Editorial

Großes Geheimnis um kleine Poren

Demnächst dürfen ausgewählte Forscher ein Sequenziergerät der dritten Generation im eigenen Labor ausprobieren. Die Genomik-Szene ist elektrisiert. Aber die Geheimniskrämerei des Herstellers Oxford Nanopore verwirrt.
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(29. Oktober 2013) Der Wortschöpfung "Next Generation Sequencing" fehlte der Weitblick. Denn kaum haben sich die neuen, schnellen Methoden zur Genomanalyse etabliert, steht schon die allerneueste, noch schnellere, übernächste Generation vor der Tür, folgerichtig "Third Generation Sequencing" genannt.

Die Entwickler dieser dritten Technologie-Generation haben das Sequenzieren noch einmal ganz neu erfunden. Die Hauptrolle spielen dabei Moleküle mit Loch, genauer gesagt, modifizierte bakterielle Ionenkanäle. Das Verfahren heißt deshalb auch „Nanopore Sequencing“.

Durch diese Poren passt ein DNA-Strang hindurch. Je nachdem, welcher Sequenzabschnitt sich gerade durch die Öffnung der Pore schiebt, verändert sich auch die „Durchlässigkeit“ des Ionenkanals, denn die vier DNA-Bausteine haben unterschiedliche physikalisch-chemische Eigenschaften. Geladene Teilchen werden also mal mehr, mal weniger am Passieren der Pore gehindert. Den Fluss der Ionen kann man experimentell messen und somit ablesen, ob gerade A, C, G oder T durch die Öffnung gleitet.

Humangenom in 15 Minuten, unter 1000$

Anders als bei früheren Verfahren muss während des Sequenziervorgangs also nichts synthetisiert oder hybridisiert werden. Unter anderem deshalb geht das Verfahren so schnell, zudem dann, wenn viele dieser Poren parallel arbeiten. Die Entwickler wollen die Zeit für die Sequenzierung eines menschlichen Genoms auf unter 15 Minuten drücken. Das entspräche einer mittleren Lesegeschwindigkeit von mehr als drei Millionen DNA-“Buchstaben“ pro Sekunde, zu Kosten, die unter tausend Dollar pro Genom liegen sollen. Und das alles in einer vergleichsweise winzigen Schachtel, die kaum größer ist als ein USB-Stick.

Die Firma Oxford Nanopore Technologies hat nun einen solchen Zauberkasten hergestellt und offenbar nahe an die Marktreife gebracht. Während der gerade zu Ende gegangenen Konferenz der US-amerikanischen Humangenetiker (ASHG) gaben die Hersteller eine Aufsehen erregende Demonstration der MinION genannten Neuentwicklung. Einige Konferenzteilnehmer durften auch selbst Probeläufe machen und teilten prompt 'Beweisfotos' und Reaktionen über Twitter (zum Beispiel hier; einige der Reaktionen auf Twitter haben wir auch unter diesem Beitrag gesammelt).

Allerdings haben externe Wissenschaftler bisher noch keine Rohdaten von Firmen-internen Testläufen gesehen, anders als bei ähnlichen Markteinführungen recht üblich. Alles, was Forscher jenseits der Mauern des Herstellers über die neuen Sequenziergeräte wissen, beruht im Wesentlichen auf Firmenmarketing und Hörensagen.

Strenge Regeln für early-access-Nutzer

Ab November gibt Oxford Nanopore nun die ersten MinIONs gegen eine Leihgebühr von 1000$ probeweise an externe Forscher heraus, jedoch unter recht strengen Bedingungen; und hier wird die Geschichte ein wenig seltsam. Die Teilnehmer des early access - Programms dürfen anfangs keine eigenen Proben analysieren, sondern nur Testmaterial, das der Hersteller zur Verfügung stellt. Die Daten aus diesen Test-Runs müssen mit der Firma geteilt werden und die benutzten „Flow Cells“ (die Kammern, in denen die eigentliche Messung stattfindet) will der Hersteller umgehend zurück haben. Während dieser burn in - Phase profitiert also in allererster Linie Oxford Nanopore von der Arbeit der externen Tester. Erst nach dieser nicht näher eingegrenzten Vorlaufzeit dürfen die Forscher eigene Datensätze generieren.

