Editorial

Per Geisterhand zum Titel

Wissenschaftliches Ghostwriting

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(17. Juli 2012) Von der Semester- bis zur Doktorarbeit kann man akademische Werke bei anderen Autoren in Auftrag geben. Selbst Publikationen in Fachzeitschriften sind nicht selten von Ghostwritern verfasst. Juristisch sind diese Dienstleistungen umstritten und werden überwiegend als sittenwidrig eingestuft. Zudem verstoßen sie gegen gute wissenschaftliche Praxis. Verboten sind sie jedoch nicht.

Als ein gewisser Verteidigungsminister Anfang letzten Jahres über seine Doktorarbeit stolperte, ging ein Ruck durch Deutschland. Obwohl er eine Arbeit abgeliefert hatte, in der weite Passagen nicht von ihm selbst verfasst waren, durfte er sich jahrelang mit der Bestnote Summa cum laude schmücken, bevor der Schwindel aufflog. Vorbei scheinen die guten alten Zeiten, in denen man sich mit einem Titel vor dem Namen noch Respekt verschaffen konnte – ärgerlich für all die redlichen Forscher, die sich jahrelang im Schweiße ihres Angesichts abgerackert und mit halber Stelle bei voller Arbeitszeit den harten Weg zur Promotion erkämpft haben. Die sich nun immer spöttischere Kommentare anhören müssen: So schwer könne das ja gar nicht sein mit dem Doktortitel!

Wer sich mit fremden Federn schmückt, indem er von Fachkollegen abschreibt, ist ja noch relativ leicht zu überführen. Doch was ist, wenn der Prüfling sich nicht mal die Mühe des Abschreibens macht, sondern das komplette Werk eines anderen Autors mit dessen Einverständnis übernimmt? Ein ausformuliertes Manuskript als individuell angefertigtes Unikat – nur das Deckblatt mit dem eigenen Namen muss noch selbst ausgedruckt werden. Wie viel ist solch ein Doktortitel noch wert? Nun, zumindest ein paar tausend Euro, soviel sei an dieser Stelle schon verraten.

Anonym verfasste Werke, die unter dem Namen eines Anderen veröffentlicht werden, dürfte es wohl geben, seitdem die Schrift erfunden wurde. Sogar William- Shakespeare soll einige seiner Texte nicht selbst verfasst haben. Ghostwriter nennt man diese Schriftsteller, die keiner kennt. Sie sichern zu, dass sie – in der Regel gegen Zahlung eines Honorars – über ihre Urheberschaft schweigen und dem Auftraggeber erlauben, selbst als Autor in Erscheinung zu treten. Geht es dabei um wissenschaftliche Werke, spricht man vom Akademischen Ghostwriting.

Entgeltlich und anonym

Julia Klein – ihren Namen haben wir geändert – ist Biologin und arbeitet freiberuflich als wissenschaftliche Autorin. Auch Ghostwriting-Aufträge hat sie schon angenommen und dabei mit einer Agentur zusammengearbeitet. „Solche Ghostwriting-Agenturen gibt es jede Menge“, berichtet sie und erklärt das Grundprinzip: „Anfragen kommen ausschließlich über die Agentur. Ich bekomme nur das Thema, weiß aber nicht, wer der Kunde ist. Umgekehrt erfährt der Kunde nichts über mich. Alles läuft anonym ab.“

Wofür die Texte anschließend verwendet werden, weiß Klein nicht, sie kann nur Mutmaßungen anstellen. „Ein Beitrag war anscheinend für eine orthopädische Fachzeitschrift“, erinnert sie sich. Vor allem Juristen, BWLer und Mediziner seien es ihrer Erfahrung nach, die auf solche Dienste zurückgreifen. Sie schätzt, dass ein Großteil der Beiträge in medizinischen Zeitschriften von Ghostwritern verfasst und unter falscher Autorenschaft veröffentlicht würden.

