Editorial

Postdoc alla milanese

Die USA und Großbritannien sind die häufigsten Ziele für den Postdoc-Aufenthalt im Ausland. Leonid Schneider hingegen zog es nach der Doktorarbeit nach Italien. Für Laborjournal Online schildert er seine Eindrücke aus Mailand.
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(7. November 2013) Nachdem ich während meiner Promotion etwas unglücklich über den autoritären Führungsstil in Deutschland war, wollte ich als Postdoc unbedingt ins Ausland. Weil ich das Forschungsthema dort sehr interessant fand, kam ich nach Mailand. Wenn man nach Italien zieht, findet man unerwartet manches Vertraute wieder. Durch den Wechsel der Perspektive versteht man aber auch schnell, warum es für ausländische Wissenschaftler ohne Deutschkenntnisse in Deutschland so schwierig ist.

Italien ist wissenschaftlich ziemlich erfolgreich. Mehrere Forschungszentren spielen vorne mit und publizieren viel – so auch das Institut, an dem ich war. Der Großteil der italienischen Wissenschaft findet sich im Norden des Landes, genau wie der überwiegende Teil aller anderen Wirtschaftszweige des Landes. Mailand ist dabei das Hauptzentrum, nicht nur von Mode, sondern auch von Industrie und Forschung. Nun ist das Leben in der grauen und versmogten Großstadt Mailand wenig mediterran, das wissen die Italiener selbst sehr gut. Aber man geht ja dorthin, wo Arbeit ist.

Vorsicht vor den Unis

Wenn man überlegt, zum Forschen nach Italien zu gehen, sollte man bei den Universitäten vorsichtig sein. Obwohl es dort ausgezeichnete und hochtalentierte Forschergruppen gibt, ist die Ausstattung der staatlichen Unis wirklich sehr bescheiden, und in Zeiten der Wirtschaftskrise ist sie sicher nicht besser geworden.

Auch die Doktoranden-Gehälter an den Unis sind so niedrig, dass man davon gerade mal die Miete für ein Zimmer in der WG bezahlen kann. Die Bezahlung der Postdocs ist nicht viel besser. Die Mittelknappheit wirkt sich entsprechend auf die universitären Forschungsmöglichkeiten aus.

Ganz anders ist die Situation an privat- und spenden-finanzierten forschenden Krankenhäusern und Instituten. Erstens verdient man da etwas mehr, zweitens ist die Ausstattung wirklich ausgezeichnet. Dort, wo ich gearbeitet habe, gab es alles und im Überfluss. Teure Kits, Top-Facilities mit modernster Ausstattung und extrem kompetenten Mitarbeitern, sogar kostenloses und ziemlich gutes Mittagessen.

Bella Italia

Interessanterweise wurde die riesige Mausanlage an meinem Institut aus der Öffentlichkeit herausgehalten, denn Italiener sind sehr tierlieb und würden wohl für tierverbrauchende Forschung weniger gern spenden. Es ging aber auch die Theorie um, dass die Geheimniskrämerei dem obersten Direktor geschuldet wäre – der ist nämlich Vegetarier.

Das Leben in Italien ist schon anders als in Deutschland. Das Essen ist, wie zu erwarten, in jeder Hinsicht ausgezeichnet. Das Wetter ist auch sehr gut, abgesehen vom Hochsommer, wo jeder Italiener, der es sich leisten kann, aus der Großstadt flieht. Die Straßen in Mailand sind im August wie ausgestorben.

Eine anderes Thema ist die italienische Bürokratie. Ich vermute, die Italiener haben längst resigniert und versuchen einfach, ihrem Staat aus dem Weg zu gehen; man versteht auch, warum sie ungern Steuern zahlen. Dafür spenden die Italiener extrem viel; so wissen sie auch, wohin ihr Geld geht. Die erfolgreichste biomedizinische Forschung in Italien ist spendenfinanziert.

