Editorial

Batteriewechsel mit Hindernissen

Mutter, Vater, Mito-Donor: Die mitochondriale Ersatztherapie soll Frauen mit seltenen Erbkrankheiten zu gesunden leiblichen Kindern verhelfen – mit Hilfe der Zell-Kraftwerke einer Eizellspenderin. Aber ein Forschertrio mit Tübinger Beteiligung warnt: Erst weiterforschen, dann anwenden.
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(27. September 2013) Der Bildschirm des Laptops flackert bedenklich. Aber es ist zum Glück nicht so schlimm. Neue Batterien rein und alles ist wieder in Ordnung.

Auch in menschlichen Zellen kann man den Akku wechseln – zumindest wenn man schadhafte Batterien gleich in der Eizelle ersetzt; das zumindest ist die Hoffnung derjenigen Fortpflanzungsmediziner, die an der Mitochondrien-Ersatz-Therapie (MET) forschen.

Mit den „Batterien der menschlichen Zelle“ sind natürlich die Mitochondrien gemeint. Egal ob Muskeln kontrahieren, Nervenzellen feuern oder Enzyme ihre Substrate bearbeiten – Mitochondrien liefern die Energie dazu. Dazu sind die „Mitos“ ganz besondere Organellen: Sie besitzen nämlich ihr eigenes kleines Genom. Was zugleich aber auch Probleme schaffen kann: Mito-Mutationen können schwere Stoffwechselerkrankungen verursachen, die oft mit Muskelschwäche und Lähmungen einhergehen.

Besonders fatal sind diese mitochondrialen Erkrankungen für Frauen mit Kinderwunsch, da die Organellen exklusiv über die Mutter vererbt werden. Betroffene Frauen geben den genetischen Defekt daher automatisch an ihre Kinder weiter, ganz unabhängig davon, welche Gene der Vater beisteuert. Das Ziel der MET ist deshalb, die mutierten Mitochondrien schon in der Eizelle gegen die Organellen einer gesunden Spenderin auszutauschen – ein „Batteriewechsel“ eben.

Ein dritter Elternteil

Reproduktionsmediziner fusionieren dazu eine entkernte Spender-Eizelle samt gesunder Mitochondrien mit dem Zellkern einer Eizelle der Patientin. Die gesunden Donor-Mitochondrien stammen also von einem dritten, mütterlichen Elternteil; der Zellkern mit 99.9% der Gene indes von der zukünftigen Mutter selbst. Diese Hybrid-Eizelle muss dann nur noch mit den Routineverfahren der In Vitro-Fertilisation mit dem Samen des Vaters befruchtet und in die Gebärmutter eingepflanzt werden.

Das Verfahren funktioniert bereits in Modellsystemen, in Mäusen und Makaken beispielsweise. Aber auch menschliche Embryonen mit Donor-Mitochondrien können zumindest die ersten Stadien der Embryonalentwicklung durchlaufen. An eine Einpflanzung solcher Embryonen in eine menschliche Gebärmutter hat man sich bisher jedoch noch nicht gewagt – auch, weil die rechtlichen Grundlagen dafür fehlen.

Das soll sich aber bald ändern, zumindest in Großbritannien. Nach Beratungen mit Ethik-Komitees soll dort spätestens 2014 eine gesetzliche Regelung gelten, die den klinischen Einsatz der MET grundsätzlich erlaubt – vorerst jedoch mit eingehender Würdigung von Nutzen und Risiken jedes Einzelfalls.

In der Diskussion zwischen Bioethikern, Forschern und Politikern auf der Insel spielte der erwähnte Batterie-Vergleich gar eine entscheidende Rolle; ein Laptop mit neuem Akku ist im Prinzip derselbe Laptop wie vorher, mit derselben Festplatte und CPU, aber eben mit frischer Energie versorgt.

Komplexe Wechselwirkungen

Allerdings: Dieser Vergleich ist vielleicht ebenso anschaulich wie irreführend. Zumindest plädieren Dr. Klaus Reinhardt (Universität Tübingen), Dr. Ted Morrow (University of Sussex) und Dr. Damian Dowling (Monash University) in einem kürzlich erschienenen Meinungsbeitrag dafür, genauer hinzusehen (Science, vol. 341(6152): 1345-6).

