Editorial

Die verfolgte Unschuld

(7.11.2014) Ein US-Professor will mit Hilfe seiner Anwälte die Anonymität der Review-Plattform PubPeer brechen. Für Kritiker dubioser Forschung ist das ein böses Omen, meint Leonid Schneider.
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Im Sommer 2014 sollte Dr. Fazlul Hoque Sarkar an die Universität von Mississippi berufen werden. Die Uni legte sich ins Zeug und bot unter anderem 750,000 Dollar Startup-Hilfe, 350,000 Dollar Jahresgehalt, zwei Forschungsstandorte sowie Stellen für  Juniorprofessoren und Postdocs. Nun gönnten aber Kleingeister dem guten Professor Sarkar die traumhafte Karriere nicht.

Leser der Internetseite PubPeer, einer Plattform für Post-Publication-Peer-Review (PPPR), kommentierten etwa 50 seiner Publikationen. Die Beiträge bei PubPeer sind selten lobender Natur, des Öfteren decken die Kommentatoren vermutete Manipulationen und andere Unstimmigkeiten auf. Neulich wurde beispielsweise ein Paper bei PNAS zurückgezogen, offenbar dank der aufmerksamen PubPeer-Community. Auch in einigen Arbeiten Sarkars fanden die Leser Unstimmigkeiten (Beispiel hier). Wie die Internetseite RetractionWatch berichtet, wurde die Universität von Mississippi anonym über die Funde der PubPeer-Community informiert. Die Uni kündigte daraufhin einseitig den Arbeitsvertrag mit Sarkar, bevor dieser überhaupt die Arbeit aufnehmen konnte. Die Begründung: Die Forschung und die Glaubwürdigkeit der Universität seien gefährdet, angesichts der öffentlichen Anschuldigungen.

Anonyme Kritiker unter Beschuss

Was danach kam, ist erstaunlich und zugleich brenzlig für die Zukunft der Wissenschaft. Denn Sarkar holte sich umgehend Rechtsbeistand. Nicht etwa, um von der University of Mississippi die Vertragserfüllung einzuklagen (wie es übrigens Thomas Skutella gegen die Uni Heidelberg gelang). Da sah Sarkar, der ja trotz allem sicher auf einem Lehrstuhl der Wayne State University (Detroit, Michigan) sitzt, wohl keine Hoffnung auf Erfolg. Stattdessen will er die (bisher anonymen) PubPeer-Kommentatoren verklagen, die ihm mit ihrer PPPR-Detektivarbeit Scherereien eingebrockt haben.

Seine Rechtsanwälte reichten Klage wegen Verleumdung ein, sowie eine gerichtliche Aufforderung auf Herausgabe der Klarnamen der Kommentatoren bis zum 10. November 2014. Die Argumentation der Juristen: Keines der kritisierten Paper wurde zurückgezogen, und Korrekturen gab es auch nur für knapp zwei Prozent seiner über fünfhundert Publikationen. Für seine Anwälte ist Sarkar daher unschuldig ­– was juristisch gesehen zweifellos der Fall ist.

Faire Kritik oder Verleumdung?

Andererseits sprechen Sarkars Daten bei näherem Hinsehen eine andere Sprache. Dass es (noch!) keine Retractions gab, kann auch an der Redaktionspolitik bestimmter Journals liegen. Und dass es anscheinend noch keine Untersuchung an der Wayne State University gibt, ist auch kein Persilschein. Jedenfalls hatten die RetractionWatch-Leser erbittert diskutiert, ob Sarkar für die Datenmanipulationen persönlich verantwortlich ist, wie schwerwiegend diese sind, und ob die Auflösung des Berufungsvertrags rechtens ist, ohne gerichtlich verwendbare Beweise für eine persönliche Schuld.

