Editorial

„Die Relationen sind heute ganz andere“

Ein Gespräch mit Peter Pohl, Geschäftsführer von GATC Biotech (Konstanz), über Sequenzier-Plattformen, Leselängen, Gendiagnostik, Firmenübernahmen und die gute alte Sanger-Technologie.
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(18. Juni 2013) In der süddeutschen Provinz, weitab von den Biotech-Metropolen Berlin, Martinsried und Heidelberg, betreibt der Sequenzier-Dienstleister GATC Biotech höchst erfolgreich ein bereits mehrfach totgesagtes Geschäft. Bisher haben die Konstanzer, die laut eigenen Angaben „Europas Marktführer“ sind, über fünf Millionen Proben sequenziert – darunter zehntausende Pflanzen- und Bakteriengenome sowie hunderte von Humangenomen. Herr und Gebieter über drei akkreditierte Next-Generation-Sequenzierplattformen sowie die hauseigene IT-Farm, bestehend aus über 160 Servern mit 360 Terabyte Festplatten- und 1,8 Terabyte Hauptspeicher, ist das Brüderpaar Peter und Thomas Pohl. 1990 gründeten die beiden gemeinsam mit ihrem Bruder Fritz und dem gleichnamigen Vater die GATC Biotech AG.

Laborjournal: Die Erde bebt im Land der DNA-Sequenzierroboter: Roche zerschlägt seine Applied-Science-Sparte (in der ja auch die 454-Sequenzierplattform geführt wird), möchte Illumina für 8 Milliarden Euro kaufen und scheitert. Wenig später übernimmt Thermo Fisher für knapp 14 Milliarden Dollar den LifeTech-Konzern (mitsamt der IonTorrent- und ABI-Sequenziersparte). Müssen bei GATC in Konstanz demnächst ganze Gerätelinien stillgelegt werden, weil die Gerätehersteller ihre Produktlinien gravierend umgestalten, manche davon vielleicht sogar aufgeben werden?

Peter Pohl: Eine berechtigte Frage. Bei der Next-Generation-Sequenzierung (NGS) sind wir im Fall von Roche/454 in der Tat allmählich am Ende des Produktzyklus’ angelangt. In deren Spezialgebiet, der De-Novo-Sequenzierung, ist beispielsweise PacBio [der konkurrierende US-Hersteller Pacific Biosystems; die Red.] wesentlich leistungsfähiger. Die PacBio-Geräte liefern inzwischen extrem lange Reads [DNA-Leselängen; die Red.] bis hin zu 2.500 Basenpaaren – die 454-Geräte schaffen dagegen, mit viel Glück und gut eingestellten Geräten, höchstens 800-1.000 Basenpaare. Ich glaube nicht, dass sich 454 hier noch wird durchsetzen können.

Und die Klassiker, die guten alten ABI-3730-Roboter? Wie lange wird’s noch 96-Kapillarer mit Sanger-Technologie geben?

Pohl: Die werden noch lange laufen; es würde mich überraschen, wenn Thermo Fisher ausgerechnet die ABI-Sparte aufgeben würde. Hat man nur die DNA-Sequenzierung im Blick, wäre es natürlich sinnvoller gewesen, wenn Thermo Fisher nicht LifeTech, sondern Illumina gekauft hätte – und auch für Roche wäre der [im Januar 2013; die Red.] abgeblasene Kauf von Illumina sehr sinnvoll gewesen. Andererseits hatte Thermo bei der LifeTech-Übernahme wohl nicht nur die Sequenzierung im Blick. Ich kenne nicht die Hintergründe, kann mir aber vorstellen, dass auch die anderen LifeTech-Sparten, etwa das Geschäft mit Chemikalen, Reagenzien, Kits und so weiter, für Thermo Fisher interessant war.

Täte es der Branche gut, wenn Marktführer Illumina übernommen würde? Deren HiSeq-Roboter mit Solexa-Technologie sollen ja jetzt schon an die 90 % Marktanteil besitzen.

Pohl: Es ist einerseits natürlich problematisch, wenn eine Firma so dominierend wird, wie es Illumina momentan im Resequenzierungsbereich ist. Würden dann auch noch Roche und Illumina zusammenkommen, könnte das zu einem echten Problem werden. Andererseits hatten wir eine ähnliche Situation ja auch schon ein gutes Jahrzehnt lang mit dem damaligen Marktführer ABI – ehe ABI von anderen abgelöst wurde. Und man darf auch nicht übersehen, dass ABI zumindest bei der Sanger-Sequenzierung noch immer marktbeherrschend ist.

Illumna bleibt trotz der gescheiterten Übernahme durch Roche ein Übernahmekandidat – und betont weiterhin, dass man zum Verkauf stehe – nur eben für mehr Geld, als Roche zu bieten bereit war. Herr Pohl, eine Frage an Sie als Firmeneigner: Wieso möchte sich ein florierendes Unternehmen wie Illumina denn aufkaufen lassen?

