Editorial

Sind Gene patentierbar?

Ein Interview mit den Patentanwälten Gerd Stötter und Jörg Smolinski.

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Die Patentanwälte Gerd Stötter (links) und Jörg Smolinski

(18. Dezember 2012) Im August sorgte ein US-Gerichtsentscheid für Aufsehen. In einem Patentstreit bekam die Biotech-Firma Myriad Genetics in zweiter Instanz recht; sie darf auch in Zukunft ihre US-Patente auf die beiden Gene BRCA1 und BRCA2 halten. Damit kann Myriad exklusiv Mutationen in den patentierten Genen analysieren, die mit einem erhöhten Risiko von Patientinnen, an Brust- oder Eierstockkrebs zu erkranken, in Zusammenhang stehen.

Eine der Bürgerrechtsbewegung „American Civil Liberties Union“ (ACLU) nahestehende Personengruppe hatte im Mai 2009 gegen die BRCA-Patentierung von Myriad geklagt und im März 2010 in erster Instanz recht bekommen. „Gene sind Produkte der Natur und damit nicht patentierbar“, hieß es damals. Myriad ging mit dem Argument in Berufung, dass die isolierten Gene erst durch menschliche Arbeit entstehen und damit eine patentierbare Erfindung darstellen – und hatte damit Erfolg.

Laborjournal-Mitarbeiter Kai Krämer wollte es genauer wissen und bat die Patentanwälte und Biochemiker Gerd Stötter und Jörg Smolinski aus Dresden und Bautzen um ein Gespräch, um Licht ins Dunkel der Patentgesetze zu bringen.

Herr Stötter, sind Produkte der Natur patentierbar?

Gerd Stötter: Produkte der Natur allein, ohne dass der Mensch etwas dazu tut, wie zum Beispiel den Stoff zu isolieren, sind nicht patentierbar; Stoffe, die man zum ersten Mal aus der Natur isoliert oder synthetisch herstellt, hingegen schon. In einem Präzedenzfall aus dem Jahr 1977 entschied das Bundespatentgericht, dass Antamanid – ein Peptid aus dem grünen Knollenblätterpilz – patentiert werden kann. Die Tatsache, dass der Stoff in der Natur vorkommt, ist der Neuheit nicht schädlich. Ein Naturstoff ist allerdings nur dann patentierbar, wenn man vorher nicht wusste, dass er in der Natur existiert. Das wird in vielen Ländern so gehandhabt.

Wo liegt die Grenze zwischen patentierbar und nicht patentierbar?

Stötter: Eine Pflanze beispielsweise, wie sie in der Natur vorkommt, fällt nicht unter den Patentschutz. Wenn man aber einen Stoff aus der Pflanze isoliert, reinigt oder chemisch herstellt, dann kann er geschützt werden.

Jörg Smolinski: Ein Kriterium für Patentschutz ist die gewerbliche Anwendbarkeit. Wenn ich lediglich eine Pflanze in der Natur entdecke, dann fehlt die Anwendbarkeit. Ein Naturstoff aus der Pflanze, der vielleicht eine pharmazeutische Wirkung aufweist, ist dagegen gewerblich anwendbar, indem ich zum Beispiel ein Arzneimittel daraus herstelle.

Gilt das Patent dann nur für die entsprechende Anwendung?

Stötter: Nein, der Stoffschutz ist grundsätzlich absolut. Wenn man eine Substanz als solche patentiert bekommt, dann ist sie unabhängig vom Verwendungszweck geschützt, auch wenn man im Patent nur einen Verwendungszweck angegeben hat. Man braucht eine Funktion oder einen Verwendungszweck, um die gewerbliche Anwendbarkeit darzustellen, bekommt aber das Patent auf die erstmalige Bereitstellung des Stoffes unabhängig vom Verwendungszweck und Herstellungsverfahren.

Smolinski: Der Stoffschutz erstreckt sich über alles. Wenn ich einen Stoff als solchen geschützt habe und später jemand eine medizinische Anwendung dieses Stoffes entdeckt, dann wird es interessant. Ein neues Patent auf die medizinische Anwendung ist abhängig vom Stoffschutz und kann nur mit Zustimmung des Inhabers dieses Stoffschutzpatents angewendet werden. Dieser darf dann aber nicht in Bereichen aktiv werden, die vom neuen Patent geschützt werden, obwohl er den Stoff als solchen patentiert hat. Hier besteht das Problem der gegenseitigen Abhängigkeit. Meistens einigen sich die Parteien wirtschaftlich.

Wie sieht es mit der Patentierbarkeit von Genen aus?

