Editorial

Auf den Spuren der Frösche

(21. Juni 2014) Der  Evolutionsbiologe Miguel Vences hatte sein erstes Paper bereits während der Schulzeit vorbereitet und vor dem Vordiplom publiziert – eine absolute Ausnahme. Inzwischen steht sein Publikationspegel bei 293, dazu noch 166 Buchkapitel und Arbeiten in nicht ISI-gerankten Zeitschriften. Die Veröffentlichungen handeln meist von Amphibien, die auf Madagaskar leben.
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Mit seinem damaligen Kumpel, Forschungskollegen und vielfachen Ko-Autor Frank Glaw schrieb Miguel Vences 1991 über die bioakustische Differenzierung bei Fröschen. Als Autorenkontakte sind nicht etwa ein Institut oder eine Universität angegeben, sondern die Privatadressen der Studenten. Schon als kleiner Junge habe er Frösche und Salamander ins Herz geschlossen und nach Hause geschleppt, erzählt Vences, der am Zoologischen Institut der TU Braunschweig tätig ist.

"Madagaskar war die Antwort"

Die heimische Fauna war dann schnell abgearbeitet. So überlegte er mit Frank Glaw, der heute an der Zoologischen Staatssammlung in München arbeitet, in welchem Winkel der Erde sie neue Arten suchen wollten. Sollte es Afrika, Südamerika oder Indonesien sein? „Madagaskar war die Antwort“, sagt Vences. Ein Jahr lang haben die Freunde gejobbt, um sich die Fahrt leisten zu können. Dann ging es los. Die Idee hat sich als Goldader entpuppt, wissenschaftlich gesehen.

Unsere Leser erinnern sich vielleicht an die Geschichte vom kleinsten Chamäleon der Welt. Dieses Blattchamäleon haben Glaw und Vences vor zwei Jahren in Madagaskar entdeckt – und insgesamt rund 250 Froscharten. Gab es keine anderen, vielleicht sogar interessanteren Tiere? Vences: „Diese Fixierung auf eine Tiergruppe ist eine Besonderheit von uns Systematikern. Viele meiner Kollegen haben sich schon als Jugendliche für eine Tiergruppe besonders interessiert und sind dann auch dabei geblieben.“

Art-Beschreibungen wie am Fließband

150 der neuen Frosch-Spezies haben Vences und Kollegen bisher wissenschaftlich dokumentiert. „Für eine rein taxonomische Beschreibung brauche ich etwa eine Woche, das geht wie am Fließband“, sagt Vences. So kommen auch knapp 300 Publikationen zustande. Allein zwischen 2008 und 2012 sind 113 Paper entstanden, die so gut zitiert wurden, dass der Forscher auf Platz 14 des LJ-Rankings Evolutionsbiologie landete. Fünf andere Wissenschaftler mit jeweils weniger als 15 Veröffentlichungen rangieren aber vor ihm. Warum werden seine Paper vergleichsweise schlecht zitiert? „Die rein beschreibenden, taxonomischen Arbeiten sind dann doch zu speziell. Daher empfiehlt es sich, seine Arbeit auszuweiten, etwa phylogenetisch zu arbeiten“, so Vences.

Wie kamen die Amphibien auf die Insel, die schon seit 150 Millionen Jahren von Afrika und seit rund 90 Millionen Jahren vom indischen Subkontinent getrennt ist? Landeten mehrere Spezies dort an, oder hat sich die Vielfalt erst dort aus einer Art entwickelt? Wie verlief die Artenbildung? Dies sind Fragen, mit denen sich Vences beschäftigt und die auch entsprechend Resonanz in der „Community“ finden.

Viel durchgemacht und draufgezahlt

Der Biologe studierte in Köln und Bonn, war dann in Bonn, Paris, Konstanz und Amsterdam tätig, bevor er an die TU in Braunschweig wechselte und seither dort forscht. Inzwischen ist er weniger im Freiland als im Labor anzutreffen. „Wir machen immer mehr Genomik und Transkriptomik für phylogenetische Analysen“, sagt Vences. Und weil in Braunschweig die Mikrobiologie sehr stark ist, kam er auf die Idee, sich auch mit den kleinsten Lebewesen zu beschäftigen. Zur Zeit untersucht er die mikrobiologische Gesellschaft, die auf der Haut von Amphibien lebt.

Es gebe viele Gründe dafür, dass er sich ein bisschen von der Insel zurückgezogen habe, so Vences: „Freilandforschung in den Tropen ist längst nicht so romantisch wie man annehmen möchte, sondern meistens sehr anstrengend. Ich habe in den Jahren auf Madagaskar viel durchgemacht und immer auch finanziell privat draufgezahlt. Klar, wissenschaftliche Ehre haben wir errungen, aber Campingmaterial, Fotoausrüstung, Trekkingkleidung mussten wir regelmäßig komplett ersetzen – Rechnungen, die nicht anerkannt wurden, mussten wir selber bezahlen. Auch das Capacity Building, also die wissenschaftliche Ausbildung lokaler Studenten und Wissenschaftler, hat zwar viel Freude, aber auch einen enormen zusätzlichen Aufwand bereitet.“

Seit vier Jahren war Vences nun nicht mehr auf der Insel im Indischen Ozean – aber ein wenig juckt es ihn schon wieder.

 


Karin Hollricher

Foto: (c)  M. Vences



Letzte Änderungen: 12.08.2014