Editorial

Universitäten in der Bürokratie-Falle

(8.1.2015) Verwaltungs-Wildwuchs: An deutschen Universitäten tummeln sich mehr Bürokraten als Forscher und Lehrer.
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„Das Prekariat der befristeten Uni-Angestellten wächst, die Verwaltung wuchert“. Das ist ein Lieblingsthema des Laborjournal-Autors Axel Brennicke („Ansichten eines Profs“). Jetzt haben Brennicke und Björn Brembs in einem Artikel in der FAZ gezeigt, dass der Wildwuchs der Verwaltung nicht nur im Kopf der Forscher und des Laborjournal-Kolumnisten existiert, sondern mit harten Zahlen des statistischen Bundesamtes belegt werden kann.

Ein Zitat aus dem Artikel zeigt das Ausmaß der Fehlentwicklung: „Jeder vollzeitbeschäftigte Wissenschaftler einer deutschen Universität wird im Schnitt von 1,28 Personen verwaltet. Von diesen 182 255 Verwaltungsangestellten müssen lediglich 25 Prozent um ihre Fortbeschäftigung bangen, gegenüber mehr als fünfzig Prozent in Forschung und Lehre.“

Die Herrschaft der Bürokraten

An deutschen Unis, wo eigentlich Kreativität und Forschergeist zuhause sein sollten, regiert also zunehmend die Bürokratie. Dazu passt, dass Forscherleistung weitgehend nach sinnfreien, aber von der Verwalterdenke leicht erfassbaren Kriterien bewertet wird, wie dem leidigen Impact Factor oder der Höhe der eingeworbenen Drittmittel. Als ob nur teure Forschung auch gute Forschung wäre.

Editorial

Zunehmende Ineffizienz mit zunehmender Komplexität des Apparats - das ist ein ebenso altes wie scheinbar unausrottbares Problem, mit dem sich schon die Bauern im alten Ägypten herumschlagen mussten (*).

Am Anfang stand eine simple Idee. Durch ein paar vertikale Wassergräben konnten die Siedler am Nil die Felder entlang des Flusses bewässern und so mit wenig Aufwand bessere Ernten einfahren. Aber als die Bauern nach und nach immer mehr Felder erschlossen, wurde das System aus Kanälen und Schleusen reichlich komplex. Verwalter kümmerten sich fortan darum, die Bewässerung am Laufen zu halten. Lukrative und begehrte Jobs entstanden. Schleusenwärter, Hilfs-Schleusenwärter, Schleusenwärter-Aufseher und Hilfs-Schleusenwärter-Aufseher stapften über die antiken Felder, bezahlt mit den Steuern der Bauern. Aber damit nicht genug. Denn um dieses Heer an Verwaltern im Griff zu behalten, stellte der Pharao noch mehr Bürokraten ein, zum Beispiel Lohnlistenverwalter, Lohnlisten-Assistenten, Sendboten, Streitschlichter und diverse andere Posten und Pöstchen.

... und jeder hält sich für unersetzbar

Je mehr sich aber die Verwaltung aufblähte, desto geringer fiel der Ertrag pro Nase aus – denn die Bauern mussten plötzlich nicht nur sich selbst und ihre Familien, sondern auch das Bürokraten-Heer des Pharaos unterhalten. Die wiederum denken natürlich alle, unersetzlich zu sein, obwohl gar nicht so recht klar ist, ob und wie viel sie eigentlich konkret zum Ernteerfolg beitragen. Auf Dauer war das System untragbar.

Sinkender Ertrag bei zunehmender Komplexität der Organisation und eine sich selbst immer weiter aufblähende Verwaltung: Dieser Zwickmühle begegnet man immer wieder in verschiedensten Zusammenhängen, von der ganz großen Ebene der Makro-Ökonomie (Der Anthropologe David Graeber spricht von „Bullshit Jobs“, die überall im modernen Kapitalismus wuchern) bis hinunter zu individuellen Forschungsprojekten. Wie Brembs und Brennicke zeigen, ist es an deutschen Unis nun also so weit, dass jeder Forscher von durchschnittlich 1,28 Bürokraten umsorgt wird. Wie lange kann das noch gut gehen?

