Editorial

Dem Blümchensex genauer zugeschaut

Bei Pflanzen aktiviert die Eizelle das Spermium zur Befruchtung – genau andersherum als bei Tieren.

editorial_bild

(07. Dezember 2012) Die Sache zwischen Biene und Blume ist komplizierter als gemeinhin angenommen: So ist zwar der Befruchtungsvorgang in Blütenpflanzen seit über einem Jahrhundert bekannt, doch über die daran beteiligten Moleküle weiß man erst wenig. Ein Deutsch-Schweizer Team um Stefanie Sprunck und Thomas Dresselhaus der Uni Regensburg identifizierte nun ein Protein in der pflanzlichen Eizelle, das die Vereinigung von Ei und Spermium anstößt.

Die ersten Zeugungsschritte verlaufen somit in der artenreichsten Pflanzengruppe anders als in Tieren: Hier übermittelt das Spermium der Eizelle das Signal zur anstehenden Befruchtung. Doch das ist nicht der einzige Unterschied. „Blütenpflanzen haben einen ganz besonderen Fortpflanzungsmechanismus entwickelt – nämlich die Doppelbefruchtung“, berichtet Sprunck, die eine Arbeitsgruppe am Institut für Botanik und Zellbiologie der Uni Regensburg leitet.

Französische und russische Naturwissenschaftler entdeckten das Phänomen Ende des 19. Jahrhunderts: Sie beobachteten, dass beim Auftreffen eines Pollenkorns auf den Stempel einer Blüte umgehend ein Pollenschlauch in Richtung Fruchtknoten wächst, wo die weibliche Samenanlage sitzt. An der Spitze des Pollenschlauchs befinden sich zwei Spermien. Beide befruchten zeitgleich jeweils eine weibliche Keimzelle, auch Gameten genannt. Eine davon, die eigentliche Eizelle, wächst nach der Befruchtung zum Embryo heran; aus der zweiten weiblichen Keimzelle, der sogenannten Zentralzelle, entsteht nach der Verschmelzung mit dem Spermium ein Nährkörper für den Embryo.

„Beim Getreidekorn ist dies der Mehlkörper, aus dem unser Mehl hergestellt wird“, veranschaulicht Sprunck. Neben der Ausbildung der weiblichen Samenanlage untersucht die Biologin seit vielen Jahren den Befruchtungsvorgang in Blütenpflanzen, den Angiospermen. Zu ihnen zählen sämtliche landwirtschaftlich genutzte Pflanzen.

„Der molekulare Mechanismus der Doppelbefruchtung blieb lange Zeit unerforscht, da die weiblichen Keimzellen nur schlecht zugänglich sind“, erklärt Sprunck weiter. Ihr gelang es als erste, solche Zellen aus Weizen zu präparieren. Anschließend fahndete sie per Transkriptomanalyse dort nach Genen, die spezifisch in der Eizelle exprimiert werden (Plant J. 2005; Vol. 41(5): 660-72) – und spürte schließlich eine Gruppe von Genen auf, die EGG CELL 1 (EC-1) genannt wird. Um ihre Funktion zu entschlüsseln, wechselte die Botanikerin in die Modelpflanze Arabidopsis thaliana, die Ackerschmalwand. „Für diese Pflanze steht eine viel breitere Palette molekularbiologischer Methoden zur Verfügung“, begründet sie diesen Schritt. „Außerdem sind ihre Samenanlagen so klein und transparent, dass sich der Befruchtungsvorgang unter dem Mikroskop in vivo verfolgen lässt.“

In einer Reihe von Experimenten untersuchte Sprunck mit ihren Kollegen und Wissenschaftlern der Uni Zürich die Rolle der EC-1-homologen Gene in Arabidopsis, genauer den EC1-like genes 1-5. Durch die Kombination verschiedener Methoden – der manuellen Blütenbestäubung, der mikroskopischen Beobachtung von fluoreszenzmarkierten EC1- und Spermien-Proteine in isolierten Zellen wie auch in lebenden Pflanzen, der Herstellung von EC1-Knockout und Knockdown-Mutanten, sowie der Zugabe von EC1-Peptiden zu isolierten Spermienzellen – gelang es Spruck und Co. schließlich die Frühphase des Befruchtungsvorgangs molekular abzubilden. Die Ergebnisse veröffentlichte das Team vor kurzem in Science (Vol. 338 (6110): 1093-97).

„Die EC1-Proteine liegen in der Eizelle in Vesikeln vor und werden bei Kontakt mit dem Spermium ausgeschüttet“, schildert Sprunck das Geschehen im Blüteninneren. „Daraufhin verändern die Spermien ihre Membranoberfläche so, dass Eizelle und Spermium miteinander verschmelzen können.“ Das Eizellen-Protein gibt also den Takt für die Fusion vor – ganz im Gegensatz zur tierischen Befruchtung, wo umgekehrt das Spermium die Eizelle aktiviert.

Normalerweise wird die Fusion von Zellen unterdrückt, da die Membranen sich elektrostatisch abstoßen. Um fusionieren zu können, muss die Zelle folglich sogenannte fusogene Protein auf ihrer Oberfläche exprimieren. Bei den Arabidopsis-Spermien übernehmen diese Aufgabe die HAP2/GCS1-Proteine. Eine Mehrfachbefruchtung der Eizelle mit multiplen Spermien könnte dadurch verhindert werden, dass die beiden Spermien bis zur Fusion räumlich voneinander getrennt bleiben, vermuten Sprunck und ihre Kollegen.

Und die weiteren Pläne der Regensburger? „Wir wollen herausfinden, was die Sekretion von EC1 in der Eizelle auslöst“, sagt sie. „Und in den Spermien werden wir die EC1-vermittelte Signalübertragung genauer untersuchen.“ Daneben wird Sprunck nach weiteren möglichen Komponenten der Gametenfusion Ausschau halten – auch um die simultane Befruchtung von Ei- und Nährzelle genauer zu beleuchten. „Pflanzen haben bei der Aufklärung des Befruchtungsvorgangs lange hinterhergehinkt“, meint Sprunck. Jetzt, nachdem die ersten Schritte bekannt seien, werde sich das jedoch schnell ändern, ist sie zuversichtlich.

Potentiell kann die detaillierte Kenntnis des Befruchtungsmechanismus in Blütenpflanzen irgendwann natürlich auch genutzt werden, um die Artbarriere zu überwinden – etwa um neue Züchtungen hervorzubringen. „Allerdings müssten hierfür zunächst weit frühere Kreuzungsbarrieren überwunden werden, beispielsweise die Anlockung, Keimung und das Schlauchwachstum des Pollens“, dämpft Sprunck die Erwartungen.

Etwas anderes steht indes jetzt schon fest: Bei den neu entdeckten EC1-Proteinen handelt es sich um hochkonservierte Proteine. Sprunck wies sie auch im Genom der urtümlichsten aller Blütenpflanzen nach – des immergrünen Strauchs Amborella trichopoda, der nur auf einer kleinen Inselgruppe im Südpazifik, in Neukaledonien, gedeiht.

Melanie Estrella



Letzte Änderungen: 11.04.2013