Editorial

Für eine Handvoll Dollar

Das 1000-Dollar-Genom ist da, behauptet Illumina. Ein kürzlich vorgestellter Gerätepark aus  zehn Sequenzier-Maschinen soll die Kosten pro entschlüsseltem Humangenom unter die symbolische Schwelle drücken.
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(22. Januar 2014) Vor gar nicht langer Zeit war das 1000-Dollar-Genom weniger ein konkretes Ziel, als vielmehr eine Metapher für die goldene Zukunft der Genomik. Das Entschlüsseln der DNA werde einmal keine langwierige und teure Fleißarbeit mehr sein, sondern ein semi-automatisierter Nachmittags-Job. Damals, als das Humangenom gerade erst mühsam entschlüsselt wurde, klang das noch utopisch.

 

Anfang 2014 ist das 1000-Dollar-Genom Realität geworden. Zumindest wenn man der etwas großspurigen Verlautbarung der kalifornischen Firma Illumina glaubt. HiSeqX Ten, ein Maschinen-Park auf der Grundlage von Illuminas Kern-Technologie mit fluoreszenz-markierten Nukleotiden, soll die symbolträchtige Schallmauer durchbrochen haben. Man darf die Ankündigung der Firma aus San Diego aber auch durchaus als aggressives Signal des Marktführers in Richtung seiner Verfolger im hart umkämpften Sequenzierermarkt verstehen; die Botschaft: Wir sind immer noch die Nummer eins.

 

Aber Marketing-Sprüche beiseite, ist Illuminas Behauptung faktisch überhaupt zutreffend – und wie komme ich an mein eigenes 1000-Dollar-Genom? Skepsis ist angebracht, denn schon 2012 hatte der Konkurrent Life Technologies angekündigt, eben diese Latte demnächst zu überspringen. Die Genomik-Community ließ das aber nicht gelten, denn die 1000 Dollar in Life Technologies Rechnung bezogen sich im Wesentlichen auf die Kosten der Reagenzien; weder die Anschaffungskosten des Geräts noch die Arbeitszeit der Laboranten wurden offenbar berücksichtigt.

 

Ein Blick auf die Rechnung


Der Bioinformatiker Mick Watson hat in einem Beitrag für seinen Blog Opiniomics die Anschaffungs- und Betriebskosten für die neuen HiSeqX Ten-Maschinen durchgerechnet. Er zieht ein gemischtes Fazit: Ja, das 1000-Dollar-Genom (für die Spezialisten: mit 30-facher Abdeckung) sei mit Illuminas neuen Maschinen möglich und realistisch, auch wenn man Laborantenzeit und Amortisation der Anschaffungskosten einrechnet. Es gibt aber drei Haken an der Sache.

 

Erstens funktioniert die neue Plattform vorerst nur für menschliche Genome. Zielgruppe sind Humangenetiker, die in großen Populationen nach Krankheits-assoziierten DNA-Variationen suchen. Zoologen etwa, die hoffen, für 1000 Dollar mal schnell einen der Forschung bisher unbekannten Tiefseefisch durch den Sequenzierer jagen zu können, am besten direkt an Bord ihres Forschungsschiffes, müssen wahrscheinlich noch eine Weile auf neue Technologie warten. Für solche Anwendungen werden vielleicht eher die noch in der Testphase befindlichen „3rd Generation Sequencing“-Methoden interessant, zum Beispiel die Nanopore-Technologie, die ich vor einiger Zeit hier vorgestellt hatte.

 

Kein Produkt für den Massenmarkt


Zweitens kommt man auf den Schnäppchen-Preis von unter 1000 Dollar pro Humangenom nur dann, wenn man in ganz großem Maßstab DNA-Sequenzen entschlüsselt. Watson rechnet vor, dass die Kosten erst ab 18.000 kompletten Genom-Sequenzen pro Jahr unter die magische Schwelle fallen. Die Anschaffungskosten des Geräteparks aus zehn Einheiten sind mit etwa 5-10 Millionen Dollar (so wird gemunkelt) eben nicht ohne. Ein Produkt für den Massenmarkt ist das neue Illumina-System also nicht. Trotzdem gibt es sicher eine Reihe Genomik-lastiger Institute, die ohne Zögern zugreifen werden, auch weil sich dadurch ganz neue Forschungsperspektiven eröffnen. Das Broad Institute beispielsweise, Heimatinstitut des Genomik-Pioniers Eric Lander, hat bereits angekündigt, sich die neuen Illumina-Kisten in Haus zu holen.

 

Drittens gilt das 1000-Dollar-Preisschild nur für das Sequenzieren selbst. Die Kosten für den Bioinformatiker, der mit seinen Skripten und Programmen aus den Daten sinnvolle, auf die jeweilige Fragestellung zugeschnittene Informationen zusammenstellt, sind darin nicht enthalten.

 

Ob Illuminas neue Geräte wirklich die 1000-Dollar-Schwelle unterschreiten ist also schon noch ein wenig Ansichtssache.

 

Wo kann ich mir mein Genom kaufen?


Und wo kann ich jetzt mein eigenes 1000-Dollar-Genom bestellen? Schlechte Nachricht für ambitionierte Heim-Genomiker: Die Kalkulation gilt vorerst nur aus Sicht des Managers eines Forschungsinstituts – das sei hier ausdrücklich erwähnt, weil sich mancher Mitbürger unter dem Buzzword „1000-Dollar-Genom“ vielleicht vorstellt, dass man nun eine Speichelprobe bei einer Firma einschicken kann, einen Tausender beilegt und zwei Wochen später ein File mit der kompletten individuellen Genomsequenz bekommt.

 

Preisgeld gibt es für das Unterbieten der symbolischen Hürde übrigens nicht mehr. Denn die Initiatoren des „Archon Genomics X“ - Preises, der bis vor kurzem für das erste 1000-Dollar-Genom ausgelobt war, hatten den Wettbewerb vor einiger Zeit abgebrochen. Biotech-Firmen bringen eben auch ohne externen Anreiz genügend Motivation und Kapital auf, immer schnellere und günstigere Sequenzierer auf den Markt zu werfen.

Und ein Ende der Innovationen ist noch lange nicht in Sicht.

 

Hans Zauner

 

Quellen:

Blog-Post von Mick Watson

Pressemitteilung von Illumina

Nachricht auf BBC Online

Foto: Illumina



Letzte Änderungen: 15.03.2014