Editorial

Schrumpelfinger-These geht baden

Verschrumpelte Fingerkuppen erleichtern nicht das Greifen nach nassen Murmeln. Wieso ist das wichtig? Der Versuch einer Antwort führt von frühzeitlichen Wasseraffen über die Feminismus-Bewegung der 70er Jahre bis unter die Decke der Kirche San Marco in Venedig.
editorial_bild

(14. Januar 2014) Man kann sich das Kopfschütteln an den Frühstückstischen der Republik lebhaft vorstellen.

„Hände-badende Universitätsabsolventen! Die Wissenschaftler haben doch einen an der Klatsche. Und zuviel Zeit. Mit meinen Steuergeldern! Die sollen lieber was gegen Krebs finden!“

Es klingt aber auch zu skurril: Erleichtern aufgeweichte Schrumpelfinger das Greifen nach nassen Objekten, fragten Julia Haseleu und ihre Kollegen vom Max Delbrück Zentrum für Molekulare Medizin. Die Berliner Forscher waren dabei noch nicht einmal die ersten, die sich an dieser obskuren Hypothese abmühten.

Eine andere Gruppe um Kyriacos Kareklas berichtete erst vor einem Jahr in einer kleinen Studie, dass die vorübergehende Erscheinung der Runzel-Finger den Umgang mit nassen Objekten leichter mache. Haseleu und Kollegen dagegen fanden nun in ihrer Arbeit mit 40 Probanden keinen signifikanten Unterschied zwischen vorher eingeweichten und normalen Händen, beide Testgruppen konnten gleich schnell nasse Gegenstände aufgreifen. Ihren Messungen zufolge sind  Furchen-Finger auch nicht mehr oder weniger empfindlich für Berührungsreize als Hände im Normalzustand (Haseleu et al, PLOS ONE).

Wozu, Warum, Woher?

Hinter dem gelehrten Streit über das Wozu und Warum der erstaunlichen Transformation der nassen Menschenhand steckt mehr, als die Schlagzeilen vermuten lassen. Ohne all zu viel Übertreibung könnte man sagen: Die simplen Experimente mit den furchigen Fingerkuppen rühren an fundamentale Fragen nach dem Woher der Menschheit und den Mechanismen der Evolution. Nebenbei führt die Geschichte der Erforschung glitschiger Finger über zwei, drei Ecken zu einer interessanten Episode des aufblühenden Feminismus in den Naturwissenschaften.

Aber der Reihe nach. Die Frage ist ja, ob das Einschrumpeln der Finger einen adaptiven Wert für unsere Vorfahren hatte. Ganz konkret: Hatten Menschen-Vorfahren, deren Fingerkuppen im Wasser Runzeln bildeten, einen kleinen Vorteil, der ihnen letztendlich im Durchschnitt etwas mehr Nachkommen bescherte als Artgenossen, deren Fingerkuppen im Wasser glatt blieben? Eine mehr oder weniger nahe liegende Idee war eben, dass man mit griffigen, gerunzelten Händen besser nach glitschigen Objekten greifen kann; etwa um eine nahrhafte Muschel aus dem Wasser zu fischen, bevor sie der ebenfalls hungrige Nachbar in die Finger bekommt.

Auftritt Wasseraffe

Dieses adaptive Szenario passt unter anderen den Anhängern der Wasseraffen-Hypothese vorzüglich in den Kram. Dieser Idee zufolge vollzog sich eine entscheidende Phase der Evolution des Menschen nicht in der offenen Savanne, wie der wissenschaftliche Mainstream behauptet, sondern in flachen Ufergewässern, wo Frauen und Männer unserer Vorfahren-Spezies nach Nahrung suchten und vor Feinden geschützt gewesen wären. Bekannt wurde die Wasseraffen-Hypothese vor allem durch das Buch „The Descent of Woman“ von Elaine Morgan aus dem Jahr 1972.

Die Vertreter der „Aquatic Ape“-Hypothese führten eine ganze Reihe von Merkmalen an, die für wasserbewohnende Vorfahren sprächen. Nur ein Beispiel: das weitgehende Verschwinden der Körperbehaarung, in der Tat ein typisches Zeichen für den Übergang zu einem (halb-)aquatischen Lebensstil (wohingegen die konkurrierende „Savannen-Theorie“ im Haarverlust eher eine Anpassung sieht, die besseres Schwitzen und damit bessere Kühlung ermöglicht).

