Editorial

Krebstherapie ausgoogeln?

Mit Googles Page Rank-Algorithmus Biomarkern auf der Spur

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(5. Juni 2012) Diagnose Krebs! Welche Therapie dann nötig und sinnvoll ist, würden Patienten und Ärzte natürlich gern wissen, bevor sie damit beginnen. Deshalb sucht man mit allen möglichen Omic-Technologien nach Biomarkern, die eine Vorhersage über die Effektivität einer Therapie ermöglichen. Bis heute aber mit wenig Erfolg (Nature 2011, 471, S. 428-32). Was Christof Winter vom Biotechnologischen Zentrum der Universität Dresden veranlasste, sich dieses Problems anzunehmen.

Der Mediziner und Bioinformatiker Winter ging davon aus, dass im Krebsgewebe stark vernetzte Gene und Proteine wichtiger für die Entwicklung des Tumors sind als solche, die nur wenig Kontakte pflegen. Solche wären mithin als Biomarker geeignet. Wie aber analysiert man komplexe Beziehungen und Kommunikationsverhalten? Die Google- und Facebook-Generation weiß das: mit Algorithmen wie PageRank. Damit kann man untersuchen und gewichten, wie Internet-Dokumente miteinander verlinkt und vernetzt sind. PageRank wurde von seinen Entwicklern und Google-Gründern Larry Page und Sergei Brin benannt. Einen solchen Algorithmus benutzten Bioinformatiker, um nach „Protein/Gen-Vernetzungen“ zu suchen.

Zunächst sammelten Winter und seine Co-Autoren Gewebe von 30 Pankreaskarzinomen und nahmen eine Expressionsanalyse von 20.000 Genen vor. Mit diesen Daten sowie Interaktionsdaten aus Datenbanken untersuchte Winter das Kommunikationsverhalten der Gene. Das Ergebnis: STAT3, FOS, JUN, SP1, CDX2, CEBPA und BRCA1 sind relevant für das Überleben von Patienten mit Pankreaskarzinom. Eine hohe Expression von STAT3, FOS und JUN verringern die Überlebenszeit, die anderen verlängern sie, retten die Patienten aber letztendlich nicht. Alle 30 Testpatienten waren trotz Therapie nach spätestens 5 Jahren am Krebs verstorben (Winter et al., PLoS Comput Biol 2012, 8(5): e1002511).

Als nächstes testeten die Forscher, wie akkurat die Marker die Aggressivität der Karzinome vorhersagen können. „Bei 2/3 der Patienten konnten wir mit den Markern eine korrekte Vorhersage treffen“, berichtet Christof Winter, der inzwischen in Schweden an der Universität Lund arbeitet. Mit heute praktizierten Methoden liegt dieser Wert bei etwa 60 Prozent, was nur wenig besser ist als Losen oder Raten. Trotz der nur geringen Steigerung zeigt sich Winter zufrieden. „Man wird bei der Krebsprognose nie die 100 Prozent-Marke erreichen, denn neben dem genetischen und molekularen Geschehen beeinflussen auch der Zustand des Patienten selber und die Umwelt den Ausgang einer Krebserkrankung“, sagt der Arzt. Er würde gerne eine Trefferquote von 80 Prozent erreichen. „Ein Biomarkerset kann meiner Ansicht nach nur eine Entscheidungshilfe für den Arzt und den Patienten sein, welche Therapie angewendet werden soll.“

Bevor es aber soweit ist, muss ein solches Set gründlich validiert werden – und daran hapert es derzeit überhaupt. So gibt es beispielsweise drei Brustkrebs-Markersets (MammaPrint, Oncotype DX, Rotterdam-Signatur) mit völlig unterschiedlichen Genen, die allesamt noch nicht klinisch validiert wurden, aber schon im Einsatz sind. Ein sehr fragwürdiges Vorgehen. Um nur ein Beispiel anzuführen: Einer dieser Brustkrebstests wurde an 300 Patienten überprüft und lieferte dabei nur 50 Prozent richtige Ergebnisse (J Natl Cancer Inst 2006, 98, 1183-92). Da kann man auch gleich eine Münze werfen oder sein Horoskop befragen. Und bei einer Analyse von 35 Biomarkern für Eierstockkrebs an 1.000 Patientinnen entpuppten sich die bis dahin vielversprechenden Kandidaten nicht besser als das seit 30 Jahren verwendete Cancer Antigen CA-125 (Cancer Prev Res 2011, 4, 365-74 sowie 375-83).

Aus diesen und anderen Fehlschlägen kann man nur eine Schlussfolgerung ziehen: Biomarker müssen gründlich und an den richtigen Patientengruppen getestet werden, bevor sie in die Klinik kommen.


Karin Hollricher
Bild: Regulatorisches Gen-Netzwerk, Winter et al., PLoS Comput Biol 2012, 8(5): e1002511, Creative Commons Attribution License



Letzte Änderungen: 15.06.2012
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