Editorial

Entdeckung mit Vorgeschichte

Charles Vacanti, Mit-Entdecker einer unglaublich simplen Methode zur Produktion von pluripotenten Stammzellen, ist in der Szene kein Unbekannter. Kollegen hatten seine Arbeiten oft verlacht und ignoriert. Jetzt ist alles anders. Denn diesmal hat er in Nature publiziert.
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(6. Februar 2014) Über super-pluripotente Stammzellen, erzeugt durch Säure, habe ich kürzlich bereits berichtet und einige wissenschaftliche Aspekte angemerkt, die mich stutzig gemacht haben (siehe hier). Nachdem ich Paul Knoepflers Interview mit Dr. Charles A Vacanti gelesen habe, wende ich meine Aufmerksamkeit heute den Autoren dieser neuen Stammzell-Studien und ihren früheren Arbeiten zu. Denn insbesondere Vacanti, einer der Letztautoren der Stammzellen-durch-Säure-Paper, ist in mancher Hinsicht wirklich herausragend. Er ist kein „klassischer“ Wissenschaftler (zum Beispiel hat er als Arzt keinen „PhD“) und entstammt einer sehr erfolgreichen Ärzte-Familie. Die vier Vacanti-Brüder kollaborieren oft auf Publikationen.

Viele erinnern sich noch an das Foto einer haarlosen Maus mit einem menschlichen Ohr auf dem Rücken, die Charles Vacanti und sein Bruder Joseph hergestellt hatten. Dabei wurde ein künstliches Polymer in Form einer Ohrmuschel mit Knorpel-Zellen besetzt und unter die Haut einer immuno-defizienten Maus eingesetzt (siehe hier).

Die famose Ohren-Maus

Solche speziellen „nackten“ Mäuse sind ein Standardmodell der Transplantations- und Krebsforschung, denn durch das genetische Fehlen eines funktionellen Immunsystems werden in ihren Körpern keine fremden Zellen und Gewebe abgestoßen. Ich schaute mir nun diese und die nachfolgenden Publikationen an, aber so richtig überzeugt bin ich immer noch nicht davon, dass die Knorpelzellen in der Maus längerfristig überlebten oder gar mit Blutgefäßen versorgt wurden, wie die Drs Vacanti damals behaupteten. Damit stand die wissenschaftliche oder klinische Bedeutung dieser Veröffentlichungen in keinem Bezug zum immensen Medien-Echo und der geschickten Vermarktung der Maus mit dem Menschen-Ohr auf dem Rücken. Jedenfalls wurde die Herstellung von solchen Polymer-Gerüsten und Knorpelzellkultur die Spezialität von Charles Vacanti und seinen Brüdern.

Kontroverse Sporen

Später schockten Charles und Martin Vacanti die Welt mit einem neuerlichen wissenschaftlichen Durchbruch. Sie entdeckten „Sporen-ähnliche“, undifferenzierte und extrem robuste Zellen, präsent in unterschiedlichsten Geweben, die ohne irgendwelche Schutzvorkehrungen wiederholt auf -86°C tiefgekühlt und auf +86°C erhitzt werden konnten. Solche Zellen seien nur mit dem Elektronenmikroskop sichtbar. Die einzigen Daten in der Publikation sind ein paar solcher Aufnahmen, die wirklich nichts aussagen. Den Rest musste man den Autoren einfach ohne Beweis glauben. Die Publikation wurde folglich nicht ernstgenommen und niemand hat diese Zellen je wieder gesehen. Nun behauptet Charles Vacanti aber, dass diese mysteriösen stammzell-ähnlichen Sporen-Zellen durch Stressbedingungen entstehen und somit die gleichen quasi-totipotenten STAP-Zellen sind, die er nun in seiner Nature-Publikation mit Säure erzeugte.

Im Jahr 2008 fand Charles Vacanti neuronale Stammzellen im Knochenmark, die auch funktionelle Neurosphären bilden konnten; leider konnte diese hochinteressante Beobachtung nie bestätigt werden.

