Editorial

Das STAP-Fiasko: eine Bankrotterklärung

(27. Mai 2014) Die Story über die angebliche Erzeugung von totipotenten Stammzellen durch Säurebehandlung überrascht mit immer neuen Manipulationsvorwürfen. Leonid Schneider kommentiert die jüngsten Entwicklungen.
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(27. Mai 2014) Die Vorfälle um die kontroversen Publikationen über sogenannte STAP-Zellen sind wohl einmalig in der neueren Wissenschaftsgeschichte (siehe frühere Beiträge bei Laborjournal Online hier und hier). Bisher wurde zur Schadensbegrenzung behauptet, die übermüdete Erstautorin Haruko Obokata hätte aus „ehrlichem“ Versehen falsche und gänzlich irrelevante Bilder verwendet, die zum Teil aus ihrer Doktorarbeit stammen.

Die „richtigen“ Aufnahmen wurden bezeichnenderweise aber nie nachgereicht. Inzwischen kam heraus, dass kritische Versuche einfach nicht gemacht wurden. So zum Beispiel der Teratom-Assay, mit dem man angeblich die Pluripotenz der STAP-Zellen durch Tumorbildung in der Maus getestet hatte. Die dazu nötigen Mäuse wurden aber offenbar nie bestellt.

Keine Anzeichen einer baldigen Retraction

Die Vorgänge um die STAP-Publikationen sind zwar ein Skandal, aber offiziell immer noch kein Fall von Betrug. Und trotz mehrerer Aufforderungen sowohl von Ko-Autoren als auch von eminenten Stammzell-Wissenschaftlern wie Rudolf Jänisch, die beiden Publikationen endlich zurückzuziehen, gibt es bis jetzt immer noch keine Anzeichen einer baldigen Retraction.

Bei Nature hält man sich weiterhin bedeckt, aus der wissenschaftlichen Redaktion ist nichts zu hören. Die gelegentlichen kritischen Blogbeiträge des NatureNews-Reporters David Cyranoski, zuletzt hier, geben ja ausdrücklich nicht die Meinung der wissenschaftlichen Redakteure wieder. Damit sind STAP-Zellen nach wie vor quasi ein wissenschaftlicher Fakt, ungeachtet der Manipulationen und der Tatsache, dass jegliche Reproduktionsversuche scheiterten.

Die Vorgänge im japanischen RIKEN-Institut kann man derweil nur mit dem Wort „Chaos“ beschreiben. Einerseits bekam Obokata durch die dortige Untersuchungskommission die alleinige Schuld zugewiesen und wurde von ihren Aufgaben entbunden (wogegen sie klagt). Man warf der Forscherin Datenmanipulation vor, zudem „wissenschaftliche Unreife“ und „Inkompetenz“.

Unerschütterlicher Glaube

So wie RIKEN die Situation darstellt, klingt es nach dem klassischen Fall einer einzelnen  unehrlichen Postdoktorandin, die das Vertrauen ihrer ahnungslosen Vorgesetzten missbraucht hat, um Daten zu fälschen und auf unlautere Weise die eigene Karriere zu fördern.

Viele Publikationen wurden bereits mit solcher Begründung zurückgezogen. Aber ob diese Darstellung der Vorgänge glaubwürdig ist, steht auf einem anderen Blatt. Jedenfalls hält RIKENs Zentrum für Entwicklungsbiologie (CDB) weiterhin am Glauben an die Existenz der STAP-Zellen fest.

Die Untersuchungskommission geht jedoch nur ganz bestimmten Verdachtsfällen nach, während Hinweise auf andere Manipulationen als nicht zuverlässig genug eingestuft werden, um sie weiter zu verfolgen. Stattdessen eine weitere bizarre Enthüllung: Verdachtsfälle auf unzulässige Manipulationen finden sich auch in den eigenen Publikationen der vier Mitglieder dieser Kommission, inklusive deren Vorsitzenden! Im Englischen würde man sagen: „It takes one to know one“ und auf Deutsch: „Den Bock zum Gärtner gemacht“.