Starker Mann mit Speer und Keule

Nun wurde die Wasseraffen-Hypothese immer schon belächelt und hat heute kaum Anhänger in Fachkreisen. Dabei ging es aber nie nur um Wissenschaft, weder bei Verfechtern noch Gegnern der Idee. Die Wissenschaftshistorikerin Erika Lorraine Milam hat kürzlich in einem  bemerkenswerten Aufsatz die Entstehungsgeschichte von Morgans abenteuerlicher Hypothese im   gesellschaftlichen Zusammenhang erzählt („Dunking the Tarzanists: Elaine Morgan and the Aquatic Ape Theory“, University of Chicago Press).

Milam zufolge ärgerte es Morgan und andere naturwissenschaftlich versierte Feministinnen, dass die von Sexismus getränkten Vorstellungen der 60er Jahre dem Mann die Rolle des strahlenden Helden im evolutionären Savannen-Drama zuwies, während Frauen quasi nicht vorkamen. Der Mann mit Speer und Keule (Waffentragen erfordert aufrechten Gang!), der Mann als mutiger und intelligenter Beutejäger (Sprachentwicklung!), der Mann als Verteidiger und Ernährer seiner Familie, während die Frau mit den Kindern in der Höhle sitzt und höchstens mal ein paar Früchte sammelt. Im Rückblick gibt es kaum einen Zweifel: Dass Frauen in den damaligen Savannen-Szenarien in die Rolle des passiven Zuschauers gesteckt wurden, hatte schon damit zu tun, dass fast alle Anthropologen männlich waren. Kurz: „Allzu oft verwechselten die Biologen die Evolution des Menschen mit der Evolution des Mannes“ (so Milam im Guardian).

Von Männern dominierte Thesen

Die „Aquatic-Ape“-Hypothese war so gesehen auch und vor allem ein provokanter Gegenentwurf zu den schiefen Vorstellungen der Menschenforscher-Männer, die Morgan treffend als „tarzanistisch“ charakterisierte. Elaine Morgans so radikal anderes Konzept brachte ans Licht, dass Geschlechterstereotypen und einseitig-männlich dominierte Thesen den akademischen Mainstream unterwandert hatten.

Aber zurück zu den real existierenden Fingerrunzeln und der heutigen Datenlage. Nach Erscheinen der Arbeit von Kareklas et al. sah es so aus, als habe man einen konkreten Hinweis auf ein Wasser-assoziiertes Verhalten unserer Vorfahren gefunden – wurde die Wasseraffen-Hypothese damit also ein wenig glaubwürdiger? Einige behaupteten das. Nun, da sich diese Arbeit offenbar nicht reproduzieren ließ, erscheint die Wasseraffen-These jedenfalls wieder genauso unwahrscheinlich wie vor der Kareklas-Studie. Ob damit aber das letzte Wort gesprochen ist, wird man sehen.

Adaption oder Spandrels?

Die Suche nach einem adaptiven Sinn des Haut-Schrumpelns führt aber vielleicht sowieso nicht weiter, denn eventuell ist diese seltsame Reaktion unserer Finger- und Zehenkuppen einfach ein Begleiteffekt der Art und Weise, wie die Durchblutung und Nervenversorgung unserer Extremitäten funktioniert – so zumindest die Schlussfolgerung von Haseleu et al..

Das ist natürlich weniger aufregend als die Vorstellung einer Frühmenschen-Großfamilie, die im Morgengrauen durch trübes Wasser watet und geschickt nach glitschigen Muscheln fischt. Aber  alle Evolutions-Interessierten erinnern solche Negativergebnisse an die Warnung von Stephen Gould und Richard Lewontin, aus ihrem Klassiker „The Spandrels of San Marco“: Die großartige Architektur der Bögen an der Decke der Kirche San Marco in Venedig scheint auch einem künstlerischen Zweck zu dienen, so Gould und Lewontin. In Wirklichkeit aber sind sie ein rein architektonischer Zwang. Auf die Fingerrunzeln und potentielle Wasseraffen übertragen heißt das: Wer „Adaption“ sagt, muss harte Daten liefern, nicht nur gute Geschichten.

 

Hans Zauner


Photo: iStock




Letzte Änderungen: 08.03.2014