Editorial

Viren vor Gericht

(10.12.2014) Das Landgericht Ravensburg hat einen Gutachter beauftragt, um Dokumente zur Existenz der Masern-Viren auf ihre Stichhaltigkeit zu prüfen. Es geht um 100.000 Euro.
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Masern-Viren existieren – ein junger Mediziner aus Homburg habe entsprechende Belege aus der Fach-Literatur vorgelegt. Das soll ein Gutachter aus Rostock im Auftrag des Landgerichts Ravensburg jetzt bestätigt haben, meldete die Online-Ausgabe der Schwäbischen Zeitung am Montag.

Verwirrt? Warum beschäftigt sich ein Gericht mit der Existenz von Viren? Sind dafür nicht Naturwissenschaftler zuständig? Und – die Frage drängt sich schon ein wenig auf – ist nicht längst geklärt, dass es das Masern-Virus gibt, auch ohne richterlichen Segen aus Schwaben?

Die skurrile Geschichte geht so, in aller Kürze: Dr. Stefan Lanka ist ein Impfgegner der Extraklasse im Dunstkreis der „Germanischen Neuen Medizin“. Nicht nur lehnt er die STIKO-empfohlenen Impfungen als unwirksam und gefährlich ab. Auch die schiere Existenz krankheitsverursachender Viren leugnet der promovierte Biologe aus Langenargen. Die Ursache für Infektionskrankheiten wie Masern oder auch AIDS seien folglich woanders zu suchen.

Um zu untermauern, wie ernst er es mit dieser mehr als unorthodoxen Ansicht meint, lobte er 2011 einen Preis aus: 100.000 Euro bot er für die Vorlage von Belegen für die Existenz der Masern-Viren.

Der Mediziner David Bardens hatte die Herausforderung angenommen und machte sich an die (gar nicht so schwierige) Literatursuche. Er sandte relevante, in den üblichen Literaturdatenbanken leicht auffindbare wissenschaftliche Arbeiten und Übersichtsartikel an Lanka und bat um umgehende Auszahlung der hübschen Summe. Der wollte aber nicht löhnen, also verklagte Bardens ihn. Der Mediziner hatte sich zuvor schriftlich versichern lassen, dass das Angebot ernst gemeint ist.

Der „Scherzparagraph“, wonach eine derartige Absichtserklärung nur dann bindend ist, wenn sie wirklich ernst gemeint ist, greift also schon mal nicht; auch deshalb, weil Lanka aus offensichtlichen Gründen kein Interesse haben kann, sich durch dieses juristische Hintertürchen davonzustehlen. Vielmehr hält er die vorgelegten Belege für nicht ausreichend und gab sich bisher stets siegessicher, dass das Gericht seine Meinung teilen werde.

Und so blieb dem Richter nach einer Anhörung im April nichts anderes übrig, als tatsächlich in die Fachfrage einzusteigen – ein außergewöhnlicher Fall deutscher Rechtsgeschichte. Denn wann fällt es schon mal in die Zuständigkeit der Juristerei, über „richtig oder falsch“ fundamentaler Erkenntnisse der Naturwissenschaft zu befinden?

Falls die nicht genannte „sichere Quelle“ der Schwäbischen Zeitung recht hat, so kam der virologisch versierte Gutachter aus Rostock jetzt also zum (darf man sagen: unvermeidlichen?) Ergebnis, dass die vorgelegten Studien die Existenz der Masernviren belegen. Es könnte Lanka  nun wirklich an den Geldbeutel gehen, wenn der Prozess im März 2015 fortgesetzt wird. Das wäre ein doppelter Gewinn für den Impfgedanken: Nicht nur wäre Lankas 100.000-Euro-Preis als das entlarvt, was er ist, nämlich ein albernes Propaganda-Spielchen.

Bardens hat zudem angekündigt, das Geld im Erfolgsfall für Impfkampagnen in Entwicklungsländern zu spenden. Vakzine finanziert aus der Schatulle eines Ultra-Impfgegners – das wäre eine schöne Schlusspointe dieser skurrilen Episode.

 

Hans Zauner


Illustration: © Africa Studio / Fotolia



Letzte Änderungen: 05.02.2015