Ein gutes Gefühl hatte Klein bei den akademischen Ghostwriting-Aufträgen nicht. Schließlich verhelfe man Leuten zu beruflicher Anerkennung und vielleicht sogar zu einem akademischen Titel, die ihre Leistung gar nicht selbst erbracht hätten. „Es ist nicht in Ordnung“, gibt sie zu und betont, dass sie diese heiklen Aufträge mittlerweile nicht mehr annimmt. „Zu dieser Zeit hatte ich mein Studium gerade abgeschlossen und war auf der Suche nach Arbeit. Ich wollte halt kein Pharmareferent werden“, erklärt sie.

Auch Peter Doeberl verfasst Texte für andere, allerdings ohne eine zwischengeschaltete Agentur. Er trifft seine Kunden persönlich. Insbesondere bei wissenschaftlichen Themen lässt er sich bei diesem Termin auch recherchiertes Material aushändigen. „Ich verlange, dass der Student eine Vorarbeit geleistet hat“, betont er, „ich setze mich da nicht selbst in die Bibliothek“.

Der 64-Jährige lebt in der Schweiz und war zunächst als Journalist tätig. Als der Arbeitsmarkt für Autoren der Boulevard- und Tageszeitungen zunehmend schwieriger wurde, wechselte er ins Ghostwriting. Er schreibe Festreden und formuliere Geschäftsberichte. Doch etwa die Hälfte seiner Kundschaft seien Studierende, bemerkt er. Naturwissenschaftler seien unter seinen Kunden eher selten vertreten, hin und wieder ergebe sich dann aber doch ein Auftrag in dieser Richtung.

So ging es in einer von ihm verfassten Diplomarbeit um „das Krabbelverhalten von Ameisen“. Details nennt er nicht, denn schließlich sei Diskretion in seinem Job oberstes Gebot. Schätzungsweise 40 bis 50 Diplom- und Doktorarbeiten habe er bereits geschrieben, wobei für einen Umfang von 80 bis 100 Seiten auch mal 12.000 Schweizer Franken Honorar fällig würden – umgerechnet fast 10.000 Euro. „Je nachdem, wie viel Vorarbeit vom Kunden geleistet wurde.“ Dass er damit zahlungskräftigen Studenten zu einem akademischen Grad verhelfe, der ihnen gar nicht zustehe, bereite ihm keine moralischen Schwierigkeiten. „Das ist eine Problematik, mit der ich mich nicht beschäftige, denn das muss der Kunde mit seinem Gewissen vereinbaren“, so sein Argument.

Urheberschaft nicht abtretbar

Martin Steinberger ist Justitiar und sieht im Akademischen Ghostwriting ein ernstes Problem. „Die Urheberschaftszuschreibung im wissenschaftlichen Kontext erfüllt doch eine Funktion“, erklärt er, „es geht um die Identifizierbarkeit und Adressierbarkeit des Autors als die Person, die mit ihrem wissenschaftlichen Renommee hinter einer Aussage steht“. Kurz gesagt: In der Wissenschaft will man eine Publikation auch der richtigen Person zuordnen können. Zur guten wissenschaftlichen Praxis gehöre es daher, dass alle Autoren genannt werden, die an einem Beitrag mitgewirkt haben. Umgekehrt muss gelten: Alle genannten Autoren haben auch tatsächlich einen Beitrag zum veröffentlichten Werk geleistet. Steinberger verweist auf die sogenannten Ehrenautorenschaften. Beim Ghostwriting handele es sich im Prinzip nur um eine andere Spielart, bei der ebenfalls jemand eine Autorenschaft für sich in Anspruch nimmt, ohne an dem Werk mitgewirkt zu haben.

Nicht nur die guten Manieren unter Wissenschaftlern werden angerührt, wenn Urheberschaften vorgetäuscht werden. § 7 des deutschen Urheberrechtsgesetzes besagt, dass es sich beim Urheber um den „Schöpfer des Werkes“ handelt. Daran kann kein Vertrag etwas ändern, die Urheberschaft ist in Deutschland nicht abtretbar. Lediglich Nutzungsrechte lassen sich an Vertragspartner übertragen, beispielsweise die Erlaubnis, ein Werk abzudrucken oder im Internet zu veröffentlichen.