Ein anderes Beispiel für den fatalen Hang zur bürokratischen Selbst-Aufblähung: Die Idee des Peer Review wissenschaftlicher Journale ist eigentlich so einfach wie das Anlegen eines simplen Bewässerungsgrabens für einen antiken Bauern. Kollegen schauen sich die Arbeit noch mal an, weisen auf Fehler hin und geben Tipps, bevor die Autoren damit an die Öffentlichkeit treten. Einfacher geht's nicht. Aber auch aus der guten Idee des Peer Review wurde im Lauf der Zeit ein bürokratisches Monster, ein seltsam ritualisierter Prozess mit langwierigen Entscheidungswegen und seitenlangen „Instructions for authors“ - organisiert von kommerziellen Verlagen, die dafür eine Gewinnmarge von 30-40% einstreichen.

Verschlanken! Vereinfachen! will man da rufen. Schwieriger ist schon die Frage, wie das denn gehen soll. Manchmal können Innovationen die Antwort sein. Zum Beispiel hat das Internet das bisher noch kaum genutzte Potential, die Mittelsmänner aus dem Publikationsprozess wissenschaftlicher Artikel einfach herauszuwerfen (siehe zum Beispiel hier).

Einen möglichen Ausweg aus der Bürokratisierungsfalle des Forschungsbetriebs an Universitäten nennen Brembs und Brennicke in der FAZ auch: Könnte man nicht mehr Wissenschaftler als bisher dauerhaft anstellen, und so Kontinuität und Kompetenz in der eigentlichen Forschungsarbeit sichern, anstatt dem Ausufern der Bürokratie auf Kosten der Forschung tatenlos zuzusehen?

Aber das kann meiner Meinung nach nur klappen, wenn die Forschung selbst auch schlanker wird. Denn die immer größeren und immer teureren Unterfangen gerade in den Lebenswissenschaften spielen den Bürokraten in die Hände. Je mehr Geld im Spiel ist, je aufwändiger Projekte und Anträge werden, desto größer ist auch das Betätigungsfeld für Schreibtischtäter aller Art. Seit vielen Jahren geht der Trend aber hin zu „Big Science“, also zu sündteuren Riesenprojekten mit entsprechend bürokratischem Überbau. Man denke an das umstrittene ENCODE - Projekt, oder an das nicht minder zweifelhafte Human Brain Project.

Kritiker beklagen schon lange, dass derart durch-organisierte und zentral gesteuerte Vorhaben der Tod individueller Forscher-Kreativität sind, weil Wissenschaftler dabei zu Technikern degradiert werden, während die Verwalter-Seele aufblüht. Eigene PR-Abteilungen sorgen aber dafür, dass Aufmerksamkeit für solche Groß-Projekte generiert wird, ganz unabhängig vom wissenschaftlichen Ertrag. Klar, wenn hunderte Millionen in so ein industrialisiertes Forschungsmonster gesteckt werden, ist das alleine schon eine Nachricht wert, und die Politiker brüsten sich auch gerne damit.

Small Science stärken!

Unter die Räder gerät dabei „Small Science“, die schlanke, überschaubare Arbeitsgruppe traditioneller Prägung, deren forschende Mitarbeiter an ihren eigenen, selbst entworfenen Projekten arbeiten. Die gilt es zu stärken – denn pro Nase gerechnet kommt dabei wohl mehr heraus als bei bürokratielastigen Mammut-Vorhaben. Auch das ist keine neue Erkenntnis (siehe z.B. Bruce Alberts Beitrag aus dem Jahr 1985).

Aber wie man gute Wissenschaft "von außen" erkennen und halbwegs objektiv bewerten kann, jenseits von Impact Factor und Drittmittel-Kennzahlen, ist bei all dem das große ungelöste Problem. Denn es sollte ja idealerweise schon so sein, dass diejenigen dauerhaft an Universitäten forschen und dafür Gelder bekommen, die am besten dafür geeignet sind und sich durch ihre Leistungen ausgezeichnet haben.

Im Moment läuft das leider anders, wie Brennicke und Brembs beklagen: „Die Ökonomisierung des internationalen Universitätsbetriebes hat dazu geführt, dass nur Wissenschaftler eine Stelle bekommen, die teure Forschung gut verkaufen können. Ob diese Verkäufer auch verlässliche Wissenschaft machen, ist reine Glückssache.“

 

Hans Zauner

Illustration: (c) Firma V / Fotolia

 

(*) Die Idee für das blumige Bild mit den ägyptischen Bauern ist nicht von mir, ich konnte die Original-Quelle aber leider nicht mehr ausfindig machen - wenn ein Leser über den Urheber  Bescheid weiß, bitte melden!



Letzte Änderungen: 17.02.2015