Editorial

Wer sucht, der findet

Viele, viele mRNA-bindende Proteine entdeckt

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(19. Juni 2012) RNA-bindende Proteine (RBPs) begleiten und bestimmen das Leben von mRNA-Molekülen, von deren Entstehung bis zum Abbau. Auf die Spur dieser Proteine setzten sich die Arbeitsgruppen um Markus Landthaler (MDC Berlin) und Matthias Hentze (EMBL Heidelberg). Jetzt publizierten sie zeitgleich ihre in vivo mRNA-Proteome – also Atlanten derjenigen Proteine, die in der lebenden Zelle mRNAs binden. Sie förderten ein erstaunlich großes Repertoire RBPs zutage, darunter viele Proteine, von denen man weder wusste noch annahm, dass sie mRNAs binden.

Landthalers Mitarbeiter fanden in einer menschlichen embryonalen Nierenzelllinie 797 RBPs. Davon waren zuvor ein Drittel nicht als solche annotiert und immerhin 15 Prozent davon hätte man auch mit in silico-Biologie nicht gefunden (Baltz et al., Molecular Cell 2012, 46(5):674-690). Hentzes Gruppe fischte aus den altbewährten HeLa-Zellen 800 RPBs. Bei 300 davon hatte man deren Bindequalitäten vorher nicht gekannt (Castello et al., Cell 2012, 149(6):1393-1406). Um sicher zu sein, dass sie wirklich nur mRNA-bindende Proteine aus den Zellen holten, banden sie die RBPs mit UV-Licht an ihre mRNA-Moleküle, bevor sie die letzteren dann an ihren poly(A)-Schwänzen aus dem RNA-Pool zogen.

Warum ist das so spannend, dass wir hier darüber berichten? Erstens zeigen die Ergebnisse, dass es RNA-bindende Proteine gibt, die man mit den bisher eingesetzten Methoden nicht gefunden hat.

Zweitens werden wohl in allen bisher zum Thema publizierten Arbeiten falsch-positive wie falsch-negative Daten enthalten sein. Zum Beispiel das Iron-Binding-Protein1, das definitiv mRNA bindet und auch in den HeLa-Zellen enthalten ist, aber bei den jetzigen Experimenten nicht gefischt wurde, ist ein nachweisbar falsch-negativer Fall. Auch interessant ist der Vergleich mit dem mRNA-Proteom aus Hefe (Scherrer et al., PLoS ONE 2010, 5(11):e15499  und Tsvetanova et al., PLoS ONE 2010, 5(9): e12671): Von den 97 in Hefe gefundenen RBPs, die Scherrer et al. beschreiben, für die es im Menschen Homologe gibt, fanden die Heidelberger 23 auch im mRNA-Interaktom. Für 60 konnten sie keine Evidenz finden, für weitere 14 war die RNA-Bindung zwar experimentell-biochemisch, aber nicht statistisch abgesichert.

Drittens haben viele der entdeckten Eiweiße spannende Eigenschaften. So ist beispielsweise ein erklecklicher Anteil irgendwie in Krankheitsgeschehen verwickelt. Die Berliner fanden 59 Proteine, die jeweils als monogene Ursache verschiedenster Krankheiten bekannt waren. In Heidelberg fand man 68 solche Eiweiße. „Von vielen wusste man nicht, dass sie mRNA binden“, sagt Hentze. „Jetzt gilt es zu prüfen, ob diese Eigenschaft wichtig für die Entwicklung der betreffenden Krankheit ist oder nicht.“

Ganz persönlich am interessantesten findet Hentze diejenigen RBPs, die auch metabolische Enzyme sind, wie Oxidoreduktasen, Transferasen oder Kinasen. Weil sie Aufschluss über den Zusammenhang von Stoffwechsel und Genaktivität geben könnten, ja vielleicht sogar die entscheidenden Bindeglieder dazwischen sind. Das jedenfalls postuliert der Forscher in Form der REM (RNA, Enzyme und Metabolite)-Hypothese. Tatsächlich gibt es schon in älterer Literatur Beispiele für Enzyme mit mRNA-Bindungseigenschaften. „Was man aber als Kontamination abgetan hat“, sagt Hentze, der seit über 20 Jahren über posttranskriptionelle Genregulation arbeitet. Bei ihren Studien fanden die Heidelberger insgesamt 18 Proteine, die NAD+, NADP+, NADH, NADPH, FAD oder FADH2 als Ko-Faktoren nutzen. „Wie werden Änderungen im Stoffwechsel und Änderungen der Genaktivität miteinander koordiniert? Wie also sind die Ansprüche an die aktuelle Lebenssituation mit den Genregulation verknüpft?“ Antworten auf diese Fragen zu finden hält er für vielversprechend.


Karin Hollricher
Bild: Nerd1 / photocase.com



Letzte Änderungen: 03.07.2012
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