Straßenatlas UV-geschädigter Genome

(21.6.17) Umwelteinflüsse fordern jede Zelle immer wieder aufs Neue heraus. Dass dennoch meist nichts Schlimmeres passiert, Mutationen nicht akkumulieren, verdanken Organismen dem nimmermüden Werkeln von DNA-Reparaturdiensten.    
Editorial
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© Janice Carr/CDC

Die Gruppe des DNA-Reparaturexperten und Chemienobelpreisträgers Aziz Sancar von der Universität North Carolina entwickelte zusammen mit Forschern von der Hebrew-Universität in Israel eine Methode, mit der sich die Dynamik von DNA-Schäden und deren Reparatur detailliert verfolgen lässt. Ihre Studie verschafft Einblick in UV-induzierte „Schlaglöcher“ und deren Ausbesserung entlang der gesamten Strecke, dem menschlichen Genom (PNAS).

Um für therapeutische Ansätze verwertbare Ergebnisse zu erhalten, führte Sancars Team Untersuchungen an normalen humanen Haut-Fibroblasten (NHF1) durch, die sie physiologisch relevanten UV-Dosen aussetzten. Parallel zu den In-vivo-Analysen untersuchten sie nackte DNA.

Übermäßiges Sonnenbaden führt zu Hautkrebs. Hauptursache hierfür sind UV-induzierte DNA-Läsionen, die mit der Bildung sogenannter Photoprodukte einhergehen. Je nach Art des Photoprodukts, Cyclobutan-Pyrimidin-Dimere (CPDs) oder Pyrimidin-Pyrimidonen [(6-4) PPs], unterscheidet man zwei Typen von DNA-Schäden. Beide können durch die zelleigene Exzisionsreparatur behoben werden.

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Sancars Gruppe beschäftigt sich schon länger mit der Frage, welches Schadmuster UV-Exposition auf dem menschlichen Genom hinterlässt (Photochemistry and Photobiology). Die zur Lösung dieser Frage von der Gruppe entwickelte XR-Seq-Technik, macht sich die bei der Nukleotid-Exzisionsreparatur von „Bulky Lesions“ automatisch anfallenden Oligonukeotide (26-27nt-Abschnitte) zunutze.

Zunächst werden diese isoliert und mittels Next-Generation-Sequenzierung identifiziert. Das anschließende Alignment der erhaltenen Sequenzabschnitte mit der Humangenom-Sequenz liefert als Ergebnis eine „Repair Map“ – eine Art Straßenatlas, der die Lage ausgebesserter Schlaglöcher auf den Chromosomen anzeigt. Für eine punktgenaue Positionsbestimmung oder das Aufspüren nicht- oder schlecht-reparierter Schlaglöcher braucht XR-Seq jedoch Unterstützung. Deshalb kombinierten die Forscher die XR-Seq-Strategie mit dem High-Sensitivity-Damage-Seq-Verfahren. Letzteres erkennt selbst DNA-Schäden an einzelnen Nukleotiden punktgenau.

Die verbesserte Sensitivität gegenüber der Vorgängerversion, Damage-Seq (PNAS) ist unter anderem einer höheren Ausbeute an aufbereiteter DNA zu verdanken. Das Team tüftelte hierbei nicht lange herum, sondern nutzte einen kommerziellen Kit. Damage-Seq zerstückelt genomische DNA mittels Ultraschall in circa 600 Basenpaare lange Fragmente. Nach Reparatur der Enden werden beidseitig doppelsträngige Adapter ligiert. Diese dienen nach Denaturierung und Immunopräzipitation (mit einem kommerziellen gegen Photodimere gerichteten Antikörper) der schadhaften Stränge als Annealingstrecke für Biotin-fusionierte Primer. Der Biotin-Tag ermöglicht eine einfache Aufreinigung. Nach einer sogenannten Subtractive-Hybridisation-Ligation (dies ist der Sensitivitäts-steigernde zusätzliche Schritt) an einen weiteren Adapter gelangt man schließlich zu DNA-Fragmenten, die mit Index-Primern PCR-amplifiziert und sequenziert werden können.

