Editorial

Don’t Shoot The Messenger

Forscher dürfen offensichtliches Fehlverhalten nicht öffentlich machen, solange eine uniinterne Kommission darüber kein Urteil gefällt hat. Diesen „Maulkorb“ wollen Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) und Hochschulrektorenkonferenz (HRK) mit neuen Empfehlungen durchsetzen. Doch unter den Forschern regt sich Widerstand.
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(5. Juli 2013) Seit nahezu zwanzig Jahren haben wir bei Laborjournal immer wieder mit Fällen von wissenschaftlichem Fehlverhalten samt deren „Bewältigung“ zu tun. Manchmal berichteten wir darüber, machten die „Fälle“ also öffentlich – manchmal nicht. Jedes Mal hatte die Entscheidung seine ganz eigenen Gründe.

Nehmen wir einen unserer letzten „Fälle“. Ein Anonymus schrieb uns, dass das Bild in einem bestimmten Paper offenbar teilweise von einem anderen Bild abkopiert war. Die Universität, an der die Autoren beschäftigt waren, habe auf frühere Meldung gar nicht reagiert – das Journal, in dem das verdächtige Paper veröffentlicht war, habe den Verdacht nach kurzer Evaluierung abgeschmettert. Wir schickten die beiden Bilder zur Prüfung an drei unabhängige Spezialisten. Alle Drei bestätigten den Verdacht, einer führte zum Beweis sogar extra eigene Experimente durch. Mit dieser neuen Evidenz kontaktierten wir wiederum Universität, Journal und Autoren – und schrieben am Ende unseren Artikel. Einige Monate später zog das Journal den betreffenden Artikel zurück. Die Universität hingegen reagierte auf mehrfaches Nachfragen gar nicht, bis heute ist nichts über eine Untersuchung des Falles bekannt.

Gut, dass der Scientific Record jetzt trotzdem berichtigt wurde, oder? Gut, dass die Selbstreinigungskraft der Wissenschaft auf diese Weise am Ende doch funktioniert hat. Auch wenn die betreffende Universität gar nicht „mitgespielt“ hat, und das betreffende Journal erst im zweiten Anlauf. Und auch wenn der sogenannte Whistleblower anonym blieb und schließlich den Weg über die Öffentlichkeit gesucht hat.

Ginge es nach dem Willen von Hochschulrektorenkonferenz (HRK) und Deutscher Forschungsgemeinschaft (DFG), würde die wissenschaftliche Selbstreinigung auf diese Art nur noch sehr schwer funktionieren. Bereits im Mai beschloss die HRK, folgenden Absatz in ihre Empfehlungen zur „Guten wissenschaftlichen Praxis an deutschen Hochschulen“ hinzu zu nehmen:

„Zum Schutz der Hinweisgeber (Whistle Blower) und der Betroffenen unterliegt die Arbeit der Ombudspersonen höchster Vertraulichkeit. Die Vertraulichkeit ist nicht gegeben, wenn sich der Hinweisgeber mit seinem Verdacht an die Öffentlichkeit wendet. In diesem Fall verstößt er regelmäßig selbst gegen die Regeln der guten wissenschaftlichen Praxis. […] (vgl. geplante Ergänzung zu DFG, Sicherung guter wissenschaftlicher Praxis, Empfehlung 17, […]).“

Und die DFG ergänzte ihre Empfehlungen zur Sicherung guter wissenschaftlicher Praxis aus dem Jahr 1998 in dieser Woche tatsächlich um die von der HRK bereits erwähnte Empfehlung Nummer 17. In deren Erläuterungen heißt es unter anderem:

„Die Überprüfung anonymer Anzeigen ist durch die Stelle, die den Vorwurf entgegennimmt, abzuwägen. Grundsätzlich gebietet eine zweckmäßige Untersuchung die Namensnennung des Whistleblowers. Der Name des Whistleblowers ist vertraulich zu behandeln. Eine Offenlegung des Namens gegenüber dem Betroffenen kann im Einzelfall dann geboten sein, wenn sich der Betroffene andernfalls nicht sachgerecht verteidigen kann.

