Editorial

Simuliert: Der Sex des Sultans

(18.9.15) Hatte Ismail der Blutige wirklich mehr als tausend Kinder? Möglich ist das schon, haben zwei Wiener Wissenschaftler ausgerechnet. Dafür bekamen sie jetzt einen Ig-Nobelpreis.
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Nobelpreis 2015 für österreichische Forscher! Na gut, erst mal nur der Ig-Nobelpreis – der launige Preis für Forschungsergebnisse, die einen zuerst zum Lachen, dann zum Nachdenken bringen. Elisabeth Oberzaucher und Karl Grammer, Anthropologen an der Universität Wien,  haben den Spaß-Preis in der Kategorie Mathematik letzten Donnerstag persönlich entgegengenommen, im Rahmen der traditionell schrägen Verleihungszeremonie im Sanders Theater der Universität Harvard.

888 Kinder?

Geehrt wurde Oberzauchers und Grammers Simulationsstudie zum ereignisreichen Sexleben von Mulai Ismail, Sultan von Marokko von 1672 bis 1727. Wie unter anderem der französische Diplomat Dominique Busnot nach einem Besuch am Hof des Sultans berichtete, habe der Sultan 600 Söhne mit 4 Frauen und 500 Konkubinen gezeugt, andere Zeitgenossen berichten von 888 Kindern. Die Töchter der Nebenfrauen ließ Ismail gleich nach der Geburt töten – den Beinamen "der Blutige" hat er sich verdient. Rechnet man die Töchter hinzu, müsste der Kaiser sogar mehr als tausend Nachkommen gezeugt haben.

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Wenn man die Parameter aus Busnots Bericht zugrunde legt, konnte Ismail während der 55 Jahre seiner Regentschaft tatsächlich so viele Nachkommen zeugen? Oder liegt das schon aus humanbiologischen Gründen jenseits des Möglichen?

Und wie viel Sex müsste er dafür eigentlich gehabt haben?

Die Antwort auf diese Frage ist nur scheinbar so trivial, dass man sie mal eben mittels Dreisatz auf einen Bierdeckel kritzeln könnte. Bei anderen Säugetieren signalisieren die Weibchen ihre Fruchtbarkeit und Kopulationen beschränken sich auf diese Zeiten. Beim Menschen dagegen ist es gar nicht so leicht, genaue Zahlen für die Empfängniswahrscheinlichkeit im Verlauf des weiblichen Monatszyklus' anzugeben. Die Daten dafür stammen aus verschiedenen Studien, die zu jeweils leicht verschiedenen Modellen führen.

Unbekannter Parameter: Des Sultans Lust

Hinzu kommen die weitgehend unbekannten Parameter des konkreten historischen Falls: Hat der Sultan jeweils zufällig eine Sexualpartnerin aus seinem Harem ausgewählt, nach Lust und Laune? Hatte er Favoritinnen unter seinen Nebenfrauen? Oder ging er gar nach irgendeinem Plan vor, um seine Nachkommenzahl zu maximieren?

Konnte er (bewusst oder unbewusst) erkennen, welche Frauen gerade ihre fruchtbaren Tage hatten? Und welche Rolle spielt dabei möglicherweise die umstrittene Hypothese, dass Frauen, die in Gruppen zusammenleben, ihre Menstruationszyklen synchronisieren?

Auch die Spermienqualität des Sultans wurde während seiner langen Regentschaft sicher nicht besser.

Oberzaucher und Grammer haben in drei verschiedenen Modellen für die Empfängniswahrscheinlichkeit jeweils Kombinationen solcher Parameter durchgespielt (PLOS ONE 9: e85292). Alles in allem kommen sie zum Schluss, dass der Kaiser tatsächlich mehr als tausend Nachkommen gezeugt haben könnte, und dass er sich dafür noch nicht mal sonderlich hätte anstrengen müssen. Schon mit ein bis zwei Kopulationen pro Tag könnte er auf die märchenhafte Kinderzahl gekommen sein.

Bei der Zusammenstellung seines Harems hat der Kaiser sogar mehr Aufwand getrieben als nötig, meinen die Ig-Nobelpreisträger: Wäre es dem blutrünstigen Sultan nur um den maximalen Reproduktionserfolg gegangen, so wäre eine Haremsgröße von 110 Frauen mehr als ausreichend gewesen.

Hans Zauner

Abb: Mulai Ismail (public domain)





Letzte Änderungen: 14.01.2016