Wer zum Forschen nach Italien ziehen will, sollte schon vor dem Umzug mit dem Papierkram anfangen und auch darauf achten, dass man von dem aufnehmenden Institut gut unterstützt wird, was Behördengänge und Sprachbarriere angeht. Insbesondere Bewerber aus nicht-EU-Ländern werden viel Unterstützung benötigen, denn Italien hat erst seit relativ kurzer Zeit Erfahrungen mit Einwanderung. Die Schwierigkeiten sind daher beachtlich.

Den Papierkram nicht vergessen

Ich kannte Doktoranden, deren Visum trotz guter Sprachkenntnisse und regelmäßiger Behördengänge immer abgelaufen war. Im Allgemeinen hat man als Doktorand oder Postdoc in Italien keinen Arbeitsvertrag, sondern ein steuerpflichtiges Stipendium, ohne Anspruch auf Sozialleistungen wie Arbeitslosengeld und theoretisch auch ohne Krankenversicherung. Ich habe deswegen über eineinhalb Jahre ohne Krankenversicherung gelebt. Irgendwann habe ich mir als Stipendiat eine über den DAAD verschafft.

Andererseits konnten viele meiner Kollegen die Behörden doch überzeugen, eine Krankenversicherungskarte auszustellen. Italien eben. Frauen sollten aufpassen, dass es bei so einem Nicht-Arbeitsvertrag zwar einen verpflichtenden Mutterschutzurlaub gibt, aber kein Geld. Damit ist man ganz auf den Gruppenleiter oder das Institut angewiesen, ob sie den Vertrag entsprechend verlängern würden.

Il Capo

Die italienischen Gruppenleiter, die ich kennenlernte, sind deutlich modebewusster und sprechen lauter als die Deutschen, ansonsten ist der Unterschied minimal. Viele deutsche Doktoranden zieht es nach Skandinavien oder Großbritannien, auch um der strengen Labor-Hierarchie in Deutschland zu entfliehen. Italien ist Deutschland da leider sehr ähnlich. Man sollte sich nicht durch den lockeren Umgangston und das Duzen in Italien täuschen lassen. Il Capo ist dort kein Scherzbegriff für den Boss.

Ich habe einen Mailänder Klinikdirektor erlebt. Die für alle Umherstehenden respekteinflößende Machtfülle, zudem Sprechweise und Erscheinungsbild, glichen eins zu eins den deutschen Kollegen, die ich während meiner Promotion kennengelernt hatte. Sogar mein sonst sehr selbstbewusster Gruppenleiter hatte Angst vor ihm und war still.

Die Laborhierarchie ist also der deutschen sehr ähnlich. Es gibt einen Boss, der denkt, plant, kontrolliert und der wissenschaftlich das Sagen hat. Im Labor ist eine Rangordnung nur so weit vorhanden, wie diese von oben etabliert wird. Der Ablauf eines Forschungsprojekts wird verordnet, Abweichungen oder Meinungsverschiedenheiten führen meist zu Konflikten, die nur einer gewinnen kann. Die Arbeitszeiten sind wie in allen Forschungslaboren auf der Welt ebenfalls meistens lang. In meinem Institut in Mailand bleiben die Leute viel länger im Labor, als ich es an deutschen Universitäten oft erlebt habe. Generell arbeiten die Italiener, die keine gewerkschaftsgesicherten oder verbeamteten Stellen haben, sehr viel. Ich wette, Frau Merkel hat das nicht gewusst.

Forschen in Italien kann sich also wirklich lohnen, wenn man das Land mag und die Sprache lernen will. Wichtig ist aber, ein gut ausgestattetes Institut zu finden, wo man im Umgang mit Ausländern erfahren und hilfsbereit ist.

 

Leonid Schneider


Fotomontage: iStock

Karte by Eric Gaba/NordNordWest via Wikimedia

 



Letzte Änderungen: 30.12.2013