Editorial

Detektivarbeit am Schmallenberg-Virus

Mit Metagenomsequenzierung zum Ziel

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(20. März 2012) Das Ende 2011 erstmals in Europa aufgetretene Schmallenberg-Virus ist dafür verantwortlich, dass in den letzten Wochen missgebildete Lämmer und Kälber zur Welt kamen. Wo das Virus vielleicht herkommt und wie man den unbekannten Störenfried mit Metagenomsequenzierung identifizieren konnte, erklärte Martin Beer vom Friedrich-Loeffler-Institut (FLI) auf der Insel Riems im Interview mit Laborjournal.


Laborjournal: Dem FLI ist es gerade gelungen das Schmallenberg-Virus unter dem Elektronenmikroskop sichtbar zu machen. Gab es Überraschungen?


Martin Beer: Das Schmallenberg-Virus sieht aus wie ein normales Orthobunyavirus, ein behülltes Virus aus der Familie der Bunyaviridae. Von den Orthobunyaviren gibt es nur wenige, die in Europa nachgewiesen wurden. Von der Simbu-Serogruppe der Orthobunyaviren gab es bisher gar keine Nachweise in Europa, das Schmallenberg-Virus ist das erste.


Wie haben sie das Schmallenberg-Virus identifiziert?

 
Martin Beer: Wir haben das Virus zu einem Zeitpunkt entdeckt, zu dem es schon eine gewisse Verbreitung hatte. Tierärzte und Landwirte in Nordrhein-Westfalen haben uns im Sommer 2011 gefragt, ob es sein könnte, dass die Blauzungenkrankheit zurück ist. Kühe gaben weniger Milch und hatten für ein paar Tage Fieber. Wir haben Proben auf „Standard-Viren“ untersucht, von denen wir wissen, dass sie bei Rindern in Deutschland vorkommen. Da sind auch ausgefallenere Erreger dabei, oder die gefürchtete Maul- und Klauenseuche, – das war aber alles negativ.


Wie ging die Suche weiter?


Martin Beer: Wir haben eine Metagenomanalyse durchgeführt. Seit den H5N1-Vogelgrippe-Ausbrüchen haben wir mehrere Projekte, in denen es um die Etablierung solcher Methoden geht. Wir sequenzieren möglichst viele Genominformationen, die in einer Probe vorkommen. Wenn genug Erreger-Genom enthalten ist, kann man das erfassen und mit bekannten Sequenzen vergleichen. Wir haben von drei Rindern mit akutem Fieber und verminderter Milchleistung Proben erhalten und festgestellt, dass sechs von mehr als 25.000 Sequenzfragmenten tatsächlich zu Bunyaviren passten, insbesondere zum Akabane-Virus. Das Akabane-Virus ist der bekannteste Vertreter der Simbu-Serogruppe und hat in in Japan, Australien und Israel, schon zu schweren Ausbrüchen bei Rindern geführt, auch mit Missbildungen bei Kälbern. Deswegen waren wir aufgeschreckt. Mit den Sequenzfragmenten hatten wir einen ersten Fingerabdruck des Virus. Wir haben das Virus anschließend auch isoliert, was nicht ganz einfach war. Man musste für die Anzucht zunächst Insektenzellen verwenden und dann auf eine Hamster-Zelllinie wechseln (Hoffmann et al., Emerg Infect Dis 2012, 10.3201/eid1803.111905).


Weil Insekten der Vektor sind?

 
Martin Beer: Ja. Wir haben es in Insekten selbst bisher aber noch nicht nachgewiesen. Wir nehmen an, dass es Gnitzen sind, also Culicoides-Spezies, die gleiche Gruppe, die auch die Blauzungenkrankheit überträgt. Zum einen sind Gnitzen häufige Überträger bei Simbu-Viren und die Zeit der Haupt-Infektionsrate – August, September, Oktober 2011 – ist auch genau die Zeit, wo diese Gnitzen am aktivsten sind. Wir haben jetzt erste Gnitzen von Fängen aus dem Jahr 2011 bekommen, die wir nun mittels Real-Time-RT-PCR untersuchen werden. 


Sind das heimische Gnitzen? 