Pohl: Da dürften Investoren dahinter-stecken, die ein Interesse haben, einen Exit zu machen [ihre Firmenanteile zu einem günstigen Zeitpunkt zu verkaufen; die Red.]. Einen anderen Grund kann ich mir nicht vorstellen, denn Illumina ist wie erwähnt ja weltweiter Marktführer.

 

„Die ABI-3730-Sequenzierroboter werden noch lange laufen. Zur Verifizierung vieler Experimente ist die Sanger-Technologie nach wie vor ungeschlagen.“

 

Und wie sieht‘s mit Ihnen aus? Sucht GATC ebenfalls einen potenten Käufer? Müssen sich Ihre Mitarbeiter Sorgen machen?

Pohl: Ganz bestimmt nicht. Und sollten wir derlei doch einmal vorhaben, dann würden wir es so machen, dass die sich keine Sorgen machen müssen.

Im Konstanzer GATC-Gebäude stehen im ersten Stock die vier wichtigsten NGS-Plattformen: HiSeq und MiSeq von Illumina, Genome Sequencer FLX von Roche/454 sowie PacBio-RS. Wozu das? Würden Illuminas HiSeq-Systeme nicht ausreichen?

Pohl: Für bestimmte Aufgaben durchaus, etwa wenn es um Resequenzierung geht. Für De-Novo-Sequenzierungen [die erstmalige Sequenzierung; die Red.] kompletter Genome allerdings sind die PacBio-Geräte im Moment unschlagbar; auch die Roche/454-Roboter sind dafür geeigneter als Illumina. Illuminas MiSeq-Technologie wiederum setzt man vor allem dann ein, wenn man kleinere Mengen besonders rasch sequenzieren möchte. Was ich damit sagen möchte: Man hat unterschiedliche Fragestellungen, für die sich unterschiedliche Technologien besonders gut eignen. Es geht nicht immer alles auf einem Weg.

Warum entscheiden sich diese Kunden für Illumina, jene für PacBio und wieder andere für Roche/454? Liegt’s am Preis? An der Geschwindigkeit? An der Lesegenauigkeit?

Pohl: In erster Linie liegt’s an den Leselängen. Wenn ich eine Resequenzierung mache, habe ich ja bereits ein Referenzgenom, an dem ich mich orientieren kann. Mache ich aber eine De-Novo-Sequenzierung, fange also bei Null an, dann werde ich immer wieder Lücken haben, über die ich nicht drüberkomme – und da brauche ich dann eben möglichst lange Leselängen. Eine andere Lösung gibt es da nicht.

Das erste Humangenom hat einst drei Milliarden US-Dollar, also rund einen US-Dollar pro Base, gekostet. Was kostet es heute, ein Humangenom sequenzieren zu lassen?

Pohl: Ein komplettes Humangenom kostet derzeit bei 30-facher Abdeckung rund 5.000 Euro.

... und dauert vermutlich auch keine zehn Jahre mehr?

Pohl: Nein, wenn es schnell gehen muss, etwa sechs Wochen.

Man hört immer wieder Klagen von Wissenschaftlern, die Fehlerrate beim NGS sei teils extrem hoch...

Pohl: Das mag so sein bei diagnostischen Projekten, etwa SNP-Analysen oder ähnlichem. Wenn mich aber Komplettgenome oder auch Exome interessieren, bin ich mit NGS prinzipiell recht gut beraten.

In mehreren, inzwischen auch publizierten, Fällen kontrollierten Forscher die von NGS-Plattformen gelieferten Daten mit der althergebrachten Sanger-Technologie nach – und entdeckten teils haarsträubende Fehlerraten [siehe dazu auch Seite 76ff dieser Ausgabe]. Dies liege vor allem an den üblicherweise verwendeten NGS-Analyseprogrammen, die oftmals nichts taugen würden.

Pohl: Prinzipiell ist es natürlich schon so, dass jede computergestützte Auswertung auf statistischen Algorithmen basiert – und damit potenziell fehlerbehaftet ist. Und auch wenn die in den ABI-Geräten eingesetzte Sanger-Technologie der Goldstandard in punkto Genauigkeit ist – falls Sie ein annähernd hundertprozentiges Ergebnis brauchen, müssen Sie eine Analyse mehrfach machen, mit mehreren Technologien, und dann die Daten wieder zusammenführen. Doch selbst so können auch wir keine hundertprozentige Sequenz garantieren. Da müssten wir dann wieder zur Direct Blotting Elektrophorese von unserem Vater Fritz zurückgehen. Dessen Sequenzen vor zwanzig Jahren waren wirklich hundertprozentig [Fritz Pohl, Biologieprofessor an der Uni Konstanz, ließ sich 1982 die Methode der nicht-radioaktiven DNA-Sequenzierung patentieren und gründete acht Jahre später die Firma GATC; die Red.]. Übrigens steht die von ihm erfundene Sequenzierungsapparatur heute im Deutschen Museum. Damit hat er Industriegeschichte geschrieben.

