Editorial

Gefangen im Höchstleistungswahn

Man darf Forschern keine festen Stellen geben, sonst werden sie faul und unproduktiv. Existenzangst und prekäre Beschäftigung sind doch eine solide Basis für die deutsche Eliteforschung. Eine Polemik.
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"Wenn man Dauerstellen direkt im Anschluss an die Doktorarbeit vergibt, gibt es viele, die dann nicht mehr entsprechende Höchstleistungen erbringen."
(Peter Gruss, Präsident der Max-Planck-Gesellschaft, in der FAZ vom 10.12.2013)

(11.Dezember 2013) Endlich ist das Erfolgsgeheimnis der Max-Planck-Gesellschaft gelüftet. Ich dachte immer, die hervorragenden Forschungsbedingungen und die reichlich sprudelnde Finanzierung motivieren die wissenschaftlichen Mitarbeiter an den 82 Instituten der Gesellschaft. Liegen die Gründe für den guten Ruf der MPIs also an deren Ausrichtung an Zukunftsthemen und daran, dass die Gesellschaft die besten Forscher mit attraktiven Angeboten anlockt?

Aber nein. Es ist alles viel einfacher und in gewisser Weise genialer: Der Max-Planck-Präsident setzt auf die blanke Existenzangst seiner Mitarbeiter. Nur Forscher die nicht wissen, wovon sie in ein paar Monaten ihre Miete bezahlen werden, sind offenbar bereit, unbezahlte Nachtschichten im Labor zu schieben und den Jahresurlaub auf ein absolutes Minimum zu beschränken.

Kreativität, Innovation, Kooperation – das scheint jedenfalls nur Gedöns für Zeitungsinterviews und Institutseröffnungen zu sein. Was wirklich funktioniert: Knapp bemessene Fristen für Höchstleistungen setzen, die bitteschön an prestigeträchtigen Publikationen messbar sein müssen, denn sonst sieht es schlecht aus für die Vertragsverlängerung. Ob diese Methode aber geeignet ist, um die Grundlage für zukünftige Nobelpreise made in Germany zu schaffen?

Zur Höchstleistung getrieben

An englischen Eliteunis galt angeblich in früheren Zeiten die Regel, dass Doktoranden  unverheiratet sein sollten (Doktorandinnen hatte man damals sowieso nicht auf dem Radar). Nichts und niemand sollte den wissenschaftlichen Nachwuchs von der Forschung abhalten. Dieses Modell kam der konsequenten Ausbildung von Elitewissenschaftlern vielleicht entgegen. Die Doktoranden waren damals aber ein wenig jünger als heute, und nach der Promotion verfingen sich nur wenige Wissenschaftler in jahrelangen Schleifen als temporär beschäftigte Labornomaden. Heute ist das eher die Regel als die Ausnahme.

Die Leute, die heute mit der motivierenden Maßnahme der Vertragsbefristung zu Höchstleistungen getrieben werden sollen, sind eben keine jugendlichen Azubis mehr. Diese sogenannten „Nachwuchsforscher“ sind reife Menschen, oft schon zwischen dreißig und vierzig, die sich nach dem Studium in einer mehrjährigen Doktorarbeit aufgerieben haben und nun von Befristung zu Befristung tingeln.

Das sind Menschen, die sich mit zunehmendem Alter immer öfter Gedanken machen, ob sie denn wirklich noch jahrelang jede wache Minute in den Dienst der Wissenschaft stellen wollen, oder ob andere Pläne, Ziele und Träume auch etwas Aufmerksamkeit verdienen. Familie zum Beispiel, an deren Gründung sich vor allem Frauen im Postdoc-Alter  schleunigst machen müssen, sofern Interesse an eigenen Kindern besteht.

Der Wunsch-Postdoc der Forschungsmanager

Oder ist der Eliteforscher, der den Forschungsmanagern vorschwebt, ein Labor-Rambo mit Pipette im Anschlag, der sich aggressiv und kompromisslos im Eiltempo gegen die Konkurrenz durchsetzt und kein anderes Ziel im Leben kennt, als Max-Planck-Direktor zu werden?

Ist das Wunschmodell des Höchstleistungsforschers gar immer männlich? Eher der traditionelle Typ also, der das zeitraubende Leben zwischen Küche und Kinderzimmer komplett an die Hausfrau und Mutter abgibt, damit sich der Gemahl 60 Stunden pro Woche ungestört der Wissenschaft widmen kann?

Da können Max-Planck-Institute und andere Forschungseinrichtungen noch so plakativ ihre angebliche Familienfreundlichkeit betonen und Ganztags-Kitas neben ihren Laborgebäuden hochziehen. Solange längerfristige Anstellungsmöglichkeiten und  Teilzeitmodelle fehlen, solange werden unzählige (werdende) Mütter und Väter auf die Grundlagenforschung pfeifen.

Die eine oder andere optimistische Einschätzung der eigenen Zukunftschancen hat sich bei halbwegs erfahrenen Postdocs ohnehin in Luft aufgelöst. Ist es wirklich ein Privileg, auf  befristeten und unterbezahlten Stellen die geforderten Höchstleistungen vollbringen zu dürfen, während der Lehramts-Studienkollege von damals, mittlerweile zum Oberstudienrat befördert, mit VW-Bus und Familie vier Wochen lang in die Sommerferien verschwindet?

 Fachlektüre neben dem Bett

Sicher gibt es auch Menschen, die ganz in der Forschung aufgehen und keine anderen Ablenkungen im Leben brauchen als ein gut ausgestattetes Labor und einen Stapel Fachlektüre neben dem Bett. Aber gerade diese enthusiastischen Überflieger werden sich genau überlegen, ob sich der Deal lohnt, den deutsche Forschungseinrichtungen anbieten.

Falls es nämlich wirklich einen Fachkräftemangel geben wird – ein zweifelhaftes Mantra, das auch Gruss nachbetet – dann sollten sich die Institutsleiter ihr Angebot an die angeblich knappen Arbeitskräfte der Zukunft einmal kritisch ansehen. Attraktive Offerten an promovierte Arbeitssuchende sehen jedenfalls anders aus als ein Zweijahresvertrag ohne Aussicht auf Entfristung.

Denn die Chance, dass das Nomadendasein des Postdocs sein Ziel findet, dass also irgendwann, irgendwie eine befriedigende Dauerstellung an einer Uni oder einem Forschungsinstitut herausspringt, ist in vielen Fällen minimal. Es bleibt ein „dreckiges kleines Geheimnis“ (so Jenny Rohn) dass es für die Horden der herumvagabundierenden Höchstleistungsträger nicht annähernd genügend Stellen an Unis und Forschungsinstituten gibt.

Über die richtige Balance zwischen Dauerstellen und befristeten Verträgen kann man reden. Wechsel ist gut, Kontinuität ist auch gut. Aber wenn Peter Gruss auf die angeblich mangelnde Leistungsbereitschaft von festangestellten Mitarbeitern verweist, dann lenkt er nur von der Untätigkeit derer ab, die die Zukunftsaussichten der wissenschaftlichen Mitarbeiter verbessern könnten – aber nicht wollen, weil sie von der skandalösen Situation profitieren.

 

Hans Zauner

Foto: iStock



Letzte Änderungen: 02.02.2014