Gleichzeitig ist der illustre US-amerikanische Letztautor der Hauptpublikation, Charles Vacanti, der sein STAP-Phänomen weiterhin und mit Nachdruck verteidigt, inzwischen ein drängendes Problem für seinen Arbeitgeber, Brigham and Women’s Hospital in Boston. Nun scheint dort aber eine alternative Forschungskultur zu herrschen, denn wissenschaftliches Fehlverhalten ist bei Brigham and Women’s entweder anders definiert oder einfach kein Grund für Kommissionsuntersuchungen oder gar Entlassungen. Jedenfalls wurde Vacanti von seinem Arbeitgeber bisher offenbar nicht behelligt.

Versprechungen statt Daten

Das Zurückziehen der STAP-Studien wünscht erstaunlicherweise auch keiner der bei RIKEN aktuell beschäftigten Autoren. Teruhiko Wakayama, der Letztautor des zweiten Reports, der sich als erster distanzierte und eine Retraction forderte, arbeitet ja schon seit längerem nicht mehr an diesem Institut.

Interessanterweise war Wakayama zudem, nach eigenem Bekunden, verantwortlich für die Aufnahmen von Embryos. Abbildungen also, die in ihrer publizierten Version kürzlich ebenfalls als manipuliert enttarnt wurden, offenbar in betrügerischer Absicht. Wäre es denn so schwer für Wakayama, endlich die „richtigen“ Aufnahmen zu liefern, oder zumindest reinen Tisch zu machen, ob er denn wirklich jemals die magische STAP-Totipotenz in den Embryos gesehen hat? Obokata jedenfalls will die Integrität der fraglichen Aufnahmen nicht kommentieren – sie sei für diesen Aspekt der Arbeit nicht zuständig gewesen. Statt Daten werden von den STAP-Autoren jedenfalls immer wieder nur Protokolle, Beteuerungen und Versprechungen nachgeliefert.

Nun kam auch noch heraus, RIKEN CDB hätte im Jahr 2012 Obokata zusammen mit vier weiteren Wissenschaftlern in einer geheimen Aktion als Gruppenleiter für das STAP-Projekt rekrutiert, vorbei an jeglicher öffentlichen Ausschreibung oder Bewerberauswahl. Die Vorstellungsgespräche wurden informell und hinter verschlossenen Türen durchgeführt. Damit scheint klar, dass STAP ein „geheimes“ Projekt des Instituts war, und keine Eine-Frau-Aktion von Obokata, wie RIKEN jetzt, nach der eingetretenen Katastrophe, darlegt.

Entzauberung

War RIKENs Forschungselite auf eine lächerliche Idee von zwei Märchenerzählern, Vacanti und Obokata, hereingefallen? Die Geheimhaltung war wohl der Angst vor dem Scoop geschuldet, denn die STAP-Methode soll ja kinderleicht nachzumachen gewesen sein.

Das STAP-Desaster ist für mich jedenfalls eine gleichsam repräsentative Bankrotterklärung der wissenschaftlichen Glaubwürdigkeit. Zuallererst von RIKEN CDB und seinen weltbekannten Top-Forschern und STAP-Autoren Yoshiki Sasai, Hitoshi Niwa und Teruhiko Wakayama, wobei Sasai und Niwa die Existenz der STAP-Zellen weiterhin beteuern.

Eine Bankrotterklärung auch für das mit der Harvard-Universität assoziierte Brigham and Women’s Hospital, wo Wissenschaftspfuscher offenbar keinerlei dienstliche Konsequenzen zu befürchten haben.

Sicherlich ist es auch eine Entzauberung von Nature, deren Redakteure das STAP-Opus trotz früheren Ablehnens dann doch durchwinkten, womöglich aus Angst, die Story an die Konkurrenten Cell oder Science zu verlieren. Denn erst die Publikation in Nature machte die mögliche Existenz der STAP-Zellen für die wissenschaftliche Gemeinde glaubwürdig, trotz des offensichtlichen logischen Konflikts mit elementarer Zellbiologie.

Nun verschwenden zahlreiche Labore wertvolle Arbeitszeit und Forschungsgelder darauf, einem Phantom nachzujagen. Das einzig Gute daran, für die Beteiligten zumindest: Auch das Widerlegen der Existenz von STAP-Zellen ist publizierbar.



Leonid Schneider

Foto: (c) Ayamap, via Fotolia



Letzte Änderungen: 22.07.2014