Editorial

Hits mit E-Gitarre und Erlenmeyer

Musikvideo-Parodien über Forschungsthemen sind eine faszinierende Nische der Populärkultur, wie auch der Gewinnerbeitrag der „Lab Grammys 2014“ beweist. Musik und Molekularbiologie – wie passt das zusammen?  
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(11. Februar 2014) Gibt es Biologen, die im Geheimen lieber Profi-Musiker geworden wären? Manche hätten zumindest das Talent dafür. Vielleicht auch James Clarke (King's College London), der Gewinner der diesjährigen Lab Grammys. Trotz der kühnen Namens-Anleihe sind diese „Grammys" kein VIP-Event mit rotem Teppich, sondern „nur“ eine Online-Abstimmung der Zeitschrift BioTechniques. Dennoch gibt der jährliche Wettbewerb einen Einblick in ein faszinierendes Genre: Die Musikvideo-Parodie aus dem Life Science-Labor.

In den letzten Jahren hat sich die Laborvideo-Szene dramatisch weiterentwickelt. Ganze Arbeitsgruppen versuchen, sich mit witzigen und ausgefeilten Produktionen gegenseitig zu übertrumpfen. Aus Knete geformte Hefezellen traten ebenso auf wie diverse Imitatoren das südkoreanischen Rappers PSY (bekannt durch den Song „Gangnam Style“).

Befremdliche Filmchen

Gemeinsames Merkmal der für Nicht-Wissenschaftler eher befremdlichen Filmchen: Forscher bewegen sich hüpfend, tanzend, singend durch echte Laborräume, zu umgedichteten Hits, die (fast) jeder kennt. Auch in Deutschland wird diese verspielt-bizarre Kunstform hier und da gepflegt. Beispielsweise von den Tübinger Pflanzenbiologen in Detlef Weigels Labor am Max Planck Institut für Entwicklungsbiologie, die 2012 mit einer Laborkittel-Version von Gangnam Style recht großen Erfolg hatten ("Weigel Style").

Ein visuell spannender Aspekt dieser Subkultur zwischen E-Gitarre und Erlenmeyer ist der ungeschönte Einblick, den die Youtube-Nutzer in die Arbeitsstätte „Forschungslabor“ bekommen. In den mit Mini-Budget produzierten Laborvideos herrscht oft das pralle, ungeschönte Forscherleben: Überlaufende Mülleimer, chaotische Papierstapel, kreuz und quer zugestellte Schüttler, mit Filzstift vollgekritzelte Abzugshauben. Aber das nur nebenbei, denn heute soll es ja um musizierende Forscher gehen. Zugegeben, gesangstechnisch sind manche der  Parodie-Videos von eher durchwachsener Qualität – manchen Produzenten ging es eindeutig eher um optische Effekte (und um den Spaß, natürlich).

Alles selbst gemacht

Aber in musikalischer Hinsicht ragt der diesjährige Gewinner der Lab Grammys aus der Masse der singenden und rappenden Naturwissenschaftler heraus. Denn nicht nur hat James Clarke den Text gedichtet und die Gesangspartien selbst gesungen (und das richtig gut, wie ich finde), sondern er hat auch die gesamte Musik im eigenen Heimstudio eingespielt. Zur Melodie der „Bohemian Rhapsody“ von Queen erzählt Clarkes Video die archetypische Geschichte eines Postdocs:

 

 

Leidensgenossen werden sich wiederfinden: Der überarbeitete Nachwuchsforscher quält sich durch eine Unglücksserie von sterbenden Zellkulturen, ruinierten Wochenenden, abgelehnten Förderanträgen und nervenaufreibenden Studenten-Betreuungspflichten. Schon sieht man den Protagonisten auf dem fruchtlosen Weg zum Arbeitsamt, als doch noch der große Durchbruch gelingt (wobei allerdings auch ein ominöser brauner Umschlag an einen Editor der Zeitschrift „Science“ eine Rolle spielt).

