Editorial

Morbus Nobel

(30. September 2014) Für Wissenschaftler ist er die größte anzunehmende Auszeichnung: Der Nobelpreis. Aber unter den Geehrten gab es in der Vergangenheit einige, denen der Preis gar nicht gut bekommen ist.
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Schlafstörungen im Frühherbst. Eine elitäre Handvoll Wissenschaftler leidet jedes Jahr daran. Vielleicht googelt der eine oder andere von Unruhezuständen geplagte Forscher schon Begriffe wie “Danke sagen auf Schwedisch“. Klarer Fall: Die Verkündung der Nobel-Preise steht an, nächste Woche ist es so weit.

Ob die prestigeträchtigste aller prestigeträchtigen Auszeichnungen ein Fluch oder ein Segen ist, traut man sich fast nicht zu fragen. Die Kohle ist jedenfalls kaum der Rede wert. Das Preisgeld der Nobel-Stiftung, acht Millionen Schwedische Kronen (ca. 870.000 Euro), muss man sich meist auch noch mit zwei, drei nervigen Konkurrenten Kollegen teilen. Beim in Sachen Prestige vergleichsweise popligen „Breakthrough Prize in Life Sciences“ gibt’s dagegen glatte 3 Millionen Dollar (2,3 Millionen Euro) – und das ohne lästige Aufmerksamkeit der Weltöffentlichkeit.

Sockelheilige und Orakel

Denn falls der Preisträger (leider unwahrscheinlicher: die Preisträgerin) überhaupt noch aktive Forschung macht, so ist es spätestens mit dem Aufstieg in den Forschungsolymp damit vorbei. Die Medaille mit dem Porträt Alfred Nobels macht aus weithin unbekannten Spezialisten über Nacht nationale Sockelheilige und allwissende Orakel in Personalunion. Denn offenbar qualifiziert der nordisch-kühle Händedruck des schwedischen Königs automatisch zum Universal-Experten für alle wissenschaftlichen – und diverse außer-wissenschaftliche – Probleme des 21. Jahrhunderts. Höflich ignoriert wird dabei gerne, dass die zugrunde liegende Heldentat oft Jahrzehnte zurück liegt und die Forschungskarawane den alten Haudegen und seine jugendliche Pionierleistung längst hinter sich gelassen hat.

An der Universität Berkeley gibt es wenigstens einen handfesten Vorteil für Nobelpreisträger, der das Leiden in Talkshows und Magazin-Interviews ein wenig aufwiegen dürfte: Die Geehrten dürfen dort direkt vor der Tür parken, auf eigens reservierten Stellplätzen. Letztes Jahr wurde wieder einer dieser elitären Parkausweise ausgestellt, an den Zellbiologen Randy Schekman. Der wird seither oft zu seinen abfälligen Bemerkungen über die Magazine Nature und Science interviewt, und selten zu seiner aktuellen Forschung.

Aber immerhin hat sich Schekman mit seinem Glamour-Magazin-Bashing eine sinnvolle Lautsprecher-Funktion ausgesucht. Einige seiner Vorgänger waren da weniger clever und erlagen einer Maläse, für die hämische Kommentatoren die Bezeichnung „Nobel Disease“ oder „Nobelitis“ erfanden. Denn ähnlich wie der Fluch der Pharaonen reihenweise Ägyptologen niederstreckte, scheint auch der Geist Alfred Nobels denjenigen keine Ruhe zu lassen, die in seinem Namen ausgezeichnet werden.

Fasziniert von schwebenden Tischen

Nobelitis ist leicht zu diagnostizieren: Der Betroffene redet wirres Zeug. Schon das Ehepaar Curie (Nobelpreis Physik 1903) hatte es erwischt. Insbesondere Pierre Curie war fasziniert von den „Fähigkeiten“ des italienischen Mediums Eusapio Palladino. Die Dame verfügte angeblich nicht nur über blendende Kontakte zur Geisterwelt, sondern brachte auch Tische und andere Gegenstände zum Schweben. Derlei Begabungen für möglich zu halten vertrug sich schon damals nicht unbedingt mit einer wissenschaftlich-skeptischen Grundhaltung. Noch dazu hatten schon Zeitgenossen die Taschenspieler-Tricks der Signora Palladino durchschaut und klärten darüber auf.