Neben diesen Nutzungsrechten gebe es noch ein Urheberpersönlichkeitsrecht, betont Steinberger, das jedem Autor die Anerkennung seiner Urheberschaft zusichere. „Prinzipiell hat der Urheber natürlich auch negativ das Recht, auf seine Namensnennung zu verzichten; daraus ergibt sich aber nicht das Recht, dass stattdessen eine andere Person als Urheber in Erscheinung treten darf“, führt Steinberger aus. Somit gibt es also durchaus seriöse Verträge mit Autoren, die im Hintergrund agieren, ohne namentlich genannt zu werden. Beispielsweise werden von Werbetextern verfasste Werke veröffentlicht, ohne dass Rückschlüsse auf die Urheberschaft möglich sind.

Juristisch heikel aber wird es, sobald eine andere Person behauptet, Urheber eines nicht selbst verfassten Werks zu sein. In diesem Punkt ist die Rechtsprechung nicht einheitlich. So betrachtete das Oberlandesgericht Frankfurt im September 2009 die Gültigkeit einer solchen Absprache als rechtmäßig. Der Kläger hatte Jahre zuvor einen wissenschaftlichen Artikel verfasst, der aber unter dem Namen des Beklagten veröffentlicht wurde; als Gegenleistung war eine Erwähnung in der Danksagung vereinbart.

Die Klage hatte keinen Erfolg, das Gericht stellte fest, der Kläger habe „wirksam in diese Veröffentlichung eingewilligt“ (OLG Frankfurt, Urt. v. 01.09.2009 – 11 U 51/08). Gleichzeitig wurde in der Entscheidung aber betont, dass ein Verzicht auf die Ausübung des Urheberpersönlichkeitsrechts nach fünf Jahren durch den Autor widerrufen werden kann. „Das ergibt sich aus einem Abschnitt im Urheberrechtsgesetz“, erläutert Steinberger den Sachverhalt. Spätestens nach fünf Jahren steht dem Verfasser demnach wieder das Recht zu, auf seine Namensnennung zu bestehen, egal, welche Absprachen zuvor getroffen wurden. Zeitlich unbegrenzte Ghostwriting-Vereinbarungen wären demnach juristisch unwirksam.

Andere Gerichtsurteile legen sogar nahe, dass Verträge zum Akademischen Ghostwriting grundsätzlich keinen Bestand haben. Steinberger teilt diese Ansicht: „Akademisches Ghostwriting ist meiner Einschätzung nach regelmäßig sittenwidrig.“

Diskretion garantiert

Sittenwidrige Angebote und unwirksame Vereinbarungen? Das schafft wenig Vertrauen beim Kunden. Soll dieser dann auch noch einen Eurobetrag im zweistelligen Tausenderbereich als Honorar zahlen, wird er sich die Sache sehr gut überlegen. An dieser Stelle leuchtet ein, dass die Kundschaft lieber eine Agentur beauftragt, als direkt mit den Autoren einen Preis auszuhandeln. Insbesondere, wenn es um das juristisch heikle Thema „Akademisches Ghostwriting“ geht. Ghostwriting-Agenturen sichern absolute Diskretion und Anonymität zu. Selbst wenn einer der Autoren nach fünf Jahren auf die Idee käme, von der Ausübung seines Urheberpersönlichkeitsrechts Gebrauch zu machen – er weiß ja gar nicht, wofür sein Text verwendet wurde und für wen er geschrieben hat. Sofern die gekaufte Abschlussarbeit nicht in Internet-Suchmaschinen auftaucht, ist es für den Autor praktisch unmöglich, sie wieder zu finden und irgendwelche Ansprüche geltend zu machen.

Die ACAD Write International AG ist eine solche Agentur, die sich auf das Schreiben wissenschaftlicher Texte spezialisiert hat. Geschäftsführer Thomas Nemet weist die Kritik, seine Angebote seien juristisch zweifelhaft, zurück. „Das ist absolut seriös“, beteuert er, „denn wenn mich ein Mandant oder Kunde dazu beauftragt, den entsprechenden Text für ihn aus welchen Gründen auch immer anzufertigen, kann ich das selbstverständlich tun“. Auf den Preis für eine Diplom- oder Doktorarbeit angesprochen stellt er klar, dass seine Agentur solche Dienste nicht anbiete. „Wir verfassen eben nur wissenschaftliche Werke und weisen unsere Kundschaft darauf hin, dass sie das nicht in ihrem eigenen Namen einreichen dürfen“, versichert er, „allerdings bin ich auch keine Strafverfolgungsbehörde“.

