt worden – und nun durch das genannte US-Patent auch verwertungstechnisch bis 2033 geschützt.

Laut Jason Loveridge, dem Vorstandsvorsitzenden der Martinsrieder Biotechfirma, sei 4SC-208 „neben Resminostat und 4SC-202 [zwei weiteren experimentellen Krebstherapien; Anm. des Verfassers] eines unserer drei Hauptprodukte“, auf deren Entwicklung man sich bei 4SC fokussiert habe. Bis Ende 2018 wolle man die behördlich verordneten, präklinischen Untersuchungen an 4SC-208 abgeschlossen haben, und dann wird es spannend: mit der „first-in-man“, sprich: ersten klinischen Phase-I/II-Studie. Als Indikation hat man sich bei 4SC das Basalzellkarzinom ausgeguckt – eine Hautkrebs-Variante, deren auf den Hedgehog/GLI-Signalweg abzielende Behandlung oftmals Resistenzen mit sich bringt.

Und die Aktie? Bislang unbeeindruckt…

Im Mai vollführte die 4SC-Aktie ihren ersten, heftigen Kurssprung (um genau 100 Prozent von 2,35 auf 4,78 Euro). Wenig später, Mitte Juli, gab das 4SC-Management bekannt, man habe die weltweiten Lizenzrechte an den hauseigenen „Kv1.3-Inhibitoren“ an den japanischen Pharmakonzern Maruho veräußert. Diese Substanzklasse hemmt, wie schon der Name andeutet, selektiv den spannungsgesteuerten Ionenkanal Kv1.3, der eine wichtige Rolle bei der Aktivierung und Reifung von T-Zellen spielt. Die Japaner wollen die Kv1.3-Inhibitoren zur Behandlung von Autoimmunerkrankungen nutzen, deren Ursache oftmals „überschießende“ T-Zellen sind.

Den Oberbayern würden durch den Maruho-Deal im Idealfall mehr als 200 Millionen Euro Voraus- und Meilensteinzahlungen sowie eine Umsatzbeteiligung zufließen, sofern aus diesen derzeit präklinisch untersuchten Inhibitoren irgendwann einmal ein zugelassenes Medikament entstehen würde. An der Börse reagierten die Anleger euphorisch: Sie kauften wie wild 4SC-Aktien – und bewirkten damit einen erneut rasanten Kursanstieg der 4SC-Aktie um weitere rund 25 Prozent.

Dank der seit Monaten ähnlich euphorischen Börsenstimmung – Dax, Mdax und Dow Jones beispielsweise hasten von einem Allzeithoch zum nächsten – raten die üblichen „Anlage-Experten“ (sprich: Börsen-Schwätzer) jetzt natürlich zum sofortigen Kauf der 4SC-Aktien. Die Anlegerpostille Der Aktionär etwa jubelte am 01.08.: „4SC-Aktie (…) erneut auf Rallye-Kurs“.

Doch ehe Sie blind einen Teil Ihrer sauer verdienten Euros in eine Hochrisiko-Aktie wie jene von 4SC oder jene von Sygnis stecken, informieren Sie sich erst einmal sorgfältig darüber, was man bei den beiden Firmen in der nächsten Zeit technologisch und strategisch so vorhat. Anschließend gucken Sie sich die Lebensläufe der Damen und Herren Manager aus Martinsried und Heidelberg genau an – und urteilen dann, ob Sie denen wirklich Ihr Geld in Form von Firmenanteilen anvertrauen wollen. Falls Sie es riskieren sollten, wünschen wir Ihnen jedenfalls steigende Kurse, eventuell sogar ein künftig entspannteres Leben als Teilzeitwissenschaftler mit Zweitwohnsitz auf einer idyllischen Südseeinsel!

Winfried Köppelle

 

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Letzte Änderungen: 01.09.2017