Der bekannteste Fall von Morbus Nobel dürfte aber den amerikanischen Biochemiker Linus Pauling erfasst haben. Gleich zweimal hatte er den Preis eingesackt (1954, Chemie und 1963, Frieden) – vielleicht fiel deshalb seine Nobelitis besonders heftig aus.

Pauling verfiel auf seine alten Tage dem Glauben an die segensreiche, tumorhemmende Wirkung hoher und höchster Vitamin C-Gaben. Er selbst löffelte Ascorbinsäure grammweise. Zusammen mit einem Kollegen machte er sich daran, seine Hypothese „wissenschaftlich“ zu untermauern. Eine klinische Studie an Krebs-Patienten musste her. Die war aber von haarstäubender Qualität, auch nach den Maßstäben der 70er Jahre. Kontrollen und Verblindung waren mangelhaft oder fehlten ganz und die Datenanalyse ist ein Lehrstück in Sachen „Cherry-Picking“.

Nebenbei bemerkt: Dass Paulings Vitamin-C-Werbung noch heute Einfluss in „alternativmedizinischen“ Zirkeln hat, liegt auch daran, dass er diesen Humbug in Form mehrerer Publikationen in den angesehenen Proceedings der Academy of Sciences der USA (dem Journal PNAS also) unterbringen durfte – ohne den üblichen Peer Review durch Leute, die sich mit klinischen Studien auskennen (Wie das geht, sogar heute noch, hat Leonid Schneider kürzlich hier erklärt).

Variationen der wirren Rede

Die Reihe ließe sich fortsetzten. Von Schrödingers „Quantenmystik“ bis zu den Thesen eines Luc Montagnier (Nobelpreis 2011) über heilende Radiowellen, die von der DNA diverser Bakterien und Viren ausgehen sollen: In den Annalen der Nobelpreisträger findet man alle Spielarten der wirren Rede, von leicht verschrobenen Ansichten bis hin zu ausgemachten Psychosen und Verfolgungswahn.

Den unschlagbaren Rekord für den kürzesten Zeitraum zwischen Preisverleihung und mentaler Diarrhöe hält übrigens der Verhaltensforscher Nikolaas Tinbergen. Schon in seiner Stockholmer Dankesrede fing er an, über „Refrigerator Mums“ zu schwadronieren, über „Kühlschrank-Mütter“ also, die durch fehlende mütterliche Wärme Autismus bei ihren Kindern auslösten.

Wer auch immer also nächste Woche den Anruf aus Stockholm bekommt (und drüben im Laborjournal Blog gibt's Spekulationen zu potentiellen Opfern): Glückwunsch schon mal im Voraus. Toll, was Sie damals vollbracht haben. Unser Beileid, endlosen Schwatzbuden-Veranstaltungen werden Sie nicht entkommen. Und entschuldigen Sie bitte, wenn wir Ihnen trotzdem nicht jeden Humbug abnehmen.

 

Hans Zauner


Zum Weiterlesen:


- Alter Schwede, die Nobelpreise stehen schon wieder vor der Tür (R. Neumann, LJ-Blog)

- Diamandis, EP: Nobelitis: a common disease among Nobel laureates? (doi: 10.1515/cclm-2013-0273.)

- Nurse, Paul: Attention, Nobel Prize Winners! (Artikel im Telegraph)

- Gorski, David: Has Linus Pauling been vindicated? (Blog Post bei Sciencebasedmedicine.org)

 

 

Abb: Ente © julien tromeur, via fotolia



Letzte Änderungen: 05.11.2014