The Biochemist's Songbook

Selbstgedrehte Videos zu einem absoluten Nerd-Thema hochladen und damit weltweit Tausende Zuschauer begeistern – das geht erst, seit es Youtube gibt. Aber schon lange vor der Erfindung des Musikvideos gab es Forscher, die einen Ausflug in die Neuvertextung alten Liedguts wagten. Harold Baums „The Biochemist's Songbook“ beispielsweise ist ein absoluter Klassiker. Das ungewöhnliche Werk war nicht nur ein Party-Spaß, sondern auch eine echte Lernhilfe, um sich metabolische  Vorgänge einzuprägen.

In diesem Zusammenhang stellt sich die Frage, ob molekularbiologische Kenntnisse nicht dabei helfen könnten, unentdeckte musikalische Talente in den Reihen der Laborarbeiter zu entdecken – allgemein gefragt, steckt Musikalität (zum Teil) in den Genen? Wird es irgendwann einen Test geben, der die relativen genetischen Chancen berechnet, eher eine Stelle als Philharmoniker oder als Max Planck Direktor zu ergattern? Mark Jobling hat kürzlich in einem  Kommentar für die Zeitschrift Investigative Genetics die überschaubaren Fakten zur Vererbung der Musikalität zusammengefasst. Soviel ist klar: Genetik-Pionier Sir Francis Galton (1822-1911) lag falsch, als er von der Existenz von Musiker-Dynastien (Familien wie Bach und Mozart) schnurstracks auf eine starke erbliche Komponente der Musikalität schloss. Denn Musizieren und Komponieren gehörte bei den Bachs einfach zur tradierten Familienkultur. Wie so oft in der Humangenetik ist das verflixte Problem der miteinander verschränkten Einflüsse von Umwelt und Genen schwer aufzudröseln.

Musik in den Genen?

Leider gibt es zum Thema „Genetik der Musikalität“ also noch kaum verlässliche Daten. Besser sieht es bei der Spezialbegabung des „Absoluten Gehörs“ aus, also der Fähigkeit, auf Kommando etwa ein „Fis“ zu trällern, ohne zuvor einen Referenzton gehört zu haben. Diese Fähigkeit hat in der Tat eine genetische Komponente. Wenn man den Ergebnissen Genom-weiter Assoziationsstudien glaubt, dann scheint die vererbte Basis des absoluten Gehörs in den gleichen Regionen des Genoms zu liegen, in denen auch die wunderliche Begabung mancher Menschen zur „Synästhesie“ verortet ist. Bei Synästhetikern verschwimmen die Grenzen zwischen grund-verschiedenen Sinneseindrücken. Das äußert sich beispielsweise darin, dass sie „Farben hören“ und Tönen eine Farbe zuordnen. Man darf aufgrund der genetischen Daten vermuten, dass diese Sonderbegabung eine große Hilfe für den Erwerb des absoluten Gehörs ist.

Nun ist aber ein absolutes Gehör eine recht spezieller Aspekt der Musikalität und keineswegs Voraussetzung, um ein brillanter Musiker zu werden. Denn dazu reicht schon ein gutes relatives Gehör – also die Fähigkeit, Ton-Intervalle in Bezug zu einem Referenzton zu erkennen. Über Musikalität und Gene kann die Forschung also noch nicht viel sagen. Aber ich behaupte einfach mal: Unter den vielen fähigen Hobby-Künstlern, die es in die Forschung verschlagen hat, sind sicher einige, die in ihren Genen ähnliches musikalisches Talent haben wie Bach oder Beethoven. Während langer abendlicher Inkubationszeiten holen sie vielleicht die Gitarre unter dem DNA-Sequenzierer hervor und schmettern ein Lied in verlassene Laborflure. Oder sie laden ein selbstgemachtes Video bei Youtube hoch. Dann haben wir alle was davon.

 

Hans Zauner

 

 

 

 

Fotomontage: aus Abb. in iStock u. Wikipedia

Video von James Clarke eingebunden über Youtube



Letzte Änderungen: 04.04.2014