Editorial

Was ist mein Abschluss wert?

Naturwissenschaftler sind gefragt auf dem Arbeitsmarkt, heißt es. Bei dem einen oder anderen Berufseinsteiger folgt jedoch bald die Ernüchterung. Denn oft kommen die mühsam erworbenen Fähigkeiten gar nicht zur Geltung. Ist der Master heutiger Absolventen nur noch so viel wert wie das Abitur ihrer Eltern?
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(16. Januar 2014) Man zieht schweißnass ein Studium durch, schließt sogar eine Promotion an – und entdeckt hier, dass die Forschung niemals eine Endorphinspenderin sein wird. Aber die Wirtschaft steht einem ja offen. Nun stellt sich die Frage, was die Ausbildung eigentlich wert war. Die Antwort: Immer so viel wie jemand anderes bereit ist, dafür zu geben. Das kann zum Teil jedoch erschreckend wenig sein; und damit ist nicht zwingend das Gehalt gemeint.

 Selbstverständlich ist der Absolvent der Meinung, dass eine Uni-Ausbildung auch in einen interessanten Job münden sollte, in dem er seine Fähigkeiten voll einsetzen und weiter ausbauen kann. Enthusiastisch startet er also in den Beruf, wundert sich vielleicht zunächst über einige Tätigkeiten, die er gar nicht als erstrebenswert erachtet hätte. Nur um bald festzustellen, dass diese Aufgaben – sei es säumigen Kollegen hinterherzulaufen oder Ablage zu erledigen – auf einmal den größten Teil des Jobs ausmachen.

 Wie kann das sein? Das gesamte dritte Lebensjahrzehnt ging für die Ausbildung drauf. Und das soll nun der Job sein, auf den man so lange gewartet hat? Da ist doch bestimmt etwas schief gelaufen. Also studiert man wieder Stellenanzeigen. Abgesehen davon, dass viele Arbeitgeber nur Leute mit Berufserfahrung suchen, weichen viele der angebotenen Stellen nicht drastisch vom eigenen Arbeitsplatz und dem der Kollegen ab. Kann es sein, dass sich hinter diesen Stellenausschreibungen, die sich zunächst sehr gut anhören und auch beachtliche Qualifikationen verlangen – wie beispielsweise Kenntnisse mehrerer Fremdsprachen, analytisches und selbstständiges Arbeiten – nur dieselbe trübe Mogelpackung verbirgt, in der man bereits steckt?

 Es soll hier nicht behauptet werden, dass es überhaupt keine sinnstiftenden Berufe für Akademiker gäbe. Aber ein guter Teil der Jobangebote für Uni-Absolventen wäre wohl vor zwanzig Jahren eher an Abiturienten oder Leute mit mittlerer Reife adressiert gewesen. Was wird denn aus denen?

 Muss jeder unbedingt ein Studium absolvieren und am besten promovieren, um eine Tätigkeit zu finden, die wenigstens halbwegs geistig anregend ist?

 In den Medien wird einem dies unter Aufführung eines angeblichen Fachkräftemangels ständig suggeriert. Seltsamerweise kam das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) in Berichten vergangener Jahre zu einem anderen Schluss (siehe hier und hier). Anscheinend ist der Bedarf an Fachkräften in vielen Branchen weitestgehend gedeckt. Soll hier vielleicht durch eine künstlich herangezüchtete Akademikerschwemme Lohn-Dumping betrieben werden?

 Rückblickend war Deutschland in einer Epoche am innovativsten, als die Akademikerquote sehr viel geringer war als heute. Die großen Entdeckungen des frühen 20. Jahrhunderts in Maschinenbau und Chemie machen noch heute die wichtigsten deutschen Wirtschaftszweige aus. Und von einigen Ausnahmen einmal abgesehen kann man sich schon fragen, welchen Stellenwert  Computertechnologie und Biotech in Deutschland besitzen. Übrigens, Steve Jobs, Bill Gates und Mark Zuckerberg schlossen ihr Studium auch niemals ab.

 Was also ist unser Studium überhaupt noch wert? Unterliegen wir einer Bildungsinflation, in der der Master der heutigen Zeit nur noch so viel wert ist wie das Abitur unserer Eltern? Oder sind unsere Berufe alle komplizierter geworden? Ein Blick in die USA, wo bereits zwölf Prozent der Postboten einen akademischen Abschluss besitzen, lässt Zweifel an dieser Sicht aufkommen. Schließlich ist auch die heutige Computer-Software mit ihrer graphischen Oberfläche gewiss nicht schwerer zu handhaben als die alten MS-DOS-Programme in den Achtzigern. Schlüsselqualifikationen wie Fremdsprachen hat man auch nicht von Professoren gelernt, sondern sich nebenbei selbst beigebracht. Wozu also unbedingt ein Studium?

 Sieht es nicht eher so aus, als wollten Firmen Mitarbeiter haben, in die sie möglichst wenig investieren müssen, die in einer Promotion gestählt, als besonders stressresistent und selbstständig angesehen werden, so dass diese möglichst schnell nach einer Feigenblatt-Einarbeitungszeit ihre Tätigkeit aufnehmen können? Schön für die Firmen.

 Ein Vorteil dieser Bildungsinflation könnte sein, dass man bald mit jedem Straßenarbeiter anregende Gespräche über organische Chemie, Design und Statik führen kann. Schließlich muss man doch studiert haben, um solch einen Job in der heutigen Zeit zu meistern.


Marco Mukrasch


Quellen:


[1] Wochenbericht vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) 46/2010  „In manchen Branchen wird es eher eine Fachkräfteschwemme geben“
[2] Wochenbericht vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) 11/2012 „Hochschulabgänger decken den Bedarf“
[3]  „Jobkrise in den USA: Vom Bachelor zum Briefträger“ SPIEGEL Online

 

Photo: iStock / Montage

 



Letzte Änderungen: 08.03.2014