Editorial

Der Kontrollfreak als Motivationskiller

Setzen manche Gruppenleiter zu sehr auf Zwang und Kontrolle? Im zweiten Teil seines Erfahrungsberichts über ausufernde Arbeitszeiten der wissenschaftlichen Mitarbeiter beleuchtet Leonid Schneider auch die Rolle der Chefs. Aber letztendlich liegt es an Doktoranden und Postdocs, selbstbewusst einen sinnvollen Arbeitsstil zu pflegen.
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(4. Januar 2013) Das besondere Abhängigkeitsverhältnis der Biologen fängt schon beim typischen Doktoranden-Arbeitsvertrag an. Anders als beispielsweise ein Ingenieur bekommt der Biologie-Doktorand nur einen Vertrag für eine halbe Stelle. Das heißt natürlich nicht, dass er nur einen halben Tag arbeiten muss. Es gibt ja so viele Biologieabsolventen, die eine Promotion als notwendig erachten, um später Arbeit finden zu können. Deswegen soll ein Biologie-Doktorand glücklich sein, überhaupt Gehalt zu bekommen. Unterbezahlt und von Arbeitslosigkeit bedroht, werden sich Labormitarbeiter hüten, um fünf Uhr nach Hause zu gehen und am Wochenende wegzufahren.

Wieviel Urlaub steht einem Doktoranden oder Postdoc zu? Wenn es nach dem Chef geht: Urlaub kann bis zur Rente warten, oder zumindest bis man selbst Professor ist. Mein Doktorvater war da sicher keine Ausnahme. Wir ließen eher unsere verträglichen Urlaubstage verfallen, statt seinen Zorn mit einem neuen Urlaubsantrag zu riskieren. Als Postdoc hatte ich ein eigenes Stipendium, aber selbst da musste ich um jeden freien Tag feilschen. Die Kollegen aber, die gut publiziert hatten, durften als Belohnung einen extra ausgedehnten Urlaub nehmen.

Die Kontrolle der Arbeitszeit der wissenschaftlichen Mitarbeiter wird von Professoren und Gruppenleitern so ernst genommen, als ob ansonsten Anarchie und der Zusammenbruch jeglicher Forschung drohten. Die Methoden sind bekannt (siehe Teil 1 dieses Beitrags). Laborinspektionen (wer ist abends um sieben Uhr da und wer nicht), Telefonanrufe ins Labor (wieso geht am Samstag denn niemand ran?), Berichte von Vertrauenspersonen. Warum dieser Kontrollzwang? Geht es nicht anderes, als die Mitarbeiter für mindestens zwölf Stunden täglich ins Labor zu sperren?

Zum einen haben die heutigen Chefs das damals selbst so gelernt, als junge Doktoranden. Vielleicht ist es eine Art der Rache. Will man die tatsächlichen oder empfundenen Ungerechtigkeiten, die man selbst als Doktorand und Postdoc erleben musste, später an eigene Untergebene weiterreichen? Jeder von uns hat schon mal von seinem Chef gehört, dass dieser es damals ja viel schlimmer hatte. Mein Ex-Chef wurde angeblich im Zentrifugen-Keller eingesperrt, vermutlich auch angekettet und ausgehungert. Oder gibt man einfach die gelernte Methode weiter, die einen selbst zum Erfolg brachte, als eine besondere Art der „Motivation“?

Ich habe in einem Labormanagement-Workshop gelernt, dass man als Chef die Mitarbeiter eigentlich gar nicht motivieren kann, denn Motivation kommt von innen. In der Forschung erst recht. Wohl jeder, der ein wissenschaftliches Projekt in einem neuen Labor anfängt, ist motiviert zu arbeiten. Sonst hätte man sich ja gar nicht beworben. Diese Motivation zu fördern und aufrechtzuerhalten sollte die Pflicht jedes Gruppenleiters sein (wie man diese schwierige Aufgabe schafft, kann man beispielsweise hier nachlesen).

Die Motivation seiner Mitarbeiter dauerhaft zerstören, das schafft ein Chef dagegen ganz einfach. Die innere Kündigung ist bei Lebenswissenschaftlern ohne Dauerstelle wohl eher die Norm als die Ausnahme. Deren verbleibende Rest-Motivation ist es dann, das Projekt irgendwann halbwegs erfolgreich abzuschließen, um den Arbeitsplatz schleunigst wechseln zu können.

Leider sind die meisten Gruppenleiter keine guten Personalführer. Nur die wenigsten sind überhaupt gewillt, diese Kunst zu lernen. Vertrauen zeigen, gar Lob spenden, könnte ja als Schwäche ausgelegt werden, und dann arbeitet vielleicht keiner mehr. Aus dieser Angst heraus glauben viele dann im Ernst, dass Arbeitszeitkontrollen, Demütigungen und Drohungen ihnen als Chef Respekt einbringen und die Produktivität im Labor steigern würden. Wenn ein frustrierter und resignierter Doktorand trotzdem noch gute Forschungsergebnisse produziert, interpretiert der Chef dies als Erfolg solcher Strategien. In Wirklichkeit treibt nur noch eine schwache Restmotivation das Projekt an – nämlich die, irgendwie den nächsten Karriereschritt schaffen zu wollen.

So entsteht schnell eine sich selbst erfüllende Prophezeiung. Denn wenn niemand mehr so richtig gerne zur Arbeit kommt, ist die offensive Arbeitszeitkontrolle wirklich das letzte Werkzeug eines Gruppenleiters, um die Produktivität noch irgendwie erhalten zu können. Am Ende wird es zu einer unwürdigen und lächerlichen Farce für alle Beteiligten.

In anderen Wirtschaftszweigen sind solche Zustände meist nicht möglich. Die Arbeitszeiten sind festgelegt, und Überstunden müssen bezahlt und können nicht willkürlich verhängt werden. Wenn die akademische Forschung auch ein normaler Beruf wäre, mit halbwegs geregelten Arbeitszeiten, müsste jeder Gruppenleiter schon versuchen, in der gegebenen Zeit die höchste Produktivität in seiner Arbeitsgruppe zu erreichen. Dann wäre das Fördern der Mitarbeiter-Motivation wichtiger als jede sonntägliche Laborinspektion oder Urlaubssperren.

In diesem Sinne liegt es an den jungen Wissenschaftlern selbst, ihren Arbeitsstil und ihre Arbeitszeiten von unterwürfig auf selbstbewusst und produktiv umzustellen. Denn: kaum ein Chef würde seine guten Mitarbeiter entlassen, nur weil diese sich an „normale“ Arbeitszeiten halten. Und wenn schon, wer braucht dann solche Forschungsgruppen-Leiter?

 

Leonid Schneider



Letzte Änderungen: 24.02.2014