War es nun faire Kritik oder Verleumdung, den Vorwurf der Bildmanipulation Dr. Sarkar persönlich anzukreiden? Schließlich war er nicht der einzige Autor. Aber als Corresponding Author ist er zuständig, zu den Vorwürfen Stellung zu nehmen – und die Missverständnisse entweder überzeugend aufzuklären, oder die Publikationen zurückzuziehen. Leider bot Sarkar bis jetzt keine zufriedenstellende Erklärung, weder zu den Vorwürfen der Bildmanipulationen noch zu deren Urheber. Ein reuiger Angestellter fand sich bisher ebenfalls nicht (anders als im Fall von Amy Wagers, die ihre Karriere in Harvard fortsetzen konnte, nachdem ihre ehemalige Postdoktorandin die alleinige Verantwortung für Datenmanipulationen übernahm). Daher bleiben nach aktuellem Stand die Anschuldigungen an Sarkar persönlich hängen, als Projektleiter und korrespondierender Autor.

Die wichtigste Frage ist nun: war die „rufschädigende“, öffentliche Kritik an Sarkars Publikationen – und die damit einher gehende Unterstellung wissenschaftlichen Fehlverhaltens – zulässig? Sarkars Rechtsanwalt Nicholas Roumel erklärte dem Magazin Science, eine Publikation sei eine Art private Geschäftsbeziehung zwischen Wissenschaftler und Journal, Dritte hätten daher keinen Anspruch auf Einsicht in die Rohdaten. Das ist grober Unfug, und man sollte hoffen, dass die Richter das genauso sehen. Publikationen sind per Definition öffentlich, sie sind nun mal „publik“, und jedem muss es freistehen, Stellung zu nehmen und eventuelle Unstimmigkeiten öffentlich aufzuzeigen.

Whistleblower leben gefährlich

Dem Privatmensch Fazlul H. Sarkar steht natürlich jeder rechtliche Schutz der Privatsphäre zu. Die PubPeer-Kommentatoren haben sich aber mit der Tätigkeit des Wissenschaftlers Sarkar befasst, der mit Publikationen an die Öffentlichkeit trat. Und während der Wissenschaftler Sarkar schweigt und seine Anwälte reden und handeln lässt, sprechen seine Daten für sich. Jeder ist eingeladen, die Papers selbst anzuschauen und zu kommentieren.

Sarkar hat aber jetzt schon erreicht, dass Leser weniger mutig sind, anonyme PPPR-Kommentare bei PubPeer oder RetractionWatch zu hinterlassen. Denn es könnte ja passieren, dass die Klarnamen Anwälten zugeführt werden. Sarkar kann so das gesamte Konzept des anonymen PPPR zunichtemachen, alleine mit der Androhung, die Anonymität zu brechen und die Kommentatoren mit Verleumdungsklagen zu überziehen. Die Forschung wäre dann wieder da, wo sie noch vor ein paar Jahren war. Ein Paper galt als ins Stein gemeißelt und nicht mehr diskutierbar, sobald man Editor und Reviewer überzeugt hatte. Auch wenn jemand zu wissen glaubte, was an den Publikationen eines einflussreichen Forschers nicht stimmte, blieb man stumm oder teilte sein Wissen höchstens im kleinen Kreis der verschwiegenen Vertrauten.

Whistleblowing wird von etablierten Professoren nicht unbedingt gern gesehen. Oft bekommen „Nestbeschmutzer“ Ärger, ehe die Beschuldigten zu den Vorwürfen überhaupt Stellung nehmen müssen (wie vor kurzem in Mainz). Bevor es anonymen PPPR wie bei PubPeer und Pubmed Commons gab, setzte man als Whistleblower seine akademische und berufliche Zukunft auf Spiel (und verlor meist). Wenn Sarkars Strategie Erfolg haben sollte, könnte es bald wieder so sein. Keine schöne Perspektive.

 

Leonid Schneider


Illustration: (c) Sergey Nivens / Fotolia



Letzte Änderungen: 04.01.2015