Auf der Webseite des Unternehmens wird damit geworben, die Kunden unter anderem bei Haus-, Diplom- und Doktorarbeiten zu unterstützen. Dies sei, so der Geschäftsführer, aber lediglich in dem Sinne zu verstehen, dass die Agentur Vorlagen erstelle, die als Orientierung dienen sollten. Hat ein solches Manuskript den Umfang einer Diplomarbeit, liegen die Kosten für den Kunden laut Nemet etwa zwischen 7.000 und 15.000 Euro.

Ob ein Student so viel Geld ausgibt, nur um beispielhaft gezeigt zu bekommen, wie eine wissenschaftliche Arbeit auszusehen hat?

Mal angenommen, der Kunde möchte sich von einer Agentur wie ACAD Write Unterstützung für seine Abschlussarbeit holen, ohne dabei gegen Urheberrechte oder die Regeln für gutes wissenschaftliches Arbeiten zu verstoßen. Dann könnte er sich in seinen Ausführungen ja durchaus auf dieses Manuskript beziehen, das er für viel Geld gekauft hat, nur müsste er entsprechende Passagen dann als Zitate kenntlich machen. Aber wie gibt man eine Quelle an, deren Autor anonym ist? „In diesem Fall könnten wir selbstverständlich eine entsprechende vertragliche Regelung finden und den Namen des Autors bekannt geben“, stellt Nemet klar. Allerdings räumt er ein, dass ihm ein solcher Kundenwunsch bislang noch nicht untergekommen sei.

Lippenbekenntnisse

Ob man dann ernsthaft davon ausgehen kann, dass der Kunde die Werke innerhalb des rechtlich zulässigen Rahmens nutzt? „Mein Anliegen ist nicht, ein Psychogramm meiner Kundschaft aufzustellen. Letztendlich interessiert mich beim Auftrag nur die Thematik, der Umfang und bis wann es fertig sein soll“, so Nemet. „Was derjenige dann damit macht, das muss ich knallhart sagen, ist sein Problem.“

Nemets Unternehmen bietet also keine Doktorarbeiten an. Aber wissen die Kunden das auch? Um herauszubekommen, ob die Kunden darüber aufgeklärt werden, haben wir kurzerhand eine entsprechende E-Mail an den Dienstleister gerichtet. Ein Medizinstudent im Praktischen Jahr, so stellten wir uns vor, der vor lauter Stress nicht ein noch aus wisse und unbedingt bis Oktober eine Doktorarbeit brauche. Eine Metastudie über Herzkreislauferkrankungen im Zusammenhang mit Passivrauchen müsse her. „Ich weiß gar nicht, wo ich anfangen soll, nach Literatur zu suchen – geschweige denn, das Ganze so nebenbei bis Oktober zusammenzuschreiben“, jammerte unser fiktiver Student. Daraus, da waren wir uns sicher, sollte klar hervorgehen, dass dieser Kunde weder gewillt war, die Recherche alleine durchzuführen, noch eigenhändig seine Ergebnisse formulieren wolle. Eine komplette Doktorarbeit ohne eigene akademische Leistung lautete der Kaufwunsch.

Statt einer Ablehnung – wir hatten sie nicht wirklich erwartet – flatterte ein Angebot ins Postfach: 5.900 Euro für einen „Dr. med.“ – das ist günstiger, als manch eine Diplomarbeit! Aber ACAD Write muss sich doch an seine eigenen Prinzipien halten! Also wollte unser Student es genau wissen- und nahm kein Blatt mehr vor den Mund. „Können Sie mir zusichern, dass ich keine rechtlichen Probleme bekommen kann, wenn ich Ihre Ausfertigung beim Prüfungsamt einreiche, und dann mein Name dort drauf steht?“, fragte er beim Geschäftsführer nach. Der, statt den frechen PJler in die Schranken zu weisen, antwortete: „[...] was Sie mit dieser Arbeit tun oder lassen, obliegt Ihnen. Unsere Mitarbeiter wahren Verschwiegenheit über ihre Urheberschaft und übertragen Ihnen sämtliche Nutzungsrechte an den verfassten Manuskripten. Es obliegt Ihrer Verantwortung, von diesen Nutzungsrechten verantwortungsvoll Gebrauch zu machen [...].“

