Editorial

Tschüss Morpholinos

(16.1.2015) Gen-Knockdown mit Morpholinos ist eine Spezialität der Zebrabärbling-Genetiker. Aber hat die Methode langsam ausgedient?

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Eine schnelle Injektion in die Eizelle und schon ist ein Ziel-Gen spezifisch abgeschaltet. Kein Wunder, dass Zebrabärbling-Forscher begeistert waren, als Ende der 90er Jahre ein damals brandneues Hilfsmittel Furore machte – die sogenannten Morpholinos. Das vermeintliche Wunderwerkzeug füllte nämlich eine dicke Lücke in ihrem Experimentierkasten.

Danio rerio, der Zebrabärbling, hatte sich damals gerade als viel versprechendes Modelltier der Genetiker etabliert, in Deutschland zum Beispiel in den Arbeitsgruppen von Christiane Nüsslein-Volhard (Max Planck Institut für Entwicklungsbiologie, Tübingen) und Wolfgang Driever (Universität Freiburg). Attraktiv ist der Fisch vor allem für das Studium von Embryologie und Organentwicklung.

 Vorwärts, rückwärts, knockout, knockdown

„Forward Genetics“, also das Suchen nach interessanten Phänotypen in groß angelegten Mutagenese-Experimenten, klappt auch prima mit den gestreiften Fischchen. Bei diesem klassischen Ansatz suchen die Genetiker systematisch nach Mutanten, die die Entwicklung bestimmter Organe betreffen, zum Beispiel das Herz. Erst im zweiten Schritt geht es darum, die genaue genetische Ursache aufzuspüren, das mutierte Gen also.

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Unerlässlich ist aber auch der umgekehrte Ansatz, die „reverse Genetik“. Die Möglichkeit also, bestimmte Gene gezielt auszuschalten, um dann hinterher zu sehen, welche Effekte das hat.

Deshalb die damalige Begeisterung für die Morpholinos. Das sind im Chemielabor synthetisierte, kurze, einzelsträngige Nukleotidsequenzen mit einem Rückgrat aus Morpholin anstelle der in der RNA üblichen Ribose (wodurch die künstlichen Sequenzen dem Abbau durch zelleigene Nukleasen entgehen).

In die befruchtete Eizelle injiziert, binden Morpholinos an die Ziel-mRNA und inhibieren die Translation. Für jedes Zielgen muss ein eigenes, spezifisches Morpholino entworfen werden. Die Sequenz ist dabei komplementär zur Region um das Start-Codon der jeweiligen mRNA. Aus den Defekten, die der Embryo aufgrund des Knockdowns eventuell entwickelt, kann der Experimentator auf die Genfunktion schließen.

Die Dosis macht das Gift

Ja, wenn es denn so einfach wäre. Denn hinterhältig an Morpholino-Experimenten ist vor allem die Dosis-Wirkungs-Beziehung, die schwierig in den Griff zu bekommen ist. Neben den spezifischen Effekten, die auf der Hemmung der Translation der jeweiligen mRNA des Zielgens beruhen, haben diese künstlichen Antisense-Oligos nämlich unspezifische, dosis-abhängige Nebeneffekte.

Kritisch ist auch das Zeitfenster, in dem der Knockdown wirksam ist. Denn jede Zellteilung des Embryos „verdünnt“ die Morpholinos und der hemmende Effekt schwächt sich mit fortschreitender Entwicklung des Embryos ab.

Jedes Morpholino-Experiment verhält sich also etwas anders. Es gibt leider kein Universal-Rezept, in welcher Dosierung Morpholinos spezifische Effekte zeigen, und wann unspezifische und toxische Nebeneffekte einsetzen. Um zu entscheiden, welche Effekte tatsächlich mit dem Zielgen zu tun haben, kann man zwar beispielsweise versuchen, die Defekte mit mRNA-Injektionen des jeweiligen Gens zu „retten“. Aber auch das hat seine Tücken.

Alternativlos?

Diese Unwägbarkeiten dämpften die Morpholino-Begeisterung über die Jahre. Diverse Autoren mahnten immer wieder zu Vorsicht und gaben „Best-Practice“-Ratschläge (siehe z.B. hier, hier und hier). Trotzdem waren Morpholinos lange ein unverzichtbares Hilfsmittel vor allem in der Zebrabärbling-Forschung – mangels Alternativen, denn der bei anderen Organismen so beliebte Knockdown mitttels siRNA scheint bei Danio nicht so recht zu funktionieren.

Aber jetzt scheint die Ära der Morpholinos langsam zu Ende zu gehen. Einerseits gibt es mit CRIPSR-Cas und TALEN weit robustere Methoden, um Gene im Zebrabärbling gezielt auszuschalten (siehe z.B. diesen Laborjournal-Artikel) . Die neuesten Wunderwaffen sind dabei auch nicht sehr viel aufwändiger als eine Morpholino-Injektion, sobald das System einmal etabliert ist.

Zum anderen sind Morpholino-induzierte Knockdown-Phänotypen in der Rückschau vielleicht noch unzuverlässiger als gedacht, wie eine kürzlich an der Universität Worcester (USA) entstandene Arbeit zeigt, die Morpholino- und Mutanten-Phänotypen vergleicht (Fatma Kok et al, Dev. Cell 32/1).

Nur in 5 der 24 von Kok et al. untersuchten Gene stimmt der Phänotyp der Mutante mit dem Morpholino-induzierten „Knockdown“ überein. Insbesondere zeigen früher publizierte Morpholino-Daten oft einen scheinbar spezifischen Effekt, obwohl die entsprechende Knockout-Mutante völlig unauffällig aussieht.

Reviewer waren schon in der Vergangenheit kritisch gegenüber Morpholino-Daten, vor allem wenn sie nicht durch andere Experimente verifiziert werden konnten. Aber die eher deprimierenden Ergebnisse der neuen Vergleichs-Studie, zusammen mit den Alternativen, die es mittlerweile gibt, könnten mehr oder weniger das Aus für die Methode bedeuten.

Es mag noch vereinzelte Anwendungen geben, und als Ergänzung zu anderen Indizien können Morpholinos vielleicht auch in Zukunft ihre Nische haben. Auch in Nicht-Modell-Organismen, bei denen andere Verfahren der reversen Genetik nicht etabliert sind oder nicht funktionieren, könnten die künstlichen Antisense-Oligos noch wertvolle Dienste leisten. Aber der große Morpholino-Enthusiasmus dürfte verflogen sein.

Bald wird man sich beim Studium alter Papers vielleicht wundern, welche ausgefallenen Methoden die Fisch-Forscher damals im Repertoire hatten.

 

Hans Zauner



Letzte Änderungen: 17.02.2015