Editorial

Kontroverse Affenversuche in Tübingen

(3.2.2015) Mit einem Besuch des Staatsanwalts geht der Streit über Affenversuche am MPI für biologische Kybernetik in die nächste Runde. Ein Kommentar von Leonid Schneider.
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Das Tübinger Max-Planck-Institut für biologische Kybernetik und seine Affenforschung ist wieder in den Nachrichten. Am 27. Januar fand eine Hausdurchsuchung statt, die Begründung: ein Anfangsverdacht der Verstöße gegen das Tierschutzgesetz.

Der Hintergrund der Hausdurchsuchung, bei der auch Unterlagen beschlagnahmt wurden, ist ein Fernsehbericht von SternTV vom September 2014, in dem angebliche Belege für die Misshandlung der Rhesus-Makaken am Tübinger MPI präsentiert wurden. Darauf folgte eine Strafanzeige dreier Tierschutzorganisationen (Ärzte gegen Tierversuche, Erna-Graff-Stiftung für Tierschutz sowie Menschen für Tierrechte) gegen den Institutsdirektor Nikos Logothetis und dessen Kollegen.

Was ist dran an dem Vorwurf der Tierquälerei? Die Makaken werden in Tübingen für neurophysiologische Studien herangezogen (Beispiel mit Methoden hier), wobei ihnen zunächst unter Vollnarkose Elektroden ins Gehirn und in die Augen implantiert werden. Danach werden die wachen Affen in einem Spezialstuhl für die mehrstündigen Experimente fixiert. Das deutsche Tierschutzgesetz besagt, dass Affen nur dann für derartige Versuche eingesetzt werden dürfen, wenn sie dabei freiwillig mitmachen. Der Affe muss sich also selbst in den Stuhl setzen und einspannen lassen. Meist tun die Affen das, als Überzeugungsargument dient ihnen starker Durst. Sie bekommen nämlich längere Zeit vor dem eigentlichen Experiment kaum zu trinken, für das Mitmachen werden sie dann mit Fruchtsaft belohnt.

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Tierschützer eingeschleust

Aktivisten der SOKO Tierschutz und der British Union for the Abolition of Vivisection (BUAV) hatten eine Undercover-Aktion organisiert: Ein als Tierpfleger ins MPI eingeschleuster Tierschützer hat heimlich Fernsehbilder dieser Versuche aufgenommen. SternTV zeigte unter anderem einen offenbar frisch operierten, blutenden Affen, der versuchte, sich die Elektroden aus dem Kopf zu reißen.

Daraufhin kam es zu organisierten Protesten und Demonstrationen, angeblich auch mit Drohungen und Steinwürfen (Hintergrund hier). Die Tierschützer verlangen, dass die Behörden die Genehmigungen der Affenversuche am MPI für biologische Kybernetik aufheben. Auch die weltbekannte Schimpansenforscherin Jane Goodall sprach sich energisch für einen Stopp der Tübinger Versuche aus.

Das MPI bezeichnete die Bilder dagegen als inszeniert und aus dem Zusammenhang gerissen, von Misshandlung könne keine Rede sein. Die von der Max-Planck-Gesellschaft veranlasste Untersuchung durch den Leiter des Deutschen Primatenzentrums, Stefan Treue, stellte fest, dass es keine signifikanten Verstöße gegen das Tierschutzgesetz gegeben habe. Für notwendig hielten die Prüfer lediglich die Einstellung eines zusätzlichen Tierarztes und bessere Überwachungssysteme für das Wohlbefinden der Affen. Auch das zuständige Regierungspräsidium Tübingen hat die Genehmigung der Versuche aufrecht erhalten.

