Editorial

Sexy Schimmel

Der Bochumer Molekularbotaniker Ulrich Kück und seine Kollegen kreuzen Penicillin-produzierende Pilze und züchten so Stämme mit neuen Eigenschaften.

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(23. April 2013) Schimmelpilze – für viele lästig, eklig und ungesund, sind Ulrich Kücks Lebensinhalt. Der Bochumer Professor für Allgemeine und Molekulare Botanik beschäftigt sich seit mehr als 30 Jahren mit der Molekulargenetik von Pilzen und Algen und bekommt nie genug von ihnen. Dabei findet er sie nicht nur wegen ihrer industriell ausbeutbaren Fähigkeiten interessant – etwa in der Antibiotikaproduktion (Penicillin aus Penicillium chrysogenum oder Cephalosporine aus Acremonium chrysogenum). Oder aufgrund ihrer Doppelrolle als Krankheitserreger und Helferlein bei der Herstellung von Lebensmitteln, Chemikalien und Enzymen, die sie zu einem attraktiven Modellorganismus macht.

Kück machte Schlagzeilen mit dem Sexualverhalten des Schimmelpilzes Penicillium chrysogenum. Ein Thema, das bis zur Veröffentlichung der Genomsequenz von P. chrysogenum (Nat. Biotechnol. 2008, 26(10):1161-8) keines war, denn bis dahin galt der Penicillinproduzent als asexuell. P. chrysogenum zählt zu den Schlauchpilzen, deren Fortpflanzung entweder geschlechtlich oder ungeschlechtlich erfolgt. Viele Arten haben die geschlechtliche Vermehrung aufgegeben und bisher unterstellte man dies auch P. chrysogenum. „Wir haben uns die Genomsequenz 2008 vorgeknöpft und schnell einige sehr interessante Gene gefunden“, so Kück. „Neben denen für die Penicillinbiosynthese findet man auch solche, die homolog zu sogenannten Sexgenen anderer Pilze sind.“

Und sie tun es doch!

Bei vielen Pilzen verpaaren sich morphologisch identische Partner, die sich in diesen Sexgenen (mating type genes, MAT), unterscheiden. Es existieren zwei unterschiedliche MAT-Typen, entsprechend MAT1 und MAT2 genannt. Während MAT1 ein Protein kodiert, das eine Alpha-Box-Domäne enthält, kodiert das MAT2-Gen für ein Protein mit einer HMG-Domäne. MAT1 und MAT2 stehen quasi für „weiblich“ oder „männlich“. Birgit Hoff, Postdoc in Kücks Labor, suchte nach MAT-Genen in Penicillium-Stämmen aus unterschiedlichen Regionen und fand eine 1:1-Verteilung von MAT1 und MAT2. Dies legte den Verdacht nahe, dass auch P. chrysogenum heterosexuell (heterothallisch) ist. Hoff zeigte außerdem per RT-PCR, dass die Gene exprimiert werden und somit funktionell sind. Eine geschlechtliche Fortpflanzung war allerdings noch nie beobachtet worden. Könnten die MAT-Gene in P. chrysogenum andere Funktionen übernommen haben?

Der Fund von funktionellen Pheromongenen und Pheromonrezeptorgenen, die für die Partnererkennung in anderen Pilzen verantwortlich sind, erhärtete den Verdacht, dass P. chrysogenum „es“ gelegentlich eben doch tut. „Wir haben durch vielerlei Tricks versucht, den Pilz zur Kreuzung zu bringen“, berichtet Kück. Julia Böhm probierte während ihrer Masterarbeit diverse Kombinationen aus Kreuzungspartnern – Wildtypstämme und Stämme mit hohem Penicillintiter – mit unterschiedlichen Kultivierungsbedingungen aus. Anhaltspunkte gaben dabei Bedingungen, die andere Pilze brauchen, um ihren sexuellen Zyklus anzuschubsen. Sie variierte Temperatur und Sauerstoffzufuhr, testete Haferflockenmedien mit verschiedenen Haferflockentypen und unterschiedliche Mediumzusätze. Sogar zwei Potenzmittel (Phosphodiesterase-5-Hemmer) kamen zum Einsatz. Bei einigen Haferflockenmedien bildeten sich bei Kultivierung im Dunkeln nach fünf Wochen die typischen Reproduktionsstrukturen (Fruchtkörper) der Gattung Penicillium aus, die Kleistothezien, aus denen normalerweise die Sporen des Pilzes, bei Schlauchpilzen Ascosporen genannt, freigesetzt werden. Allein, die Sporenbildung blieb aus. Die Kleistothezien waren steril.

Böhm ließ sich nicht demotivieren. Sie probierte unermüdlich weiter, bis endlich ein Kreuzungsversuch den ersehnten Erfolg brachte: Nur mit Biotin im Haferflockenmedium bildeten sich fruchtbare Ascosporen aus (Proc. Natl. Acad. Sci. USA vol. 110(4): 1476-81). „Ein bisschen Glück hatten wir sicherlich auch“, glaubt Böhm. Danach ging es vergleichsweise schnell weiter. Böhm kombinierte Eigenschaften wie Sporenfarbe, Penicillintiter und -Produktion von weiteren Stoffwechselprodukten wie dem gelben Pigment Chrysogenin in den Nachkommen neu.

