Editorial

Kaffee und Kopfschmerzen

Sind systematische Reviews richtige Forschung?

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(8. Mai 2012) Verstärkt Koffein die Wirkung von Schmerzmitteln? Fragen wie diese wollen systematische Reviews beantworten. Dazu suchen Wissenschaftler möglichst alle existierenden Studien zusammen und werten sie mit Blick auf die Frage aus. Doch ist das echte Forschung? Wollen klassische Journale solche Übersichtsartikel überhaupt veröffentlichen? Wissenschaftler um Jörg Meerpohl und Erik von Elm vom Deutschen Cochrane Zentrum in Freiburg und dem Institut für medizinische Biometrie und medizinische Informatik der Uni Freiburg fragten bei den Editoren von 118 medizinischen Journalen nach.

Die evidenzbasierte Medizin käme nicht ohne sie aus: Mit systematischen Reviews wird in abgeschlossenen klinischen Studien nach Belegen für die Wirksamkeit von Medikamenten oder Therapien gesucht, damit Patienten eine nachweislich wirksame Behandlung bekommen. Aber auch für die Forschung sind sie nützlich, beispielsweise um abzuschätzen, wie man seine Ressourcen in neuen klinischen Studien am besten einsetzen kann. Der UK Medical Research Council fordert deshalb systematische Reviews in manchen Fällen als Teil der Antragstellung.

Meerpohl und Co. wollten herausfinden, wie Editoren von medizinischen Journalen den systematischen Reviews gegenüber stehen. Denn die Editoren seien wie „Torwächter“; sie wachen darüber, ob Forschungsergebnisse und Reviews den Weg in die Journale und somit bis zur Forschergemeinde finden. Also fragten sie bei allgemeinen und spezialisierten Medizin-Journalen vom Journal of the American Medical Association (JAMA) über das British Medical Journal (BMJ), bis hin zu Anesthesia & Analgesia und dem Journal of Immunology nach (PLoS ONE 2012, 7(5): e35732).

Etwas über die Hälfte der angeschriebenen Editoren antwortete den Forschern (55 Prozent). 71 Prozent davon sahen systematische Reviews als Originalforschungsarbeiten an, dementsprechend publizierten fast alle sie auch in ihren Journalen (94 Prozent). Jeweils etwa zu einem Drittel wurden sie entweder neben den anderen Originalarbeiten, bei den Reviews oder in einem speziellen Abschnitt veröffentlicht. Die Meinung einiger Editoren bezüglich systematischer Reviews gaben die Autoren in der Studie anonym wieder. So befand einer: „Ich halte sie für wichtige wissenschaftliche Arbeit.“ Ein anderer dagegen: „Wir stimmen zu, dass ein systematischer Review strenge Wissenschaft ist und dass ein beschreibender Review es auch sein kann. Dies ist allerdings nicht das gleiche, wie die 'entdeckende Wissenschaft'.“

Die Autoren jedoch – allesamt mit der Cochrane Collaboration verbandelt, die systematische Übersichten erstellt – wünschen sich, dass die wissenschaftliche Gemeinde systematische Reviews mit methodologischen Kriterien als eigene wissenschaftliche Disziplin anerkennt. Das soll es unter anderem leichter machen, Förderung dafür zu bekommen. Ein Schwachpunkt der Studie von Meerpohl et al. ist allerdings, dass 45 Prozent der befragten Editoren gar nicht antworteten: Knapp 40 Prozent dieser Journale veröffentlichten im Jahr 2009 keinen systematischen Review, über die Hälfte davon wenigstens einen. Zudem bekamen Editoren von biomedizinischen Journalen keine Fragebögen zugesandt.

Übrigens, ja, Koffein wirkt zusammen mit Schmerzmitteln tatsächlich schmerzlindernd, wie ein systematischer Review von Christopher Derry et al. zeigt. Wurde einem Schmerzmittel wie Ibuprofen oder Paracetamol pro Dosis etwa so viel Koffein zugegeben, wie in einer Tasse Kaffee steckt – um die 100 mg – linderte das bei fünf bis zehn Prozent der Probanden die Schmerzen besser, als ohne Koffein (Cochrane Database Syst Rev 2012, 3:CD009281). Ob es genauso wirksam ist eine Schmerztablette mit einer Tasse Kaffee herunterzuspülen, erfährt man allerdings nicht.

 


Valérie Labonté
Bild: Tillidin/photocase.com



Letzte Änderungen: 20.12.2012
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