Zugegeben, ein verantwortungsvoller Umgang mit den Nutzungsrechten schließt aus, das Werk als eigene Doktorarbeit auszugeben. Die Übertragung der Nutzungsrechte bedeutet ja nicht, dass der Text unter falschem Namen verwendet werden darf. Insofern kann man argumentieren, dass der Kunde auf seine Pflichten hingewiesen wurde. Klare Worte, dass es unzulässig sei, das Schriftstück später doch als eigene Doktorarbeit auszugeben, sucht man jedoch vergebens.

Missbilligt, nicht verboten

Kann eine Agentur, die mit solcherlei „Unterstützung“ bei akademischen Abschlussarbeiten wirbt und sogar Anfragen wie die eben zitierte akzeptiert, seriös sein? In einer Entscheidung aus dem Jahr 2011 erklärt auch das Oberlandesgericht Düsseldorf Angebote zum Akademischen Ghostwriting für sittenwidrig (OLG Düsseldorf, Urt. v. 08.02.2011 – I-20 U 116/10). Demnach darf ein Dienstleister  nicht mit der Bezeichnung „Marktführer im Bereich des wissenschaftlichen Ghostwritings“ für sich werben.

Der durch einen Mitwettbewerber beklagte Anbieter hatte sich auf „Hochschulabschlussarbeiten und Dissertationen für den deutschsprachigen Raum für Privatpersonen“ spezialisiert. „Diese Tätigkeit verstößt gegen die guten Sitten“, so das Gericht. Hieran ändere auch der „Disclaimer“ nichts, wonach die Leistungen nur zu Übungszwecken angeboten würden. „Dieser Hinweis dürfte auch von den Lesern der Internetseite nicht ernst genommen werden und auch nicht ernst gemeint sein“, heißt es weiter. „Es ist nämlich lebensfremd, anzunehmen, dass jemand für einen reinen Übungstext, den er nicht als eigenen ausgeben darf, über 10.000 € zahlen würde.“ Das Gericht spricht in diesem Zusammenhang ausdrücklich von „missbilligten Dienstleistungen“.

Steinberger betont, dass eine strafrechtliche Einordnung komplexer sei und hier jeder Einzelfall geprüft werden müsse. Diplom-, Master- und Doktorarbeiten werden in der Regel nur dann von den Prüfungsämtern angenommen, wenn der Prüfling eine „Versicherung an Eides Statt“ unterzeichnet, dass er die Arbeit selbst verfasst und Hilfsmittel sowie Beiträge anderer Autoren kenntlich gemacht hat. Wer hier unterschreibt und das Werk eines Ghostwriters abgibt, macht sich natürlich strafbar und riskiert laut § 156 im Strafgesetzbuch sogar eine Haftstrafe bis zu drei Jahren. Ob aber auch der Ghostwriter strafrechtlich haftbar zu machen ist und sein Angebot vielleicht sogar als Anstiftung oder Beihilfe zu einer Straftat ausgelegt werden kann, ist fraglich. Jedenfalls dürfte es schwer sein, einem Anbieter dieser Leistungen ein solches Vergehen nachzuweisen, zumal sie in ihren Verträgen auf die Rechtslage hinweisen und sich bestmöglich absichern.

Werbewirksamer Gutti

Neben der Frage, ob ein Vertrag mit einem Dienstleister für Akademisches Ghostwriting nun rechtlich angreifbar ist, gibt es natürlich auch die Prüfungsordnungen der Universitäten. Der Fall zu Guttenberg hat gelehrt, wie schnell einem der akademische Titel aberkannt werden kann, wenn man erst einmal des Betrugs überführt ist. Eine abschreckende Wirkung für jeden Studenten, der mit dem Gedanken spielt, für seine Abschlussarbeit eine ähnliche Abkürzung zu wählen, sollte man meinen.