 

„Für die ersten 12 Genome haben wir siebzehn Jahre gebraucht, für die nächsten 2.000 Genome fünf Jahre. Und für die nächsten 20.000 Genome werden wir wohl keine zwei Jahre mehr brauchen.“

 

Die gute alte Sanger-Sequenzierung, die bis vor wenigen Jahren in Form der ABI-Kapillarsequenzierer ja Stand der Technik und auch marktbeherrschend war, ist also noch nicht weg vom Fenster. Wer braucht die noch?

Pohl: Jeder, der eine niedrige Fehlerrate braucht. Und sie ist preiswert – wenn Sie bei vielen Fragestellungen schon für wenige Euro eine gute Antwort bekommen wollen, brauchen Sie keine NGS, sondern die Sanger-Technologie.

Aber lohnt sich für Sie als Anbieter die Sanger-Sequenzierung noch, oder machen Sie das nur mehr auf Selbstkostenbasis, um Ihren Kundenstamm nicht zu vergraulen?

Pohl: Die lohnt sich durchaus noch. Wir machen mit Sanger-Sequenzierungen derzeit etwa die Hälfte unseres Umsatzes. Das liegt auch daran, dass immer weniger Institute ihre Sequenzierungen selbst machen; es werden immer mehr ABI-Geräte stillgelegt. Um es nochmal zu betonen: Zur Verifizierung vieler Experimente ist die Sanger-Technologie nach wie vor ungeschlagen.

Stichwort Gendiagnostik: Sequenzierungs-Platzhirsch Illumina versucht derzeit, sich ein Kuchenstück von diesem stark wachsenden Markt zu sichern – während Roche bereits eine der dominanten Firmen in der Gendiagnostik ist. Schon von daher wäre eine erfolgreiche Illumina-Übernahme durch Roche nur logisch gewesen, denn ohne eine eigene, schlagkräftige Sequenziertechnologie wird sich Roche künftig schwerer tun in der Gendiagnostik...

Pohl: Da bin ich bei Ihnen, das ist absolut richtig.

Auch GATC ist in der Gendiagnostik aktiv, in Form Ihrer Tochterfirma LifeCodexx. Sie bieten einen „nicht-invasiven molekulargenetischen Test zum Nachweis fetaler Trisomie 21 aus mütterlichem Blut“ an. Dieser Test basiert auf NGS und ist eine Alternative zu herkömmlichen invasiven Untersuchungsmethoden wie etwa der Amniozentese. Wie funktioniert er?

Pohl: Dieser Test basiert auf einem statistischen Verfahren: Die Sequenzen der fetalen DNA werden ins Verhältnis gesetzt zur gesamten vorliegenden DNA. Es geht also um die Anzahl der vorliegenden Sequenzen. Man kann damit einen Wert berechnen, der aussagt, ob mehr als die erwartete Menge der DNA vorliegt oder nicht. Und erkennt daran, ob eine Trisomie-21 vorliegt oder nicht.

Dieser Test ist risikofrei, im Gegensatz zur bisher üblichen Amniozentese, bei der Fruchtwasser über die Bauchdecke der Mutter entnommen wird und bei der, je nach Alter der Mutter, ein 1- bis 8-prozentiges Risiko für eine Fehlgeburt besteht. Das beim Gentest geringere Risiko erkauft man sich aber mit einem höheren Preis, oder?

Pohl: Eine Amniozentese kostet 800 bis 1.200 Euro, der LifeCodexx-Test momentan 1.250 Euro; er liegt also im Bereich einer teuren Amniozentese. Wir werden im Laufe des Jahres aber noch günstiger werden.

Seit den glorreichen Zeiten des damaligen Marktführers MWG Biotech vor zehn, fünfzehn Jahren ist dem Sequenziergeschäft mehrmals ein ruinöser Preiskollaps vorhergesagt worden. GATC gibt‘s aber immer noch...

Pohl: Wir erleben seit rund zwanzig Jahren einen jährlichen Preisverfall von etwa 20 Prozent; das sind wir gewöhnt. Aber weil der Preis pro Base in den Keller gegangen ist, kann ich jetzt eben auch als „Normalsterblicher“ ein Drei-Gigabasen-Genom sequenzieren. Das ging vor zehn Jahren eben noch nicht – oder hat zumindest drei Milliarden Dollar gekostet.

Der Preisverfall pro Base wird für Sie als Dienstleister also dadurch aufgefangen, dass die Leute mehr sequenzieren lassen?

Pohl: Genau. Und dass sie anders sequenzieren, nämlich komplette Organismen. Das wird ja schon gar nicht mehr richtig wahrgenommen. Das war ja eine enorme Entwicklung. Wir bei GATC haben für die ersten zwölf Genome 17 Jahre gebraucht – und für die nächsten zweitausend Genome 5 Jahre. Und für die nächsten zwanzigtausend Genome werden wir keine 2 Jahre mehr brauchen, schätze ich. Die Relationen sind einfach ganz anders geworden.

Interview: Winfried Köppelle

(Der Artikel erschien gedruckt im aktuellen Laborjournal 6/2013 auf den Seiten 54-56; Foto: GATC Biotech)



Letzte Änderungen: 02.10.2013