Editorial

Was bringt #Forschergetwitter

Kann man heute noch Forscher sein, ohne sich um Twitter, Facebook und Co zu scheren? Kann man. Ist aber vielleicht keine gute Idee. Drei Gründe für mehr Internet-Engagement.
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(25. Juni 2013) Der Online-Mob verbreitet vor allem spontane, uninformierte Meinungsäußerungen zu Wissenschaftsthemen – über Blogs, Facebook, Twitter und Co. Und niemand kontrolliert deren Qualität. Schnell dahin geschriebene Blogs geben Forscheraussagen daher allzu oft falsch wieder, und schon ist die Reputation des Betroffenen im Eimer. Am Besten wäre es doch, die Experten bleiben unter sich und tauschen sich in althergebrachter Weise mit ihresgleichen aus: über Fachzeitschriften, wohlformulierte „Letters to the Editor“ und exklusive Professorenrunden an der Konferenzbar. Die Kommunikation mit der Außenwelt und den Social Media-Kram übernimmt der PR-Profi von der Pressestelle des Instituts.

Soweit – zugegeben, ein wenig überspitzt – die Kritik, die ich aus Geoffrey North's jüngstem Editorial in Current Biology herauslese. Es ist schon so: der aufgeklärte Mensch, der sich online zu Wissenschaftsthemen umschaut oder gar äußert, landet schnell im Treibsand der Verschwörungstheoretiker und Pseudowissenschaftler. Ob Gentechnik, Impfungen, Evolutionsbiologie oder Klimaforschung – die wissenschaftliche Sicht der Dinge geht bei solchen Themen schnell unter. Wieso sollte man sich das also überhaupt antun? Außerdem: Für die Forscher-Karriere zählen zuallererst Fachartikel und erfolgreiche Förderanträge; beides bekommt man doch nicht, indem Professoren, Postdocs und Doktoranden ihre Zeit in sozialen Netzen verdaddeln?

Aber sollten Wissenschaftler wirklich nur ausnahmsweise mal ein Fernsehteam von Galileo hereinlassen, das sorgfältig geschnittene Bilder von Doktoranden in weißen Kitteln nach draußen transportiert? Oder vergibt man eher sogar eine Chance, wenn man einen Bogen um die sozialen Netze macht? Zwei kürzlich erschienene Beiträge (einer in PLoS Biology, der andere in PeerJ) zeigen, wie Wissenschaftler vom Online-Engagement profitieren können – unter anderem auch, was die Zitierungen ihrer Originalartikel betrifft. Ob man am Ende allerdings wirklich etwas davon hat, hängt sehr vom jeweiligen Fachgebiet und den eigenen Zielen ab; Bioinformatiker haben es naturgemäß einfacher, im Netz eine Audienz zu finden, als beispielsweise Paläontologen.

Die folgenden drei Argumente sollten indes alle Social Media-abstinenten Forscher zumindest einmal bedenken:

1. Publizieren in einer aufregenden neuen Welt ohne Journal Impact Factor

Neulich habe ich an dieser Stelle berichtet, dass immer mehr Forscher die Schnauze voll haben vom Journal Impact Factor (JIF): nicht das Prestige des Containers, nicht die persönlichen Vorlieben eines allmächtigen Editors sollten zählen – sondern die Bedeutung der eigentlichen Arbeit. Verliert der JIF als Leistungsabzeichen aber an Bedeutung, dann reicht es eben nicht aus, eine Forschungsarbeit in einem Prestigeblatt unterzubringen und das Thema damit abzuheften. Egal ob der JIF nun wirklich schon bald abtritt, meine Prognose ist: Forscher werden sich in Zukunft mehr als bisher selbst darum kümmern müssen, dass die Fachwelt ihre Arbeiten auch wahrnimmt. Um die sozialen Netze kommt man da nicht herum – insbesondere, da dies schon jetzt zu funktionieren scheint. Schon 2011 beschreib etwa der Kanadier Gunther Eysenbach im Journal of Medical Internet Research, dass Artikel, die bei Twitter erwähnt werden, anschließend auch wesentlich mehr Zitierungen in der Fachliteratur akkumulieren (Achtung allerdings: Ursache und Wirkung sind in dieser Studie nicht klar – es könnte auch sein, dass bevorzugt besonders gute Artikel in sozialen Netzen verbreitet werden).

