Editorial

Gestohlene Glaubwürdigkeit

(22.7.15) Gegen die Homöopathie kommt man mit Argumenten nicht an. Aber die Zuckerkugelfabrikanten klauen sich ihre Glaubwürdigkeit bei der Wissenschaft. Dagegen muss man sich etwas einfallen lassen.
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Lassen wir es bleiben. Der Kampf ist verloren. Wir müssen (vorerst) akzeptieren, dass viele Mitbürger der Homöopathie blind vertrauen. So die provokante These eines Beitrags von Sebastian Bartoschek, der auch Mitglied der Skeptikervereinigung GWUP ist.

Und es zeigt sich ja wirklich immer wieder: Menschen richten sich in ihren Glaubenssystemen ein wie ein Braunbär in der kuschligen Winterhöhle. Neue Informationen haben kaum eine Chance, verankerte Überzeugungen zu ändern; im Gegenteil, sie verstärken eher noch die festgezurrten Ansichten.

Keine Chance für Argumente

Da kann man alle einschlägigen Reizthemen abklappern: Klimawandel, Gentechnik, Evolution oder eben Homöopathie. Ob es gelingt, Mitmenschen von einer Einsicht aus der Wissenschaft zu überzeugen, darüber entscheidet weniger die Kraft der Argumente, als vielmehr die Affiliation ­– ein englischer Begriff, der mit "Zugehörigkeit" nur unzureichend übersetzt ist. Man denke an evangelikale Kreationisten, die die Bibel wörtlich auslegen und glauben, dass Gott die Erde vor 6000 Jahren erschaffen hat, mitsamt allen Lebewesen. Egal, welche Beweise für das tatsächliche Alter der Erde der Geologe auf den Tisch legt: Die Zugehörigkeit zur Glaubensgemeinschaft und ihren Vorstellungen ist stärker als die Fakten.

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Nur so ist auch die fruchtlose Debatte zwischen wissenschaftsaffinen Menschen und Homöopathie-Verehrern zu erklären, da hat Bartoschek recht. Denn dass Effekte der homöopathischen Behandlung Placebo-Effekte sind, und dass hochverdünnte homöopathische Wässerchen keine medizinisch wirksame Substanz enthalten, darüber müssen wir uns nicht mehr unterhalten. Die Debatte ist wissenschaftlich gesehen längst beendet.

Nur eine weitere Sorte Humbug?

Sollen wir die direkte Auseinandersetzung mit der Homöopathie also bleiben lassen? Ich bin mir nicht sicher, und will eigentlich auf etwas anderes hinaus. Denn interessant ist auch die umgekehrte Perspektive: Wieso zieht ausgerechnet die Homöopathie derart den Zorn der Wissenschaftsfreunde auf sich? Schließlich gäbe es anderen esoterischen Humbug, über den sich rational denkende Menschen auch trefflich aufregen könnten: Ohrenkerzen. Klangschalen. Channeling mit wiedergeborenen Einhörnern.

Warum also bringen ausgerechnet die Hahnemann-Jünger das Wissenschaftler-Gemüt so richtig zum Überkochen? Einerseits wohl deshalb, weil Globuli und verdünnte Wässerchen weit jenseits esoterischer Kreise akzeptiert werden und den Weg in die Mitte der Gesellschaft gefunden haben. Und wie hat die Homöopathie das geschafft? Indem sie sich ihre Glaubwürdigkeit bei der Naturwissenschaft geklaut hat. Die Homöopathie ist ein Kuckucksei im Nest der Wissenschaft.

Dass die Anführer der Zuckerkugel-Bewegung den Nimbus des Akademischen suchen, darüber hat auch Laborjournal immer wieder mal berichtet. Man denke an die (im letzten Moment gescheiterte) "Homöo-Akademie" in Traunstein, oder die Hörsaal-Posse an der TU Chemnitz, wo der "Verein für Gesundheitspflege und Homöopathie" Jahr für Jahr ein Symposium veranstalten durfte.

Schamanisches Klopfen

Das schamanische Klopfen auf verdünnte Tinkturen zum Zwecke der "Potenzierung" ist nichts weiter ist als ein Ritual. Es kommt aber im wissenschaftlichen Gewand daher, in Form abstruser Hypothesen: Die Ultrastruktur des Wassers! Quanteneffekte! Epigenetik!

Kann doch sein, dass da etwas dran ist, denkt sich der Laie. Ich versteh's zwar nicht, aber was die Physiker an diesem LHC mit diesen Higgs-Bosonen machen, das versteh ich ja auch nicht.

Was ist Wissenschaft, wo beginnt Pseudowissenschaft? Das ist der Knackpunkt, an dem man dann doch nicht schweigen kann und immer wieder erklären muss, wie Wissenschaft funktioniert, was eine tragfähige naturwissenschaftliche Theorie ausmacht.

Homöopathie als spirituelle Übung

Dass Leute allerlei abstrusen Ideen nachlaufen, wird man nicht verhindern können. New Age-Grüppchen, die an die gesundheitsfördernde Kraft des Erdgeistes glauben, oder Katholiken, die gegen Halsschmerzen den Segen des heiligen Blasius erflehen – das muss man wohl einfach hinnehmen. Ja, man kann diesen spirituellen Strömungen sogar Positives abgewinnen (siehe z. B. die faszinierenden Blogbeiträge des Religionswissenschaftlers Michael Blume zum Thema Einhornglauben). Und wenn man Homöopathie in diesem Sinne als spirituelle Übung ansieht, Placebo-Effekt inklusive, dann fällt sie vielleicht wirklich nicht mehr in die Kompetenz der Naturwissenschaft.

Aber wenn geschäftstüchtige Homöopathie-Unternehmer behaupten, es gebe eine naturwissenschaftliche Basis für das schamanische Treiben in der Globuli-Fabrik: dann bleibt Wissenschaftlern gar nichts anderes übrig, als deutlich zu widersprechen.


Hans Zauner


Illustration: (c) Hermes Furian / Fotolia



Letzte Änderungen: 04.09.2015