Mehr als nur Sexgen

Ein Kreuzungsversuch brachte einen interessanten Phänotyp zum Vorschein. Die Doktorandin verpaarte einen Stamm mit erhöhter Penicillinbiosynthese, der auch das gelbe Pigment Chrysogenin produzierte, mit einem Stamm, der kein Chrysogenin produzierte, aber eine schwache antibakterielle Wirkung besaß. Mit dem Halo-Test untersuchte Böhm die Penicillinbiosynthese in den Nachkommen: Sie pipettierte Mediumüberstand aus der Pilzkultur auf eine Agarplatte mit einem Indikatorbakterium. Anhand der Wachstumsinhibition im Bakterienrasen im Vergleich zum Halo--Test mit den Elternstämmen schätzte sie den Penicillintiter ab. Ein Nachkomme besaß einen hohen Penicillintiter, produzierte aber kein Chrysogenin. Das gelbe Pigment verunreinigt industriell erzeugtes Penicillin und muss aufwändig entfernt werden. Ein Problem, das durch Kenntnis des Sexualzyklus umgangen werden kann. „Die geschlechtliche Vermehrung bietet die Möglichkeit, Gene zu kombinieren und verbesserte Stämme zu züchten“, so Böhm.

Ausgehend von diesen vielversprechenden Ergebnissen wollten die Bochumer Wissenschaftler mehr über den Mechanismus der MAT-Regulation erfahren. Sie stellten MAT1-Knockouts her, wieder auf Basis eines Stammes mit hoher Penicillinproduktion. „Die Herstellung transgener Pilzstämme ist an sich einfach“, erklärt Böhm. „Allerdings inseriert transformierte DNA zufällig in das Pilzchromosom.“ Um diesem typischen Problem aus dem Weg zu gehen, bediente sich Böhm einer labor-eigenen Toolbox.

Verantwortlich für das „non-homologous end-joining“ sind Rekombinationsproteine wie Ku70. Die Doktorandin inaktivierte Ku70 im Pilzstamm, um eine effizientere homologe Rekombination zu gewährleisten. Im nächsten Schritt schaltete sie das MAT1-Gen in den ?Pcku70-Stämmen zielgerichtet aus. Die MAT1-Knockouts kreuzte sie dann mit fruchtbaren MAT2-Stämmen. Zwar kam es zur Bildung von Kleistothezien, die Bildung von Ascosporen blieb jedoch aus. Wie erwartet waren die MAT1-Knockouts steril.

Stammverbesserung leicht gemacht

Böhm führte auch einen Halo-Test mit dem Knockout-Stamm durch. Das Ergebnis war überraschend. Die Knockouts zeigten gegenüber den Kontrollen eine signifikant verminderte Penicillinproduktion – ein Hinweis darauf, dass diese von MAT1 reguliert wurde. „Damit hatten wir nicht gerechnet“, sagt Kück. „Dass MAT einen Sekundärmetaboliten beeinflusst, ist in der Literatur bisher noch nicht beschrieben worden.“ Doktorand Simon Wolfers verglich die Genexpression des MAT1-Knock-out-Stamms mit jener des elterlichen ?Pcku70-Stamms per Microarrayanalyse über 96 Stunden zu drei Zeitpunkten. Das erlaubte ihm, die gesamten Transkripte des Organismus auf eine differenzielle Genexpression hin zu untersuchen. Und auch er fand eine geringere Aktivität der Penicillinbiosynthese-Gene im Vergleich zum ?Pcku70-Stamm.

Die Kenntnis über den Sexualzyklus in P. chrysogenum könnte in Zukunft zur Stammverbesserung genutzt werden. Bisher funktionierte das über Mutagenese. Pilzkulturen wurden mit UV-Licht bestrahlt oder mit mutagenen Substanzen behandelt. Tausende Stämme mussten dann nach dem gewünschten Genotyp gescreent werden – ein sehr aufwändiges Verfahren. Jetzt genügt es, zwei Stämme mit den gewünschten Eigenschaften zu kreuzen. Die Ergebnisse der Bochumer reichen aber noch weiter. Der Einfluss der MAT-Gene auf die Penicillinbiosynthese macht auch eine Manipulation der MAT-Expression als Methode zur Stammverbesserung denkbar.

Das Forscherteam möchte sich nicht auf seinen Lorbeeren ausruhen. An Ideen mangelt es nicht. Als nächstes wollen die Bochumer Techniken der functional genomics einsetzen, um die molekularen Prozesse genauer zu verstehen, etwa wie die Sexgene auf die Penicillinbiosynthese wirken.

„Es sind sicherlich viele Komponenten zwischengeschaltet, die ausgehend von der -Expression der Sexgene zu einer Veränderung der Penicillinbiosynthese beitragen“, vermutet Kück. Das Projekt „Pilzsex“ ist noch lange nicht abgeschlossen.

Miriam Colindres (Text & Fotos)

Der Artikel erschien bereits in der letzten Laborjournal-Druckausgabe 4/2013 auf den Seiten 30-31.



Letzte Änderungen: 12.07.2013