Editorial

Nobelpreisträger der Herzen

Die diesjährigen Ig-Nobelpreise verdienten sich unter anderem Astronomie-kundige Mistkäfer, eine Musiktherapie für Mäuse sowie unergründliche Kühe. Und dies alles bei einer Preisverleihung der besonderen Art.
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(17. September 2013) Es ist einer dieser besonderen Momente im Sanders Theather an der Harvard University: Japanische Wissenschaftler nehmen freudestrahlend eine Auszeichnung aus den Händen eines Nobelpreisträgers entgegen. Aber warum sind zwei der frisch geehrten Forscher als Mäuse kostümiert und halten rosa Plüschherzen in den Händen? Und warum singt die ganze Arbeitsgruppe eine Passage aus Verdis Oper La Traviata, anstelle einer Dankesrede?

Nein, das ist kein Fakultäts-Karneval – immerhin sind die Forscher extra aus Japan angereist. Und sogar das Hilfspersonal der Veranstaltung ist hochkarätig besetzt. Professor Roy Glauber, Physik-Nobelpreisträger 2005, steht als „Keeper of the Broom“ bereit, um Papierflieger von der Bühne zu kehren, die aus dem Publikum auf die Geehrten niederprasseln. Auch der Zeitplan des Events wird rigoros durchgesetzt: Die achtjährige „Miss Sweetie Poo“ sorgt dafür, dass die Preisträger sich kurz fassen; nach Ablauf der äußerst knappen Redezeit ruft sie in Endlosschleife „Please stop. I'm bored“.

Erfahrene Laborjournal-Leser und Forschungs-Geeks wissen natürlich längst, worum es bei der kurzweiligen Feierstunde ging: Die Ig-Nobelpreise wurden erneut verliehen; Masanori Niimi und seine Sängerfreunde beispielsweise haben den diesjährigen Preis für Medizin gewonnen. Laut ihrer Studie wirkt sich Opernmusik vorteilhaft auf die Genesung nach einer Herztransplantation aus – bei Mäusen, wohlgemerkt (Transplantation Proceedings, vol. 44(4): 1076-9).

Die Ig-Nobelpreise muss man langjährigen Laborjournal-Lesern eigentlich nicht mehr erklären. Dennoch in aller Kürze: Sie sind ein launiges Pendant zu den von Alfred Nobel eingesetzten Preisen. Ob die alternative Auszeichnung wirklich eine Ehre ist, steht dahin – aber zumindest ein Ig-Nobel-Preisträger hat später auch den echten Nobelpreis gewonnen (der Physiker Sir Andre Geim). Was wohl beweist: Weder ist der Ig-Nobel eine Art goldene Himbeere für besonders mangelhafte oder gar idiotische Leistung, noch sind die Ausgezeichneten pseudowissenschaftliche Spaßvögel.

Research that makes you laugh, then think“. Erst lachen, dann nachdenken – das ist vielmehr das Motto. Die Preisträger sind in der Regel echte Wissenschaftler, die die Auszeichnung meist für ordentlich gemachte Forschung bekommen – aber eben mit einem Schuss Absurdität sowie manchmal bewusster, manchmal auch unfreiwilliger Komik. (Eine Ausnahme war dieses Jahr der „Friedenspreis“ , verliehen an den weißrussischen Diktator Alexander Lukashenko für das Verbot, in der Öffentlichkeit zu applaudieren – und an seine Polizei, die aufgrund eben dieses Gesetzes einen einarmigen Bürger verhaftet hatte).

Ein vollständiger Überblick über alle Preisträger und Themen ist auf der Homepage der Zeitschrift Annals of Improbable Research nachzulesen, die den Preis 1991 ins Leben gerufen hatte. Ich erspare mir hier deshalb einen umfassenden Detailbericht und stelle nur kurz meine drei persönlichen Favoriten vor:

(1) Mistkäfer sind ja an sich schon lustige Gesellen. Putzig anzusehen, wie sie aus Mist kleine Kugeln rollen, als Nahrung für ihren Nachwuchs. Aber wie schaffen sie es, nachts die Orientierung zu behalten? Schon früher wusste man, dass das Mondlicht dabei eine Rolle spielt – aber was ist, wenn der Mond nicht scheint? Das helle Band der Milchstraße tut’s auch, fanden Wissenschaftler um Marie Dacke von der Universität Lund heraus (Current Biology, vol. 23(4): 298-300). Die Forscher hatten keinen Aufwand gescheut, um ihre Hypothese zu belegen. Nach einigen Freilandversuchen brachten sie die Käfer ins Planetarium, wo die Käferforscher gezielt Himmelskörper an- uns ausknipsen konnten; und sie bastelten sogar kleine Mistkäfer-Augenklappen. Der Aufwand brachte ihnen nun einen kombinierten IG-Nobelpreis in den Kategorien Astronomie und Biologie ein.