Karl-Heinz Smuda aber hat andere Erfahrungen gemacht. Der Autor aus Berlin ist ebenfalls als Ghostwriter tätig, distanziert sich aber von den Kollegen, die prüfungsrelevante Arbeiten für Studenten erledigen. Das sei sittenwidrig, und insofern könne er im Streitfall nicht einmal Honorar durchsetzen, argumentiert er. Außerdem habe er dabei auch moralische Bedenken. „Die Armen rackern sich ab und scheitern oder gewinnen, aber die Reichen machen es sich ganz nett“, ärgert sich Smuda.

Vor zu Guttenbergs Fall habe er alle zwei bis drei Wochen mal eine Anfrage in dieser Richtung erhalten, doch dann geriet der damalige Verteidigungsminister in die Schlagzeilen. „Zuerst dachte ich, die Leute sind jetzt vorgewarnt und wollen keine Ghostwriter mehr, doch am nächsten Tag gab es fünf oder sechs Anfragen – das ging wochenlang so!“

Anscheinend hat die öffentliche Affäre viele Studierende überhaupt erst auf die Idee gebracht, ihre Abschlussarbeit durch jemand anderen schreiben zu lassen. Seither, so Smuda, reagiere er mit einer vorgefertigten E-Mail, in der er auf die Rechtslage hinweise und anrege, sich zu überlegen, ob man wirklich studieren wolle.

Er konzentriere sich lieber darauf, Broschüren zu verfassen oder Kunden bei der Fertigstellung eigener Romane zu unterstützen. Dabei sei seine Tätigkeit oft ein bisschen mehr als Redaktion und etwas weniger als Ghostwriting.

Während Smuda eher genervt ist von den Anfragen, die er dem ehemaligen Verteidigungsminister verdankt, sieht Markus Goldbach den Guttenberg-Effekt als Segen. Der 30-jährige Neurowissenschaftler hat sein Fachgebiet mittlerweile verlassen und sich auf die Computerlinguistik spezialisiert. 2009 stellte er zusammen mit dem Informatiker Johannes Knabe den Online-Plagiatsdienst „PlagScan“ auf die Beine, und seit 2011 läuft es richtig gut. „Natürlich haben wir da auch von der zu Guttenberg-Affäre profitiert“, glaubt Goldbach.

Das Prinzip von PlagScan: Der Nutzer lädt einen Text hoch und das Programm ermittelt das Thema der Arbeit, um nach themenverwandten Texten zu suchen. Als Ergebnis zeigt es dann Übereinstimmungen mit anderen Dokumenten an – die Software hilft also beim Aufspüren von Plagiaten. „PlagScan soll als Qualitätskontrolle dienen“, erklärt Goldbach, doch auch dieses Programm habe seine Grenzen. „Die führenden Plagiats-Softwares erkennen 60 bis 70 Prozent der Plagiate.“ Etwa ein Drittel der abgeschriebenen Werke bleibt also unentdeckt. Füttert man die Software mit Vergleichsliteratur, die in einer bestimmten Fachrichtung häufig gelesen wird, lässt sich die Trefferquote verbessern. Goldbach hat auch Universitäten in seinem Kundenkreis, die hunderte von Büchern hochladen, um die Arbeiten der Studenten zu überprüfen.

Abkupfern für die akademische Karriere wird also immer riskanter. Doch lassen sich damit auch Werke identifizieren, die aus der Feder eines Ghostwriters stammen? Zumindest sollten Stilbrüche erkennbar sein, wenn die Arbeit des Ghostwriters nur abschnittsweise übernommen wird. „Das kann PlagScan leider noch nicht“, räumt Goldbach ein.