Und 2010 berichtete Charles Vacantis Labor über Erfolge bei der in vitro Kultivierung von multipotenten Muskelstammzellen, und zwar als sogenannte Myosphären. Während „normale“ Muskelstammzellen nur zu Muskelzellen differenzieren können, konnten die Myosphären im Vacanti-Labor auch Fettzellen, also einen komplett anderen Gewebetyp, produzieren. Leider haben die führenden Labors der Stammzellforschung diesen Durchbruch ebenfalls ignoriert; fehlte ihnen womöglich das Know-How um die Ergebnisse zu reproduzieren?

Schwindende Skepsis

Aber erst seit Charles Vacanti sich mit Haruko Obokata zusammentat, wurde es richtig großartig. Schon 2011, lange vor der jetzigen Nature-Veröffentlichung also, haben Vacanti und Obokata gezeigt, dass vollkommen ausdifferenzierte Zellen aus beliebigem Gewebe einer erwachsenen Maus pluripotent werden können, wenn man sie mit einer Spezialpipette dem Scherstress aussetzt (siehe hier). Damals war die wissenschaftliche Gemeinde noch skeptisch. Die großartige Errungenschaft versank im Dickicht anderer kleiner Publikationen, obwohl Obokata und Vacanti schon damals experimentelle Daten bezüglich pluripotenter Differenzierung in vitro und in vivo (Teratoma) lieferten.

Nun aber, durch ihre Nature-Veröffentlichungen, bekommen die beiden die verdiente internationale Anerkennung für ihre – etwas verfeinerten und auf Säure-Stress optimierten – Methoden. Der Säure-Stress hat die skeptischen Nature-Editoren nun doch überzeugt, während Scherstress damals wohl noch zu unglaubwürdig klang. Und schon fragen sich alle, ob die STAP-Methode auch mit adulten Geweben funktioniert und ob dies auch im menschlichen System klappen würde. Das Erstere hat Vacanti aber bereits 2011 gezeigt, und jetzt deutet er an, bald auch die zweite Frage positiv beantworten zu können. Der Rummel und die Erwartungen (menschliche totipotente Zellen!) um Charles A. Vacanti sind jedenfalls enorm.

Wer lacht zuletzt?

Bis vor kurzem, und seit sich die Aufregung um die Ohrenmaus gelegt hat, wurde seine Arbeit im Dienste der Wissenschaft eher weniger beachtet. Nun aber, da seine Forschung das ultimative Gütesiegel durch Nature erhielt, muss man Konsequenzen ziehen. Hatte er also die ganze Zeit Recht: mit der Existenz der Sporen-Zellen, mit den erstaunlichen Ergebnissen der neuronalen Stammzellen im Knochenmark sowie den multipotenten Muskelstammzellen? Sollten sich nun alle entschuldigen, die Charles Vacanti damals, wie er selbst zugibt, verlacht haben? Wer zuletzt lacht, lacht ja bekanntlich am besten.

Manchen reicht aber das Argument des Nature-Ritterschlags nicht, von nun an alles ohne Hinterfragen oder gar Beweise zu glauben. Soll man dann die früheren Publikationsleistungen von Charles Vacanti als jugendliche Sünden oder Spaß-Guerilla-Aktionen verstehen, während er nun ernsthafte, hochqualitative Forschung betreibt? Das wäre aber nun wirklich eine gute Hollywood-Filmvorlage: eine geniale junge Wissenschaftlerin erweckt das versteckte Potenzial eines als unfähig verlachten und verbitterten älteren Kollegen, und am Ende publizieren beide in Nature.


Andererseits: Nature, auch Science und Cell, haben ja so Einiges mit wackliger Beweislage publiziert, was dann nie reproduziert werden konnte. Die wenigsten dieser Publikationen wurden zurückgezogen, meist gerieten sie irgendwann einfach in Vergessenheit. Am besten man wartet einfach ab, wie sich die Geschichte weiter entwickelt.

 

 

Leonid Schneider

 

Abb: iStock



Letzte Änderungen: 02.04.2014