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Die XR-Seq/HS-Damage-Seq-Kombination kann CPD- und 6-4-PP-Schäden erkennen und voneinander unterscheiden.

Welche Veränderungen DNA in UV-exponierten Zellen durchläuft, verfolgte das Team mit seiner Kombi-Methode über mehrere Stunden. Während in nicht-bestrahlten Kontrollzellen Dipyrimidine auf der DNA rein zufällig auftreten, zeigen bestrahlte Zellen eine Häufung von Dipyrimidinen (T-T für CPD beziehungsweise TT und TC für 6-4-PP) in beschädigten Abschnitten. Da Reparaturmechanismen binnen weniger Stunden auf Hochtouren kommen, verschwindet diese Häufung wieder. Interessanterweise werden C6-4PPs schneller als T-T-6-4-PP-Schäden behoben. Warum, ist unklar.

Bei einer Vergleichsanalyse ihrer XR-Seq-Daten mit publizierten Mutationsdaten waren die Forscher auf einen Zusammenhang zwischen der CPD-Häufung und Transkriptionsfaktor-Bindestellen gestoßen. Mit ihrem Kombi-Verfahren gingen sie dieser Frage auf den Grund - und widerlegten eine bisherige Vermutung, oder zumindest deren allgemeine Gültigkeit: An DNA andockende Transkriptionsfaktoren behindern nicht zwangsläufig die Reparaturmaschinerie, sie sind auch kein Schutzschild gegen Schädigungen. Eine generelle Regel gibt es einfach nicht. Von neunzehn getesteten Transkriptionsfaktoren zeigte jeder ein ganz individuelles Muster. In unterschiedlichem Ausmaß hemmten oder stimulierten sie den Reparaturfortschritt oder nahmen keinen erkennbaren Einfluss. Wie sich welcher Transkriptionsfaktor auswirkt, hängt zudem vom schädigenden Signal ab. UV-bestrahlte Zellen zeigten andere Schadmuster als Zellen, die mit dem gegen Krebszellen-DNA-gerichteten Wirkstoff Cisplatin behandelt wurden. Eine klare Botschaft gibt es dennoch: DNA-Schäden treten unmittelbar nach der Behandlung zufällig verteilt quer übers Genom auf. Die Heterogenität der Schadstellen (Schlaglochmuster) ist einzig auf die unterschiedliche Arbeitsmoral der lokalen Reparatur-Dienste zurückzuführen.

Auch wenn man XR-Seq und HS-Damage-Seq als sich komplementierende Methoden zur DNA-Schadensanalyse ansehen kann, sollte man eines berücksichtigen: Die für XR-Seq genutzten ausgeschnittenen Oligos fallen mit einer Halbwertszeit von zehn Minuten der Degradation zum Opfer. Somit liefert XR-Seq eine Momentaufnahme von dem was in den letzten zehn Minuten vor der Probenentnahme repariert wurde. HS-Damage-Seq dagegen misst die Reparatur indirekt, indem es einen Schadzustand zum Zeitpunkt x von der maximalen Anfangsschädigung „subtrahiert“.

Die Autoren sehen Anwendungspotenzial ihrer Methode in der Krebsvorbeugung und Chemotherapie. Ihr Verfahren lässt sich vermutlich auf beliebig behandelte Zellen, nicht nur Fibroblasten, anwenden und könnte somit komplexe Straßenkarten liefern. Schlaglöcher effizient und punktgenau auszubessern wäre die nächste Herausforderung.

Einen Minuspunkt muss man Sancars Paper jedoch geben: Den vollständigen Durchblick über die Methode und die verwendeten Reagenzien erlangt der Leser nur, wenn er die vorigen Publikationen zu XR-Seq und Damage-Seq ebenfalls liest. Diese sind dafür bestens illustriert.

 

Andrea Pitzschke

Letzte Änderungen: 13.07.2017