Stötter: Bei Genen ist es im Prinzip genauso wie bei Naturstoffen. Auf Nukleinsäuren ist grundsätzlich ein Stoffschutz möglich. Allerdings gibt es Ausnahmen, die aber in den einzelnen Gesetzen unterschiedlich geregelt sind. Im europäischen Patentübereinkommen und in den USA ist es so, dass eine Gensequenz dem absoluten Stoffschutz zugänglich ist. Das deutsche Patentgesetz sagt jedoch, dass man im Falle einer humanen Gensequenz oder einer damit sehr ähnlichen nur verwendungsgebundenen Patentschutz bekommen kann. Es kann also nur die Verwendung geschützt werden, die man in der Patentanmeldung beschrieben hat. Da aber im europäischen Patentübereinkommen der absolute Stoffschutz existiert, kann ein europäisches Patent, das für Deutschland erteilt wird, aufgrund der speziellen deutschen Gesetzgebung nicht eingeschränkt werden. Das deutsche Patentgesetz gilt nur für deutsche Patente und nicht für europäische Patente. Das ist aber eine historische Diskussion. Um Stoffschutz zu bekommen, müsste die Gensequenz neu sein. Inzwischen sind aber alle humanen Sequenzen bekannt und nicht mehr neu. Die Frage stellt sich nur noch bei Mutationen. Da werden sicher noch neue entdeckt, die beispielsweise mit einer bestimmten Krankheit in Verbindung stehen. Das wäre dann wieder dem Patentschutz zugänglich. In der Zeit der großen Sequenzierprojekte wurden viele Patente auf humane Gensequenzen als solche angemeldet. Damals wurden mehr oder weniger die Ergebnisse von Sequenzierern direkt zum Patentamt geschickt.

Sind unsere Gene demnach alle patentiert?

Stötter: Es existierte eine große Zahl an Stoffpatenten auf humane Gene. Viele davon sind aber inzwischen abgelaufen oder nachträglich für nichtig erklärt worden. Wenn von den Genen, die direkt aus dem Sequenzierer patentiert wurden, keine Funktion bekannt war, dann fehlt auch die gewerbliche Anwendbarkeit. Nach europäischen und inzwischen auch nach US-Patentstandards sind diese Stoffpatente so nicht mehr patentfähig. Häufig läuft die Rechtsprechung der Wissenschaft hinterher.

Wenn Gene im Zusammenhang mit einer gewerblichen Anwendbarkeit patentfähig sind, worum dreht sich dann der BRCA-Patentstreit mit Myriad Genetics?

Smolinski: Hier wurde eine Nichtigkeitsklage durch eine Bürgerrechtsbewegung anhängig gemacht. Myriad will für die Nutzung ihres Verfahrens eine Lizenz haben, was die Tests extrem teuer gemacht hat. Es wurden auch Forscher aufgefordert, ihre Forschung in dem Bereich zu unterlassen.

Aber die Forschung ist doch frei, oder nicht?

Stötter: Nicht jegliche Forschung ist frei. Das so genannte Forschungsprivileg bedeutet, dass die Forschung frei ist, solange sie sich auf den Gegenstand der Erfindung bezieht. Auch wenn das BRCA1-Gen patentiert ist, kann ich zu seiner Funktion Forschung betreiben.

Warum wurden die BRCA-Patente von Myriad angegriffen?

Smolinski: Die Bürgerrechtsinitiative hat eine Nichtigkeitsklage gegen die Patente erhoben. Als Begründung wurde angeführt, dass es sich um einen Stoff aus der Natur handele, den die Menschen in sich tragen. Das isolierte Gen sei dem nativen Gen gleich und kann daher nicht patentfähig sein.

Stötter: Aus europäischer Sicht ist diese Begründung falsch. Auch das US-Patentgesetz steht meiner persönlichen Meinung der Patentierbarkeit nicht entgegen. Der Unterschied ist, dass im deutschen und europäischen Recht vieles durch Gesetze klarer geregelt ist als in den USA. In den USA beruht das Recht traditionell mehr auf Rechtsprechung.

Smolinski: Man muss die unterschiedlichen Rechtssysteme berücksichtigen. In den USA entscheiden in erster Instanz Nichtfachleute im Jury-Verfahren über eine Patentverletzung. Bei uns gibt es technische Gerichte mit fachlich ausgebildeten Richtern. Die beiden Systeme kann man schlecht miteinander vergleichen. Wenn es sich um irgendein Gen aus einem Tintenfisch gehandelt hätte, dann wäre der Myriad-Fall sicher nicht so hochgeschaukelt worden.

Kai Krämer

--- In der kompletten Fassung dieses Interviews erfahren Sie ferner, warum auch die europäischen BRCA-Patente von Myriad in der Vergangenheit heftig umkämpft waren; warum diese inzwischen stark eingeschränkt sind und welch entscheidende Rollen dabei eine fehlerhafte Sequenz, der Staat der Niederlande sowie Greenpeace spielten - all das und noch eine Menge weiterer Themen finden Sie in der gedruckten Ausgabe von Laborjournal 12/2012.

 



Letzte Änderungen: 11.04.2013