Goldenes Ticket oder Katze im Sack?

Die Meinungen über das early-access-Programm sind entsprechend geteilt. Der Blogger und Genomiker Nick Loman (Universität Birmingham) etwa nennt das Programm ein „Goldenes Ticket“. Denn natürlich brennen Wissenschaftler darauf, diese spannende Technologie in die Hände zu bekommen. Aber der Bioinformatiker Lex Nederbragt ist sicher nicht der Einzige, der vorab gerne Fragen beantwortet hätte, zu denen man sich bei Oxford Nanopore bisher auffallend bedeckt hält.

„Würden Sie so eine Waschmaschine kaufen?“, fragt er auf seiner Website „In between Lines of Code“.

„Für ein Pfand von 1000$ schickt dir der Hersteller eine Waschmaschine; sie verkaufen dir auch ihr ganz spezielles Waschmittel. Die Firma hat aber bisher niemandem gezeigt, wie lange der Waschgang braucht oder ob die Kleider danach wirklich sauber sind. Zuerst musst du dreckige Kleider waschen, die dir der Hersteller zuschickt, und die musst du danach auch noch zurückgeben“.

Wie störanfällig ist das System? Wie kommt die Methode mit schwierigen DNA-Abschnitten zurecht, zum Beispiel GC-reichen Regionen? Ist Nanopore Sequencing wirklich so schnell wie behauptet?

„Oxford Nanopore vertraut einfach darauf, dass wir dem Hype glauben und deshalb beim early-access Programm mitmachen“, meint Nederbragt. Und Tim Frayling, Humangenetiker an der Universität Exeter, fragt über Twitter, nicht ohne Sarkasmus: „Bedeutet das jetzt, dass wir noch mal fünf Jahre warten müssen, um dann zu wissen, dass wir noch mal fünf Jahre warten müssen?“

Spannende Zeiten in der Sequenzier-Szene

Hat der Hersteller dieses streng reglementierte Testprogramm vielleicht gerade deshalb aufgelegt, weil er noch mit hartnäckigen technischen Problemen kämpft? Probleme, die man nicht unbedingt in der Öffentlichkeit ausbreiten will? Aber das ist nur Spekulation. Vielleicht hat man es einfach mit einer Firmenführung zu tun, die viel von Geheimniskrämerei hält.

Jedenfalls ist die Versuchung, das wundertätige Gerät als einer der ersten in den Fingern zu haben, bei vielen potentiellen Käufern wohl größer als die Skepsis. Trotzdem würden sich Forscher über einen offenere Kommunikation von Seiten des Herstellers freuen. Denn wenn der Aufbruch zur dritten Generation der Sequenziergeräte jetzt ernsthaft beginnt, müssen sie bald wissen, wo eventuelle Fallstricke verborgen sind. Wie auch immer: Es sind spannende Zeiten in der Sequenzier-Szene. Denn bald wird sich zeigen, ob das Gerät hält, was Oxford Nanopore verspricht.



Hans Zauner
Foto:  bakterieller Ionenkanal,via Andrei Lomize/OPM

(Lizenz: creative commons share-alike/attribution)

 

Quellen und weitere Links:
Would you buy that washing machine?  von Lex Nederbragt

The Oxford Nanopore Golden Ticket von Nick Loman

Beispiel für Nanopore-Sequencing -so sehen  Rohdaten in etwa aus.

Yanic Ehrlich's Blog (mit mehr technischen Details)

Keith Robison's Blog ("Is Oxford Nanopore's MinION a con? A silly sideshow? A clever but ultimately not terribly useful toy?  Or a revolution in sequencing? ")

Details über das early access  - Programm bei "Homologus"

 



 

 



Letzte Änderungen: 12.12.2013