Editorial

Peer Review für alle

(16.12.2014) Die Zukunft des wissenschaftlichen Publizierens hat begonnen, berichtet Leonid Schneider im zweiten Teil seines Beitrags über die Tagung der Max Planck Open Access Ambassadors in München.
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Das System der etablierten Abo-Journals ist krank, mit wenig Aussicht auf Besserung. Das ist die eine Sichtweise, meist geteilt von jungen Forschern, die die Mehrheit der Tagungsteilnehmer in München ausmachten. Die andere Sichtweise besagt, dass die Wissenschaft nun mal ein Wettbewerb ist, in dem survival of the fittest gilt. So denken oft Wissenschaftler, die unter dem althergebrachten System beeindruckende Karrieren vorzuweisen haben. Diejenigen, die unfaire Zustände beklagen, sind dieser Sicht zufolge zu Recht aussortierte, inkompetente oder schlicht neidische Verlierer.

Das würde aber nur Sinn ergeben, wenn nicht täglich neue Meldungen über Retractions, Nicht-Reproduzierbarkeit, Datenmanipulationen und andere Arten wissenschaftlichen Fehlverhaltens erscheinen würden, beispielsweise bei RetractionWatch.

Der Nobelpreisträger und die Platzhirsche

Wie kam es zu diesen Fehlentwicklungen? Der Nobelpreisträger Randy Schekman hat es mit der Sensationsgier der Platzhirsche erklärt und zum Boykott des Trios Nature-Cell-Science aufgerufen (mehr dazu hier). Das andere Problem ist das Peer-Review, des Öfteren mit der Demokratie verglichen als die am wenigsten schlechte Option unter üblen Alternativen. Denn genau wie im Sozialismus, dessen an sich gute Idee an der menschlichen Natur scheiterte, so wird auch das Peer-Review von unvermeidlichen menschlichen Charakterschwächen geplagt.

Der anonyme und intransparente Prozess verleitet Autoren, Referees und Editoren dazu, sich entweder gegenseitig Papers zuzustecken, die Konkurrenz rücksichtslos zu hintertreiben oder gar persönlich zu verunglimpfen.

Selbst seriöse OA-Journals, die eigentlich das verrostete System herausfordern wollen, wagen es zu selten, die Anonymität und Geheimnistuerei zu durchbrechen. Die Begründung: Die Wissenschaftler selbst würden es nicht wollen.

Sind Wissenschaftler die besseren Editoren?

Das muss aber nicht unbedingt so bleiben, wie ich auf der Münchener Tagung gelernt habe. Ein Stargast war nämlich Randy Schekman selbst, der das neuartige Redaktionskonzept „seines“ Journals eLife vorstellte (Schekman ist dort Editor-in-Chief). Zunächst einmal setzt eLife auf akademische Editoren, also aktive Wissenschaftler. Die hauptberuflichen Editoren von Nature und Cell mögen zwar eine gute Nase für heiße Storys haben, mit der experimentellen Seite der Wissenschaft haben sie aber oft schon seit Jahrzehnten nichts mehr am Hut. Der Fall STAP ist ein gutes Beispiel, wie leicht das schief gehen kann.

Bei eLife bleiben die Referees in der Regel nicht anonym. Zudem erstellen sie eine gemeinsame Empfehlung mit dem akademischen Editor. Die Autoren bekommen so statt zwei bis vier sich oft widersprechende Gutachten ein einziges Dokument, mit einer Liste experimenteller und stilistischer Verbesserungsvorschläge, die alle Referees samt Editor nach der gemeinsamen Diskussion als unbedingt notwendig erachten.

Niemand kann mehr willkürlich aus der Anonymität heraus groß angelegte Zusatz-Versuche oder andere zeitraubende Mega-Revisionen fordern. Das Ziel ist die zügige Publikation, und nicht deren Hintertreibung. Wie mir Mark Patterson, Executive Editor bei eLife, erklärte, verhalten sich die Referees produktiver und objektiver, sobald sie sich nicht mehr hinter der Anonymität verstecken können.

Wenn die erste Begutachtungsrunde ergibt, dass das Paper nach Revisionen für die Publikation in eLife geeignet ist, bräuchten die Autoren laut Schekman im Durchschnitt nur einige Wochen, um eine überarbeitete Version ihres Manuskripts vorzulegen. Der Editor entscheidet dann in der Regel ohne weitere zeitraubende Konsultationen über die endgültige Annahme.