Eine unsachliche Debatte - auf beiden Seiten

Angesichts der irrationalen Brachialwut vieler Tierschützer neigt sich die Diskussion in der Presse gelegentlich dem anderen Extrem zu: für die totale Freiheit der Wissenschaft und deren medizinische Heilversprechen. Der Philosoph Marco Wehr feiert den Tübinger Professor Logothetis in einem FAZ-Kommentar als Genie, quasi mehr als drei Nobelpreise wert. Ihm die Forschung in Tübingen zu verbieten würde bedeuten, schwerkranken Epilepsie-Patienten die Chance auf zukünftige Heilung zu verweigern. Der Mediziner Martin Bleif scheint gar den Standpunkt zu vertreten, dass wir Menschen unsere Forschung nicht von „einer fundamentalistischen Version von Tierethik“ behindern lassen müssen, da nicht-menschliche Tiere (z.B. Katzen) ja auch kein Mitleid gegenüber anderen Spezies (Mäuse) aufbringen. Man merkt, die Debatte wird auf keiner Seite mehr ganz sachlich geführt.

Die Tatsache, dass die Tierschützer oft irrational, selbstsüchtig oder sogar gewaltbereit sind, soll aber nicht davon ablenken, dass sie trotz allem einen wichtigen Punkt ansprechen. Denn in einem stimmen Tierschützer und Wissenschaftler sogar überein: Die Affen sind unsere direkten Verwandten und als solche uns Menschen sehr ähnlich; physiologisch, aber auch was die intellektuelle Leistung angeht. Wer sich mal eine gute Tierdokumentation angeschaut hat, der weiß, zu welchen erstaunlichen intellektuellen Leistungen selbst die kleinen Kapuzineraffen fähig sind. Von größeren Arten oder gar Menschenaffen ganz zu schweigen. Die hohe Intelligenz der Affen macht die neurophysiologischen Experimente in Tübingen schließlich erst möglich. Zunächst einmal geht es darum, fixierten Makaken die Schalterbedienung auf Anweisung beizubringen, was hohe Intelligenz voraussetzt. Nager oder Katzen könnten dem komplexen Versuchsaufbau nicht folgen, egal wie durstig sie wären.

Was bedeutet "freiwillig"?

Nach heutigem Wissensstand kann man davon ausgehen, dass auch manche nicht-menschliche Tiere das Konzept des Todes, auch des eigenen, sehr wohl verstehen. Bei den Menschenaffen ist man sich da recht sicher, auch bei Makaken gibt es eindeutige Hinweise.

Es muss jedenfalls nicht unbedingt ethisch vertretbar sein, wenn ein durstiger und gestresster Affe anscheinend freiwillig in den Fixierstuhl springt, wie es die deutsche Vorschrift festlegt.

Dass nicht die Affen die Weltherrschaft übernommen haben (anders als im bekannten Film), sondern wir Menschen, ist für die Forscher offenbar ein Argument, unsere Verwandten für  Versuchszwecke heranzuziehen. Aber genau deswegen verstehen die Affenschützer es als ihren Auftrag, für die Rechte dieser uns gegenüber machtlosen Tieren einzustehen.

Zumindest in Deutschland ist die invasive und stressverursachende Forschung mit Menschenaffen verboten. Bei Makaken und Co, die nicht zu den Menschenaffen zählen, konnten sich die zuständigen Behörden allerdings nicht zu einem Versuchsmoratorium durchringen. Die Behörden verlassen sich dabei eher auf die Fachmeinung derer, die solche Versuche durchführen.

Das Aufkommen der modernen Gentechnologien kann für die Affen noch ganz andere, viel schwerwiegendere Misshandlungen bringen. Denn nicht wenige Forscher wollen mit Hilfe von neuen Genome-Editing-Werkzeugen die transgenen Mäuse durch transgene Kleinaffenarten ersetzt sehen. Selbst dem nicht gerade als Tierrechtler-Journal bekannten The Lancet wurde anlässlich der Veröffentlichung über erste transgene Marmosetten im Jahr 2009 etwas mulmig. Die Lancet-Redaktion fragte besorgt, wie weit wir denn für die Versprechungen der Krankheitsheilung zu gehen bereit sind, und mahnte bessere Überwachung und einzelfallbasierte Genehmigungen bei der Affenforschung an.

 

Leonid Schneider


Illustration: © nyiragongo - Fotolia.com



Letzte Änderungen: 17.02.2015