Denn anders als zwischen Batterie und Rechner gibt es komplexe Wechselwirkungen zwischen den Genen in Mitochondrium und Zellkern. Das Zusammenspiel zwischen Kern und Organellen ist das Ergebnis einer langen Ko-Evolution. Die Befürchtung der Kritiker daher: Bei der MET treffen eventuell mitochondriale Genotypen auf Varianten der Kerngene, die weniger gut zusammenarbeiten als bei einer natürlichen Befruchtung. Der Einwand ist nicht nur theoretisch. Das skeptische Trio zitiert beispielsweise MET-Studien an Maus-Inzuchtlinien, die auf Stoffwechsel- und Entwicklungsprobleme in Organismen mit Fremd-Mitos hindeuten könnten.

Langzeitfolgen unbekannt

Bevor die MET als klinische Behandlungsmethode zum Einsatz kommt, wollen die drei Kritiker deshalb einige Fragen ausgeräumt sehen. Da ist zum einen der Mangel an Daten zu den langfristigen Folgen. Die Makaken, an denen die Prozedur erfolgreich ausprobiert wurde, sind nur drei Jahre lang beobachtet worden – vielleicht zu kurz, um subtile negative Folgeschäden zu erkennen. Und bei Menschen wissen wir jenseits des frühen Fötalstadiums noch gar nichts über eventuelle ungünstige Auswirkungen.

Auch zum praktischen Vorgehen gibt es noch offene Fragen. Eventuell wäre es angezeigt, ganz gezielt solche mitochondrialen Genotypen auszuwählen, die gut zum Kern-Genom der Empfängerin passen. Wie aber jeweils „geeignete“ und „ungeeignete“ mitochondriale Genome konkret aussehen, ist noch reichlich unklar.

Erst weiterforschen, dann legalisieren also? Professor Robin Lovell-Badge ist ein Mitglied der Kommission, die die Prozedur für die britische Regierung begutachtet hatte. Er schätzt die Risiken geringer ein: wenn es wirklich deutliche negative Wechselwirkungen zwischen Mito-Genotyp und bestimmten Kerngen-Varianten gäbe, so hätte man diese eigentlich längst sehen müssen. (Der BBC sagte er wörtlich: "Humans are breeding between races and producing healthy children all the time. If there is an effect then it must be very trivial as it's not been noticed.")

Einig sind sich die meisten Experten in der generell optimistischen Einschätzung zu den Erfolgsaussichten der Methode dennoch: „In dieser Technologie steckt das Potenzial, Müttern mit Mitochondrienkrankheiten zu gesunden Babys zu verhelfen,“ so auch Klaus Reinhardt.

Aber wann wissen wir genug über potentielle Risiken, um den Sprung in die klinische Praxis zu wagen? Wie lange darf man den betroffenen Frauen die Behandlung vorenthalten, um alle möglichen Gefahren abzuklären? Eine schwierige Entscheidung, die da auf die Parlamentarier zukommt – zuerst wohl nur in Großbritannien, aber früher oder später wahrscheinlich auch in Deutschland.

Hans Zauner

 

Quellen:

# „Mitochondrial Replacement, Evolution, and the Clinic“, Science, 20 September 2013: Vol. 341 (6152): 1345-1346 DOI: 10.1126/science.1237146

# Pressemitteilung der Universität Tübingen vom 19.9.2013: http://idw-online.de/pages/de/news552026

# BBC-Meldung „Warning of three-person IVF ‚risks’“: http://www.bbc.co.uk/news/health-24158049

# Stellungnahmen der britischen Ethik-Kommissionen:

     - http://www.hfea.gov.uk/docs/2011-04-18_Mitochondria_review_-_final_report.PDF

     - http://www.nuffieldbioethics.org/mitochondrial-dna-disorders



Letzte Änderungen: 08.04.2014