Editorial

Deutschland sucht die Super-Kohorte

Mediziner wollen über zwanzig Jahre hinweg Lebensgewohnheiten und Gesundheitszustand von bis zu 200.000 Deutschen verfolgen. Die Daten sollen Aufschluss geben über Risikofaktoren für Diabetes, Krebs, Demenz und andere Krankheiten. Nächstes Jahr geht’s los.
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(9. Juli 2013) Wenn Asterix und Obelix in gallischen Wäldern auf eine Kohorte treffen, handelt es sich meist um sandalentragende Römer im Dienst Julius Cäsars, die ordentlich was auf die Mütze bekommen. Wenn der Begriff jedoch in einer Pressemeldung der Bundesforschungsministerin auftaucht, muss wohl etwas anders gemeint sein. Und tatsächlich, die erwähnte „Nationale Kohorte“ ist vielmehr eine Gesundheitsstudie mit bis zu 200.000 Teilnehmern, die auf eine Laufzeit von 20 Jahren angelegt ist.

400.000 zufällig ausgewählte Bürger zwischen 20 und 69 Jahren sollen ab 2014 eine Einladung zur Teilnahme bekommen. Wer mitmacht, gibt Blutproben ab und erteilt Auskunft über sein Leben – Sportler oder Couchmuffel, Nichtraucher oder Tabakfreund, Vegetarier oder Schnitzelfan? 40.000 Teilnehmer werden zudem umfassend medizinisch untersucht, unter anderem mit Magnetresonanz-Tomographie. 210 Millionen Euro stellen das Bundesforschungsministerium, 14 Bundesländer und die Helmholtz-Gemeinschaft für das Mammut-Projekt zur Verfügung. Dreizehn Universitäten, vier Helmholtz-Zentren und vier Leibnitz-Institute teilen sich die Arbeit auf.

Wieso dieser Aufwand? Langfristig angelegte Kohortenstudien liefern den Epidemiologen aussagekräftige Datensätze, um Risikofaktoren und soziale Begleitumstände von Krankheiten zu erforschen. Vor allem geht es dabei um die großen Killer in den westlichen Gesellschaften: Krebs, Diabetes, Herz-Kreislauferkrankungen.

Natürlich kann man alternativ auch versuchen, durch einzelne Fragebogenaktionen Begleitumstände für Krankheiten zu erforschen; aber richtig zuverlässig sind die Ergebnisse dieser einmalig durchgeführten Umfragen meist nicht. Im Nachhinein bewerten viele Patienten ihre vergangenen Gewohnheiten und Risikofaktoren vielleicht anders, oder sie erinnern sich einfach falsch. Vor allem aber kann ein Statistiker aus so einer Momentaufnahme kaum verlässliche Aussagen zu Ursache und Wirkung herausfiltern.

An einem aufwändigen, „prospektiven“ (= in die Zukunft gerichteten) Studiendesign führt deshalb kein Weg vorbei, wenn man die vielen potentiellen Faktoren halbwegs in den Griff bekommen will. Die komplexen Wechselwirkungen zwischen genetischer Veranlagung, Umwelteinflüssen und Lebensgewohnheiten zwingen die Mediziner somit zu jahrelanger Geduld, während die Studienkohorte älter und unweigerlich auch kränker wird.

Konkret läuft die Studie so ab: Nach der Erstuntersuchung bekommen die Teilnehmer alle paar Jahre eine Einladung für Folgeuntersuchungen. Ein Teil der Freiwilligen wird während der Studienlaufzeit erkranken – wegen der großen Zahl der Teilnehmer und der langen Laufzeit kann man das sicher vorhersagen. Im Rückblick können die Mediziner dann mögliche Risikofaktoren und Begleitumstände auswerten, die den jeweiligen Krankheiten vorausgingen.

Ein Beispiel für die Nützlichkeit von Kohortenstudien erschien erst kürzlich an dieser Stelle, als es um die Entwicklung eines Tests für Humane Papillomviren in der Krebs-Früherkennung ging. Auch hier war der entscheidende Trick, dass eingelagerte Blutproben von etwa 1.000 Krebspatienten vorlagen, die vor Ausbruch der Krankheit genommen wurden. Die Mediziner konnten deshalb gezielt im Blut der späteren Krebspatienten nach Biomarkern suchen, die das Krebsrisiko vorhersagten.

Das Forschungsministerium schreibt nun, mit der Nationalen Kohorte erhalte man „Anschluss an die internationale Spitzenforschung in der Epidemiologie“. Ob das ein Eingeständnis ist, dass Deutschland bisher hinterherhinkt? Wie auch immer, gerade bei den Kohortenstudien kann man Ergebnisse aus anderen Ländern nur bedingt übertragen; zu groß sind die Unterschiede der Gesundheitssysteme, der Lebensumstände und Ernährungsgewohnheiten. Deshalb ist es auch wichtig, dass die Studie so angelegt ist, dass die Ergebnisse mit Kohorten anderer Länder vergleichbar sind. Nationale Besonderheiten kommen so ans Licht.

Bleibt zu hoffen, dass die nationale Kohorte auch genügend Freiwillige findet, denn natürlich können die Forscher niemanden zum Mitmachen zwingen. Die Teilnehmer bekommen einen kostenlosen Gesundheits-Check und das gute Gefühl, dem medizinischen Fortschritt zu dienen; dem steht das Risiko gegenüber, intimste Daten preiszugeben.

Vertraulichkeit und Anonymisierung der Daten sind selbstverständlich Teil des Plans, auch für die Sicherheit der Informationstechnologie gibt es ein Konzept. Der Datenschutzbeauftragte hat sein OK gegeben und ein externer Ethikrat begleitet die Studie während der gesamten Laufzeit – wie es sich gehört.

Aber, verunsichert durch die im Moment wöchentlich neuen Meldungen über das Netzwerk internationaler Datenschnüffelei im Internet, fällt es manchem vielleicht doch schwer, sich für Forschungszwecke durchleuchten zu lassen (im wortwörtlichen wie auch sprichwörtlichen Sinn). Immerhin sammeln die Mediziner intimste Daten, die nicht einmal der Hausarzt des Vertrauens in dieser Fülle kennt. Neben dem Gesundheitszustand können das beispielsweise auch Einkommen, Beruf, Ernährungsgewohnheiten, Bildung, familiäre Situation und Wohnverhältnisse sein.

Wenn wir aber wissen wollen, was uns krank macht und was uns gesund hält, brauchen die Mediziner eben umfassende, prospektive Daten. Hoffen wir also, dass sie verantwortungsvoll damit umgehen. Dann werden es auch viele so halten wie Johanna Wanka, die Forschungsministerin: „Wenn ich einen Brief erhalten sollte, werde ich gerne als Teilnehmerin mitwirken“.

Hans Zauner



Letzte Änderungen: 02.10.2013