2. Eine Beziehung mit dem Souverän aufbauen

Wer Wähler und Steuerzahler auf seiner Seite hat, muss sich um die Zukunft seiner Forschung weniger Gedanken machen als ein Wissenschaftler, der in der öffentlichen Wahrnehmung gar nicht existiert. Natürlich ist es in erster Linie Aufgabe der Presseabteilung, für die Arbeit am Institut zu trommeln. Aber glaubwürdiger und sympathischer ist es doch, wenn der Bürger direkt vom Wissenschaftler selbst erfährt, was er oder sie genau erforscht und wieso das Thema so wichtig ist. Glaubwürdig sind Forscher in den sozialen Netzen vielleicht auch, gerade weil nicht jede Formulierung von einem PR-Profi glattgeschliffen wird.

3. Kollegen jenseits des eigenen Horizonts kennenlernen

Der Postdoc ist sich nicht sicher, ob der geplante statistische Test überhaupt geeignet ist, aber weder am Institut noch in der eigenen Fach-Community gibt es jemanden, der sich damit auskennt? – Bei Twitter könnte er schnell fündig werden. Die Doktorandin ist in einer Sackgasse gelandet? – Über soziale Netzwerke findet sie vielleicht schnell eine Handvoll Kollegen, die das Problem aus neuer Perspektive sehen. Die Juniorprofessorin hat keine Zeit für die wichtige Konferenz? – Es gibt sicher Teilnehmer, die in Blogs aktuell darüber berichten. Möglichkeiten für Kollaborationen tun sich auf? – Twitter-Nutzer wissen es zuerst.

Risiken und Nebenwirkungen

Zwar hat man weithin noch nichts von außer Kontrolle geratenen Facebook-Flashmobs in Universitätslaboren gehört. Aber ein unbedachter Tweet, ein unglücklich formulierter Blogpost und schon riskiert man, dass nicht nur die Kollegen, sondern die breite Öffentlichkeit über den Urheber herfallen.

Außerdem: harte, ernsthafte Arbeit und lockere, gar humorvolle Vermittlung derselben scheint gerade in Deutschland eine fast unvereinbare Kombination zu sein – anders als beispielsweise in Großbritannien. Auch sind die sozialen Netze hauptsächlich von englischsprachigen Wissenschaftlern bevölkert, was dem deutschen Netzwerker ein Problem beschert: Schreibt der Forscher auf englisch, erreicht er die internationale Fach-Community, aber der deutsche Bürger fühlt sich nicht angesprochen.

Ein ganz anderes Problem bleibt für viele sowieso ungelöst und ist vielleicht in der Tat unlösbar: Woher die Zeit nehmen? Jennifer Rohn beispielsweise ist Zellbiologin am University College London und nebenher laut Selbstauskunftblogger, novelist, broadcaster, science writer, sci-lit-art pundit, and Editor of LabLit.com“ (siehe auch unser Lab Times- Interview mit ihr). Sie hat mir vor einiger Zeit erzählt, sie habe das abendliche Fernsehen gestrichen um spätabends nach Feierabend noch einige Stunden zu schreiben und zu „netzwerken“ – bevor sie am nächsten Morgen wieder nach ihren Zellkulturen sehen muss. Ob das Vorbild sein kann oder ob man auf diese Weise eher einen Burnout riskiert – das muss am Ende wohl jeder selbst entscheiden.

Wem jetzt beim Lesen dieses Editorials der Hut hochgegangen ist, beispielsweise weil der einzige Daseinszweck des Internets doch der Austausch von Katzenbildern sei, kann natürlich jederzeit protestieren. Am Besten bei Twitter – das Laborjournal ist dort aktiv unter @Lab_Journal (Hashtag #Forschergetwitter).

Hans Zauner

P.S.: Zu dem im Text erwähnten PeerJ-Artikel gibt es hier auch eine schöne Infografik.

(Declaration of Competing Interests: Der Autor betreibt selbst das deutschsprachige Wissenschaftsblog Panagrellus – und freut sich daher über jeden Forscher, der im Internet aktiv wird.)



Letzte Änderungen: 02.10.2013