Anzeigen sind von allen Beteiligten vertraulich zu behandeln. Die Vertraulichkeit dient dem Schutz des Whistleblowers sowie demjenigen, gegen den sich ein Verdacht richtet. Vor abschließender Überprüfung eines angezeigten Verdachts eines möglichen wissenschaftlichen Fehlverhaltens ist eine Vorverurteilung der betroffenen Person unbedingt zu vermeiden (hierzu auch Empfehlung 8, S.15). Die Vertraulichkeit des Verfahrens ist dann nicht mehr gegeben, wenn sich der Whistleblower mit seinem Verdacht zuerst an die Öffentlichkeit richtet, ohne zuvor die Hochschule oder Forschungseinrichtung über den Hinweis des Verdachts eines wissenschaftlichen Fehlverhaltens zu informieren. Die untersuchende Einrichtung muss im Einzelfall entscheiden, wie sie mit der Verletzung der Vertraulichkeit umgeht. Es ist nicht hinzunehmen, dass die frühzeitige Herstellung der Öffentlichkeit durch die informierende Person einen Reputationsverlust des Betroffenen zur Folge hat.“

Sicher, HRK und DFG wollen damit zum einen die Schwelle für willkürliche und ungerechtfertigte Anschuldigungen möglichst hoch legen. Zum anderen möchten sie Whistleblowern einen klaren Schutzraum bieten, sofern diese sich ihrerseits im Sinne der Empfehlungen „korrekt“ verhalten.

Zugleich scheint es ihnen aber auch darum zu gehen, dass die Deutungshoheit über wissenschaftliches Fehlverhalten einzig und allein an den Hochschulen verbleibt. Warum sonst stellen sie den Whistleblower, der stattdessen den Weg in die Öffentlichkeit sucht, umgehend auf die gleiche Stufe wie denjenigen, der tatsächlich Fehlverhalten begangen hat – vor allem, wenn er dabei noch anonym bleibt? Laut HRK-Empfehlungen ist dies schon ein Verstoß gegen die Regeln guter wissenschaftlicher Praxis, laut DFG kann es dies zumindest sein. Zudem stellte DFG-Generalsekretärin Dorothee Dzwonnek in der Pressekonferenz zu den neuen Empfehlungen unmissverständlich klar, dass anonymen Hinweisen im Rahmen eines Ombudsverfahrens nicht nachgegangen werde.

Nicht nur der Wissenschafts-Blogger Raphael Wimmer befürchtet allerdings:

„Auf jeden Fall ist eine Beratung und Untersuchung durch Ombudspersonen und Kommissionen ein wichtiger Bestandteil der Aufarbeitung von wissenschaftlichem Fehlverhalten. Ein Zwang, diesen Weg zu gehen, führt vielleicht zu weniger falschen öffentlichen Verdächtigungen, aber sicher auch zu deutlich weniger aufgedecktem Fehlverhalten.“

In einer idealen Welt mit idealen Ombuds- und Untersuchungsgremien würde der Weg von HRK und DFG ja eventuell sogar funktionieren. Nur scheint dies leider allzu weit entferntes Wunschdenken – siehe den eingangs erwähnten Fall, den die Universität ja selbst nach Retraktion des betroffenen Artikels noch nicht verhandelt.

Und leider ist dies kein Einzelfall. Man muss nur unsere Laborjournal-Archive durchgehen, um auf weitere Beispiele zu stoßen, in denen Universitäten und ihre Gremien Fälle von angezeigtem Fehlverhalten ignoriert, verschleppt, beschwichtigt oder sonst was haben – nur nicht aufgeklärt. Und wenn die Gremien nicht aus sich selbst heraus funktionieren, bleibt oftmals nur der Weg, über die Öffentlichkeit Druck zu erzeugen.

Der Jurist Sandro Wiggerich schreibt hierzu treffend im JuWissBlog:

„Die Überprüfung eines Plagiatsverdachtes ist zuallererst Aufgabe der Hochschulen. Die öffentliche Debatte über konkrete Fälle kann jedoch dazu beitragen, dass die Hochschulen diesen oft schmerzvollen Selbstreinigungsprozess auch tatsächlich vollziehen. Es wäre dabei falsch zu unterstellen, dass nur die berufenen Institutionen des Wissenschaftssystems zur Überprüfung von Verdachtsfällen befähigt sind.“

