Editorial

Streit über Forschungsgelder lähmt die Charité

Ein Konflikt um Forschungsgelder und Einfluss zwischen der medizinischen Fakultät und einer Mehrheit im Vorstand lähmt die Berliner Charité. Das Tischtuch zwischen Dekanin Grüters-Kieslich und Vorstandschef Einhäupl ist offenbar zerrissen. Am Ende könnte es mehr als einen Verlierer geben.
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(11. April 2014) Ende vergangener Woche: Die Präsidenten der Humboldt-Universität, Prof. Jan-Hendrik Olbertz, und der Freien Universität (FU) Berlin, Prof. Peter-André Alt, appellieren an Fakultät und Vorstand der Charité. Als Präsidenten sind sie Dienstherren des Vorstands und Vorsitzende der Medizinsenate beider Hochschulen. Sie sehen eine vertrauensvolle Zusammenarbeit zwischen Fakultät und Klinik gefährdet und befürchten, das weltweit erworbene Ansehen der Charité könne Schaden erleiden. Die Sorge ist berechtigt.

Schon letztes Jahr kochte der Konflikt hoch. Im Herbst beschloss der Vorstand der Charité gegen die Stimme der Dekanin, der Fakultät Gelder zu entziehen, um ein drohendes Loch im Haushalt zu stopfen. Es folgten Proteste und schließlich ein Moratorium, der Beschluss wurde nicht umgesetzt. Anfang März brach der Streit neu aus. Die Fakultät sah sich Vorwürfen ausgesetzt, sie habe Gelder (sogenannte „Overhead-Mittel“) in Höhe von 37,4 Millionen Euro angespart, diese als Fremdmittel falsch deklariert und auf Sonderkonten der Charité versteckt. „Overhead“-Mittel sind Teil der Forschungsgelder und dienen eigentlich der Finanzierung der Infrastruktur, also etwa der Nutzung von Räumen und Geräten.

Konto-Sperrung lähmt die Forschung

Der Aufsichtsrat entzog der Fakultät die Gelder. Er ließ sie als „Gewinnrücklage“ im Charité-Haushalt verbuchen und will über die Verwendung entscheiden. Wenig später suspendierte der Vorstand für die Zeit der Prüfung den Kaufmännischen Leiter der Fakultät, Dr. Gerrit Fleige, vom Dienst – wieder gegen die Stimme der Dekanin. Fleige klagt auf Weiterbeschäftigung. Die Sperrung der Konten lähmt derweil die Forschung. Nur ein Beispiel: Prof. Christian Rosemund, der  an einem Projekt mit Medizin-Nobelpreisträger Prof. Thomas Südhof forscht, kann ein dringend benötigtes Mikroskop nicht bestellen.

Vom angesparten Millionenschatz, der auf den Konten schlummerte, muss auch der Vorstand  gewusst haben. Wie sonst hätte er einen Beschluss treffen können, um der Fakultät in die Kasse zu greifen? Informiert war wohl auch Dr. Alexander Hewer. Als Leiter des Geschäftsbereichs Finanzen und Einkauf ist Hewer für die Drittmittel- und Forschungsbuchhaltung zuständig. Hewer ist Klinikumsdirektor Matthias Scheller unterstellt, der mit Einhäupl an einem Strang gezogen hat. Aufschlussreich ist eine interne Mail von Prof. Christian Hagemeier, Prodekan für Forschung. Hagemeier berichtet, "dass die vom Geschäftsbereich Finanzen gewählte Vorgehensweise in der Vergangenheit (Neutralisierung sämtlicher Drittmittelbestände über Verbindlichkeiten) so nicht fortgesetzt werden kann." Fleige scheint ein Bauernopfer zu sein.

"Geheimhaltung von Mitteln in Millionenhöhe"

Angreifbar gemacht hat sich jedenfalls Dekanin Grüter-Kieslich. Nicht rechtlich, sie habe aber „politisch unsensibel gehandelt“, wie der Tagesspiegel schreibt. Es wurde gespart, parallel dazu massiv Personal abgebaut. Das kritisiert auch der Fakultätspersonalrat. „Der wirkliche Skandal besteht in der Geheimhaltung von Mitteln“ in Millionenhöhe, die „bei gleichzeitigem Stellenabbau und unzulänglichen Arbeitsstätten angespart wurden.“ Der Dekanin wird „Feudalismus“ bei der Verteilung der Mittel vorgeworfen.