Doch durch die Co-Evolution mit Plagiatoren dürfte künftig immer pfiffigere Software auf den Markt kommen. Bioinformatiker der TU Darmstadt beispielsweise haben im Rahmen ihres „Semantic Information Retrieval“-Projektes Methoden entwickelt, Texte auf der semantischen Ebene zu vergleichen. Nicht mehr allein die Worte müssen identisch sein, sondern deren Bedeutung wird analysiert. Mit Hilfe digitaler Wörterbücher werden „Wortnetze“ erstellt, in denen sich die Software zurechtfindet.

Verbreitetes Problem

Akademische Ghostwriter werden nicht so schnell arbeitslos – die Nachfrage ist vorhanden. Wie viel Prozent der wissenschaftlichen Werke falsche Autorenschaften aufweisen, lässt sich nur schwer überprüfen. Redakteure der Fachzeitschrift Journal of the American Medical Association (JAMA) wollten es trotzdem wissen und nahmen sich lange vor zu Guttenberg Publikationen aus der medizinischen Forschung vor – aus dem eigenen Magazin ebenso wie aus anderen Journalen, etwa Annals of Internal Medicine und The New England Journal of Medicine. Sie werteten die anonymen Rückmeldungen von über 800 Autoren im Jahre 1996 (JAMA 1998, 280(3):222-4) und von mehr als 600 Autoren im Jahre 2008 aus (BMJ 2011, 343:d6128). 1996 waren an 11 Prozent der Veröffentlichungen Ghostwriter beteiligt, in 19 Prozent der Veröffentlichungen fanden sich Ehrenautorenschaften. Die Daten aus dem Jahre 2008 lassen auf einen Ghostwriter-Anteil von 7,9 Prozent und Ehrenautorenschaften in 17,6 Prozent der Artikel schließen. Nimmt man alle Artikel mit Ehrenautorenschaften und Ghostwriter-Anteil zusammen, so machten diese 1996 29,2 Prozent und 2008 21 Prozent der Veröffentlichungen in den untersuchten Journals aus.

Unrechtmäßige Autorenschaften sind also zumindest bei medizinischen Publikationen ein weit verbreitetes Problem. Immerhin scheint der Trend zwischen 1996 und 2008 rückläufig zu sein.

Bei der Ehre packen

Leider kann man aus dieser Studie keine Rückschlüsse ziehen, wie viele akademische Abschlussarbeiten im deutschsprachigen Raum unter der Beteiligung von Ghostwritern entstanden sind. Glaubt man Ghostwritern, so scheinen zumindest die Life Sciences von gekauften Doktortiteln und fremdverfassten Diplom- und Masterarbeiten kaum betroffen zu sein.

Dennoch – auch wenn die Auftragsschreiber in den Naturwissenschaften weniger verbreitet sind, die Grenzen zwischen ordentlichem wissenschaftlichen Arbeiten und unordentlichem Fehlverhalten sind fließend. Die fast identische Auflistung der Klonierungsschritte im Material und Methoden-Teil in allen Diplomarbeiten einer Arbeitsgruppe ist urheberrechtlich vielleicht noch unproblematisch, da sie kaum die für ein Werk erforderliche geistige Schöpfungshöhe erreicht haben dürfte. Doch was ist mit dem Professor, der sich die Arbeit vor der offiziellen Abgabe noch mal durchliest und dem Prüfling die vorgefertigten Korrekturen ans Herz legt?

Oder die kumulativen Dissertationen, für die man eine bestimmte Anzahl von Veröffentlichungen vorweisen muss. Da nehmen sich Laborkollegen schon mal gerne gegenseitig auf die Verfasserliste, und mitunter verschwimmt dabei die Grenze zwischen Teamwork und Ehrenautorenschaft. Da sich in beidseitigem Einverständnis begangene Urheberrechtsverletzungen praktisch nicht nachweisen lassen, gilt es, möglichst früh im Studium ein Bewusstsein für gutes wissenschaftliches Arbeiten zu schaffen. Nur so ist gewährleistet, dass man die Leistungen der Wissenschaftler ernst nehmen und als solche anerkennen kann.


Mario Rembold
Bilder: Seleneos / photocase.com (Kreidegeist), Lara Winckler (Ghostreader)


Dieser Text ist in Laborjournal 7-8/2012 erschienen.



Letzte Änderungen: 27.07.2012
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