Im Prinzip geschieht genau dies gerade auch im Fall des emeritierten Düsseldorfer Herzforschers Bodo Strauer. Seit 2001 veröffentlichte dieser aufregende Studien zur erfolgreichen Therapie von Herzinfarkt-Patienten durch Einspritzen von Stammzellen. Schon damals äußerten viele Kollegen öffentlich Zweifel an Strauers Ergebnissen, niemand konnte die Ergebnisse reproduzieren. Irgendwann kam dann auch der Verdacht auf, dass Fehlverhalten im Spiel sei – und auch dieser wurde immer wieder öffentlich geäußert. Im Dezember letzten Jahres setzte die Universität Düsseldorf endlich eine Untersuchungskommission ein. Zu diesem Zeitpunkt jedoch hatten Kollegen um Darrel Francis vom Imperial College London längst zur Selbsthilfe gegriffen. Sie hatten 48 Artikel von Strauer et al. einer eigenen Analyse unterzogen – und dabei letztlich jede Menge Hinweise aufgespürt, die die wissenschaftliche Integrität der Studien zumindest stark zweifelhaft erscheinen lassen. Anfang dieses Monats machten sie ihre Ergebnisse und Schlussfolgerungen öffentlich: in dem begutachteten Paper „Autologous bone marrow-derived stem cell therapy in heart disease: Discrepancies and contradictions“ im International Journal of Cardiology (publ. online ahead of print, 2. Juli 2013).

Nimmt man die Empfehlungen von HRK und DFG wörtlich, haben Darrel Francis et al. damit klar gegen die Regeln der guten Wissenschaftlichen Praxis verstoßen. Schließlich sind sie mit ihrer Analyse an die Öffentlichkeit gegangen, ohne die Ergebnisse der entsprechenden uniinternen Untersuchungskommission abzuwarten. Die Kardiologen-Gemeinde wird es ihnen trotzdem danken.

Bleibt festzuhalten, dass man Fehlverhalten sowieso oftmals erst im Rahmen eines „normalen“ und an sich auch so gewollten wissenschaftlichen Diskurses auf die Schliche kommt: Resultate können nicht repliziert werden; dies wird der Community natürlich mitgeteilt; „Letters“ der Konfliktparteien werden veröffentlicht – bisweilen sogar Artikel mit neuen Experimenten publiziert, die das entsprechende Paper widerlegen;... – und irgendwann während dieses Prozesses wächst plötzlich der Verdacht, dass offenbar sogar gezielt gemauschelt wurde. Sollen sie dann sofort verstummen, weil jetzt erstmal ein schwerfälliges Uni-Gremium den Fall übernimmt? 

Es steht also zu befürchten, dass die Empfehlungen der HRK und vor allem der DFG dem wissenschaftlichen Selbstreinigungsprozess eher im Wege stehen als ihm zu nutzen. Nicht zuletzt aus diesem Grund regte sich auch umgehend Widerstand unter den Forschern. So hat etwa der Philosophiehistoriker Stefan Heßbrüggen einen Offenen Brief samt Petition an die beiden Präsidenten von HRK und DFG, Horst Hippler und Peter Strohschneider, formuliert. Darin schreibt er am Ende:

„Während die rechtssichere Feststellung wissenschaftlichen Fehlverhaltens und die Verhängung entsprechender Sanktionen sicherlich zu Recht in den Händen der Universitäten liegt, muss es Forscherinnen und Forschern unbenommen bleiben, den einem solchen Vorwurf zugrundeliegenden Sachverhalt öffentlich zur Diskussion zu stellen. Denn hierbei handelt es sich um Ergebnisse wissenschaftlicher Arbeit, über die einzig ihre Urheberin oder ihr Urheber verfügen kann. Über die Tauglichkeit dieser Ergebnisse kann wiederum einzig und allein im jeweiligen fachwissenschaftlichen Diskurs entschieden werden und nicht durch nichtöffentliche Verfahren eines dazu in keiner Weise legitimierten universitätsinternen Gremiums.

Der internationale Ruf der deutschen Wissenschaft steht auf dem Spiel. Daher fordern wir die ersatzlose Streichung der entsprechenden Vorschriften.“

Zum Zeitpunkt der Entstehung dieser Zeilen hatten 550 Kritiker die Petition unterzeichnet.

Ralf Neumann



Letzte Änderungen: 02.10.2013