Ambitionen jenseits des Impact Factors

Anschließend wird das Paper samt Referee-Gutachten und Autor-Rebuttal veröffentlicht. Mit diesem Konzept ist eLife, auch dank der Unterstützung der Max-Planck-Gesellschaft (MPG), des britischen Wellcome Trust und des US-amerikanischen HHMI, auf dem besten Weg, Nature und Cell Konkurrenz zu machen. Trotz der hohen Ambitionen seines Journals meinte Schekman, der Impact Factor (IF) sei ihm grundsätzlich egal. Dennoch ist eLife bei den eingereichten Manuskripten wählerisch, 80% werden abgelehnt. Ähnlich also wie bei der Konkurrenz, die den IF durch übertrieben hohe Ablehnungsraten künstlich hochtreibt.

Offenes Peer-Review ist nicht mehr tabu, oft aber optional, und viele Referees bleiben dann doch lieber anonym. Das Peer Review nachträglich transparent zu machen reicht aber nicht. PLOS One bietet beispielsweise die Möglichkeit, die veröffentlichten Artikel nachträglich online zu kommentieren. Diese Option wird von den Lesern eher selten genutzt, vielleicht auch deshalb, weil die Kommentare rückwirkend kaum etwas verändern können. Das Paper ist ja bereits in seiner Letztfassung erschienen. Das Konzept des post-publication-peer-review  (PPPR) ist daher womöglich der richtige Weg.

Eine spezielle Form des PPPR erläuterte bei der Münchener Tagung der Mainzer MPI-Direktor Ulrich Pöschl, anhand seines Journals "Atmospheric Chemistry and Physics" (ACP). Dort wird das eingereichte Manuskript nach einer kurzen Durchsicht durch Editoren (Stichworte: Plagiate, Pseudowissenschaft) sofort online publiziert, als sogenanntes „Discussion Paper“. Während die Editoren wie gehabt die Referees einladen, kann jeder Leser das Discussion Paper öffentlich kommentieren, und die Autoren können auch parallel auf die Kommentare antworten. Nach acht Wochen beendet der Editor das Peer Review und erstellt eine Anweisung für Autoren, die die Empfehlungen der Referees wie auch Ideen der Kommentatoren einbezieht.

Viele Augen sehen mehr

Am Ende können die Autoren ein revidiertes Paper einreichen, das als finale Fassung im Journal erscheint. Interessierte Leser können die gesamte Historie des Papers einsehen, inklusive Ursprungsfassung und sämtlicher Reviews und Kommentare, mit Namen versehen und einzeln zitierbar. Auf diese Weise wird beides kombiniert, die spezifische Fachkompetenz des klassischen Peer-Review und die Aufmerksamkeit der Leserschaft, die mit ihren vielen Augen oft Dinge sieht, die den Referees entgehen.

Laut Pöschl bekommen die akademischen Editoren und Referees mehr Anerkennung durch Veröffentlichung ihrer Berichte und werden sogar entlastet, denn die Autoren geben sich deutlich mehr Mühe mit ihren Manuskripten. Denn niemand möchte sich gern mit einem schlampig zusammengeschusterten Discussion Paper öffentlich blamieren.

Ähnliche PPPR-Modelle werden von der Copernicus Verlagsgruppe verfolgt, weiterhin von F1000 Research und PeerJ, die sich eher auf biomedizinische Forschung spezialisieren. Das Verlagsnetzwerk Science Open geht noch einen Schritt weiter. Die Gutachter werden dort nicht mehr von Editoren bestellt, sondern jeder Wissenschaftler, der sich für das Discussion Paper interessiert, kann sich online als Referee anmelden. Man muss sich nur anhand des ORCID-Profils und der Publikationsleistung als echter Wissenschaftler und als kompetent ausweisen (Stichwort: Peer-Review Betrug).

Pöschls ACP-Journal ist ein durchschlagender Erfolg und genießt unter Fachkollegen hohes Ansehen. Biomedizinische PPPR-Journals wie F1000 Research oder PeerJ haben aber keinen elitären Ruf, unter anderem weil deren Ziel ja ist, möglichst viel zu publizieren, statt möglichst viel abzulehnen.

Aber was wäre denn eigentlich falsch daran, wenn man die publizierte Forschung endlich für sich allein sprechen ließe?


Leonid Schneider

Illustration: © Romolo Tavani  / Fotolia



Letzte Änderungen: 17.02.2015