(2) Im Fach Archäologie zeigten die Forscher um Brian Crandall schon vor 20 Jahren allerhöchste Einsatzbereitschaft: Sie verschlangen eine gekochte Spitzmaus mit Haut und Haar. Was sich anhört wie eine Mutprobe angeheiterter Tiermedizin-Studenten, war in Wirklichkeit angewandte Archäologie – denn im nächsten Schritt der heroischen Studie sammelten sie die verdauten Überreste der Spitzmaus im Stuhl wieder ein, soweit sie noch identifizierbar waren. An prähistorischen Fundstellen finden sich häufig Reste der Steinzeit-Mahlzeiten von Tier und Mensch. Aber wie sehen eigentlich Kleinsäuger-Knochen aus, die gerade frisch durch den menschlichen Verdauungstrakt gewandert sind? Dank Crandalls Selbstversuchen wissen wir: Ein Großteil der Spitzmaus-Knochen wird im menschlichen Verdauungstrakt komplett aufgelöst (J. of Archaeological Sci., vol. 22(6): 789-97). Und endlich wurde diese Leistung nun mit einer würdigen Auszeichnung bedacht.

(3) Mein absoluter Favorit unter den Ig-Nobelpreisträgern 2013 ist aber die Arbeit von Bert Tolkamp aus Edinburgh, der mit drei Kollegen einen überraschenden Wesenszug der Kuh aufgespürt hat. Schaut man einer liegenden Kuh zu, so steigt im Beobachtungszeitraum die Wahrscheinlichkeit an, dass sie in Kürze aufstehen wird. Trivial? Hier schlägt das Motto „Lachen, dann Nachdenken“ zu. Denn anders herum gilt die Regel nämlich nicht, fanden die schottischen Forscher heraus (Appl. Animal Behav. Sci., vol. 124(1-2): 1-10). Es ist eben keineswegs trivial vorherzusagen, wann sich eine Kuh nach dem Aufstehen wieder hinlegen wird. „They never did what we expected them to do“, sagte Tolkamp während der Preisverleihung über seine eigenwilligen Studienobjekte.

Die Kuh-Studie hat zudem auch einen ganz praktischen Nutzen: Die Forscher hatten nämlich einen Sensor entwickelt, der an den Kuhfüßen angebracht wird und das Liege- und Steh-Verhalten der Tiere aufzeichnet. So können beispielsweise kranke Kühe in der Herde frühzeitig erkannt werden.

Es war also wieder ein außergewöhnlicher und erkenntnisreicher Abend im Sanders Theather. Die Preisträger bekamen diesmal sogar ein Preisgeld: 50 Billionen simbabwische Dollar aus der Zeit der dortigen Hyperinflation. Kaufen kann man sich davon leider nichts mehr, aber wie bei der gesamten Ig-Nobelpreisverleihung zählt auch hier die Geste.

Bleibt zum Schluss die Frage: wieso lieben die Forscher in aller Welt die launigen „Nobel“-Preise so sehr, und wieso sind die Preisträger mittlerweile Helden der Herzen in Wissenschaftlerkreisen? Weil sie ein Schmunzeln in den grauen Forscheralltag bringen, der sonst allzu oft von missglückten Experimenten, abgelehnten Anträgen und Budgetsorgen geprägt ist? Oder ist es die diebische Freude am Absurden, am gewollt Sinnlosen, die den Erfolg des alternativen Nobelpreises ausmacht? Sicher, das auch.

Aber vielleicht sind im exklusiven Kreis der Ig-Nobelpreisträger auch einige Ideale lebendig, die vielen anderen Forschern im Laufe ihrer Karriere gründlich ausgetrieben werden: Forschen aus purer Neugier; keine Hypothese zu abwegig erklären, um sie nicht zu testen; und schließlich mutig mit den Ergebnissen an die Öffentlichkeit treten – ohne Rücksicht auf gerümpfte Nasen bei engstirnigen Kollegen.

Hans Zauner

(Annals of Improbable Research hat übrigens zwei lange Videos über die diesjährige Preisverleihung auf YouTube hochgeladen: Video 1, Video 2)



Letzte Änderungen: 08.04.2014