Selbst wenn Einhäupl und Scheller von den Geldern gewusst haben sollten: Die Verantwortung trage Dekanin und Fakultätsleitung, schreiben die Personalräte und berufen sich auf den Berliner Juristen  Prof. Ulrich Battis. Auch das Ansparen sei rechtlich nicht zu beanstanden, meint der bundesweit anerkannte Verwaltungsjurist. Ins gleiche Horn bläst Prof. Klaus Gärditz (Universität Bonn). Der Vorstand habe mit Fakultätsgeldern nichts zu tun.

Trotz der Kritik an Grüters-Kieslich: Auch Vorstandschef Einhäupl rückt stärker in den Fokus. Nicht allein durch den rechtlich und politisch riskanten Versuch, der Fakultät in die Kasse zu greifen. Ob bewusst oder unbewusst, Einhäupl machte auf eine andere Baustelle innerhalb der Universitätsklinik aufmerksam, für die er die Verantwortung trägt: Die finanzielle Situation in der Krankenversorgung.

Angespannte Situation

Denn auch wenn sein Sprecher Uwe Dolderer ein Defizit bestreitet: Interne Unterlagen belegen das Gegenteil und werfen Fragen auf. Im August letzten Jahres beklagte Klinikumsdirektor Scheller vor Führungskräften die "angespannte Ergebnissituation". Vivantes, ein kommunaler Berliner Klinikkonzern, habe seine Leistungen gegenüber 2012 um fünf Prozent steigern können, so der frühere Schering-Controller, in der Charité seien die Ergebnisse rückläufig. Für den Rückgang der Erlöse verantwortlich seien gesunkene Fallzahlen, ergänzt Ulrich Frei, der Ärztliche Direktor der Charité.

Gegenüber dem Fakultätsrat berichtet Scheller im November letzten Jahres, er rechne mit einem Fehlbetrag von 7 bis 10 Millionen Euro. Bis Ende September sei ein Verlust von 5,2 Millionen Euro aufgelaufen, so Scheller im Dezember vor Führungskräften. Ursache: "Leistungsrückgang.“ Der Fehlbetrag hätte viel höher ausfallen können, doch die Charité hatte Glück. Offen räumt Scheller ein, man habe den Verlust durch eine deutliche Erhöhung des Basisfallwertes, die außerplanmäßig gekommen sei, etwas abfedern können.

Aus roten Zahlen werden plötzlich schwarze

Für Einhäupl hat die Vermeidung eines Jahresdefizits höchste Priorität. Das sei maßgeblich für das Vertrauen der Politik in eine nachhaltige Wirtschaftlichkeit der Charité, so der Neurologe am 4. September während einer Besprechung. Dieses Vertrauen dürfe auf keinen Fall gefährdet werden. Die Charité will offenbar eine erneute Debatte über die Schließung eines Standorts (das frühere Klinikum Benjamin Franklin) vermeiden.

Aus roten Zahlen, die Vorstandsmitglieder übers Jahr beklagt hatten, werden in diesem Jahr plötzlich schwarze. Kürzlich hieß es, die Charité habe 2013 einen Überschuss von 1,6 Millionen Euro erzielt. Ihr Sprecher Dolderer behauptet sogar: „Es gab und gibt kein Millionendefizit. Die Krankenversorgung ist auch im Jahr 2013 profitabel.“ Doch wie wurde aus einem Minus während des laufenden Jahres plötzlich ein Plus – ohne die Mittel der Fakultät? Aus dem Sprecher Dolderer wird der Schweiger Dolderer. Antworten? Fehlanzeige.

Der kleine Überschuss wirft Fragen auf, gibt es doch zahlreiche Möglichkeiten zur Bilanzkosmetik. Ein paar Beispiele: Rechnungen, Bestellungen, Reparaturen und Investitionen werden ins neue Jahr geschoben. Mitarbeiter aus der Charité berichten, sie seien im Dezember angehalten worden, Überstunden abzubummeln und Resturlaub zu nehmen. Ziel: Vermeidung von Rückstellungen.


Fazit: Der Zoff zwischen Fakultät und Klinik lähmt die Charité. Auch wenn Einhäupl, ein geschickter Strippenzieher, im Streit mit der Dekanin eine Mehrheit hat – und aktuell offenbar auch im Aufsichtsrat die besseren Karten: Am Ende könnte es einen Neuanfang und mehrere Verlierer geben.

 


Hermann Müller


Foto:  iStock



Letzte Änderungen: 30.09.2015