Editorial

Schwangere Fliegen mit Ohren?

Wie sagte doch Einstein: "Gott würfelt nicht." In der Evolution dagegen scheinen Würfelspiele öfter vorzukommen.

(14.09.2004) Wie solche evolutionären Würfelspiele zu verstehen sind, zeigt eine brandneue Studie aus dem Genom-Institut in Singapur - nicht zum allerersten Mal, aber ganz besonders schön (Developmental Cell 7, S. 439). Erstautor Weidong Wang und Kollegen nahmen sich darin eine Familie von Homöobox-Genen mit dem Kürzel Hmx vor.

Drosophila hat davon nur eines, abgekürzt DHmx, dessen Produkt die Entwicklung des Zentralnervensystems mitsteuert. Die Maus dagegen hat drei Hmx-Gene. Die spielen zwar alle ebenfalls eine gewisse Rolle bei der Gehirnentwicklung. Allerdings steuern sie dort vielmehr die Bildung und Ausgestaltung des Innenohrs - vor allem die Nummern 2 und 3. Zudem sind sie ebenfalls unabdingbar für eine gesunde und erfolgreiche Schwangerschaft der Mäuseweibchen. Beides ist insofern interessant, da Drosophila weder ein Innenohr besitzt, noch schwanger wird.

Es stellt sich also die Frage: Was ist passiert auf dem Weg zur Maus? Nun, das ist so schwer gar nicht vorstellbar: Der gemeinsame Vorfahr von Taufliege und Maus hatte bereits ein Hmx-Gen - Drosophila hat bis heute dieses eine, während es auf dem langen Weg der Evolution zur Maus zweimal erfolgreich ins Genom dazu kopiert und jeweils ein wenig modifiziert wurde.

Der Clou an der Geschichte jedoch ist, dass die Hmx-Gene der Maus offenbar zugleich mit neuen Regulationselementen verschaltet wurden. Alte Gene gerieten also in neuem Kontext unter neue Kontrolle - und begannen plötzlich bei völlig anderen Dingen mitzuspielen.

In Singapur konnten Wang und Co. dies eindrucksvoll zeigen, indem sie in der Maus Hmx3 durch Taufliegen-DHmx ersetzten. Wie erwartet rettete DHmx im Gegensatz zur Hmx3-Nullmutante das Zentralnervensystem der Maus, genauso aber das Innenohr. Wiewohl, wie gesagt, DHmx in seiner natürlichen Umgebung noch nie etwas ähnliches wie ein Innenohr mitzuentwickeln hatte. (Ob DHmx den Weibchen auch die Schwangerschaft rettet, davon schreiben die Autoren bisher nichts - kommt vielleicht noch.)

In eine ähnliche Richtung gingen drei Jahre zuvor die Ergebnisse eines Teams um den Genfer Dennis Duboule. Diese legten ziemlich nahe, dass die Entwicklung der Gliedmaßen bei der Entstehung der Wirbeltiere ebenfalls durch das Rekrutieren eines "alten" Gens, nämlich HoxD, unter neue regulatorische Sequenzen startete (Genes Dev. 15, S.2209).

Nicht verwunderlich also, dass einige inzwischen dem Prinzip "Alte Gene für neue Zwecke" immer stärkeres Gewicht geben bei der Diskussion um die molekularen und entwicklungsbiologischen Mechanismen der Evolution. Sicher sind Mutationen in den kodierenden Regionen der Gene weiterhin ein Mechanismus, aber eben nicht der einzige. Vielmehr scheint das "Zusammenwürfeln" von alten Genen mit neuen Steuersequenzen ein generelles und mächtiges Prinzip bei der Evolution entwicklungsbiologischer Prozesse - kurz "Evodevo" - zu sein.

Und Drosophila? Von ihr wissen wir jetzt also, dass ihr Hmx-Gen durchaus das Potenzial für Innenohren und Schwangerschaften hat - nur fehlt dort der richtige Kontext dafür. Wozu auch, sie kommt ja auch so ganz gut zurecht. Vorausgesetzt, es gammelt immer irgendwo ein wenig Obst.

Ralf Neumann



Letzte Änderungen: 28.09.2004