Martin Beer: Ja, wir gehen davon aus, dass es einheimische Gnitzen sind. Es könnten aber auch weitere Insekten als Überträger in Frage kommen.


Wie kam das Virus im Herbst in die Gnitzen?


Martin Beer: Sehr wahrscheinlich war der Eintrag nicht letzten Herbst, sondern früher. Es könnte sein, dass das Schmallenberg-Virus Anfang 2011 oder Ende 2010 nach Holland, Belgien oder Deutschland eingeschleppt wurde. Wo der Startpunkt liegt wissen wir nicht, ebensowenig wie das Virus zu uns kam. Eine Möglichkeit ist eine infizierte Gnitze oder ein anderes infiziertes Insekt, das mit einem Flugzeug aus Afrika oder Asien hier her kommen konnte. Oder aber ein infiziertes Tier, wobei unsere Import-Bedingungen für Tiere aus Ländern, in denen solche Viren vorkommen, so strikt sind, dass das nicht sehr wahrscheinlich ist. Aber das ist alles Spekulation! 


Ist es normal, dass sich Viren lange in Föten halten können?


Martin Beer: Es gibt einige Beispiele, wo Infektionen Aborte auslösen können, es gibt aber auch Beispiele von persistierenden Infektionen. Beim Schmallenberg-Virus – oder bei dem Leitvirus Akabane – ist das Besondere, dass sie den Fötus schädigen, aber nicht so sehr, dass er nicht geboren wird. Das Virus ist nur für wenige Tage im Blut der ausgewachsenen Tiere, die gar nicht oder nur wenig krank werden, nachweisbar. Wenn sie aber trächtig sind, geht das Virus über die Placenta auf den Fötus über. Wenn dieser in einem bestimmten Entwicklungsstadium ist, kann sich das Virus dort längere Zeit halten und zu schwersten Schäden führen. Jetzt werden Tiere geboren, deren Mütter im Herbst 2011 infiziert wurden. Das Virus schädigt in sehr vielen Fällen die Gehirnentwicklung des Fötus, die Tiere kommen dann tot oder schwerstgeschädigt zur Welt. 


Gehen Sie davon aus, dass sich eine Immunität in den Herden aufbauen wird?


Martin Beer: Ja, davon gehen wir aus. Wir haben erste Versuche mit sehr wenigen Tieren gemacht: Tiere, die wir ein weiteres Mal dem Virus ausgesetzt haben, waren nicht noch einmal infizierbar. Auch von verwandten Viren weiß man, dass es eine natürliche Immunität gibt. Wir wissen nicht, wie lange sie anhält, aber für Akabane geht man davon aus, dass es Jahre sind. Tiere, die einmal infiziert waren, werden mit hoher Sicherheit nicht wieder erkranken und vermutlich auch nicht noch einmal ein durch diese Virusinfektion missgebildetes Tier zur Welt bringen.


Wird sich das Virus selber wieder ausrotten?


Martin Beer: Das können wir nicht vorhersagen. Wir wissen nicht, mit welchen Mechanismen das Virus sich einerseits über die Vektor-arme Zeit, also bei uns die kalte Jahreszeit, hinüberrettet. Es könnte die Infektion des Fötus sein. Zum anderen wissen wir nicht, wie es sich im Vektor verhält, ob es dort zum Beispiel vertikal auf die Entwicklungsstadien der Vektoren übertragen wird. Dann ist es schwieriger, dass solch ein Virus wieder verschwindet.


Ist es ein Zufall, dass das Schmallenberg-Virus und die Blauzungenkrankheit mehr oder weniger in den gleichen Regionen – Nordrhein-Westfalen, Holland, Belgien – erstmals auftauchten?

 
Martin Beer: Warum es jetzt zweimal vermutlich zu einem Eintrag in dieses Dreiländereck gekommen ist, wissen wir nicht. Es könnte sein, dass dort besonders viel Waren- oder Flugverkehr besteht. Aber es kann auch sein, dass wir, wenn wir es irgendwann einmal herausfinden, überrascht sind, weil es doch ein anderer Weg war. 


Sie sagten, dass Sie bei der Metagenomsequenzierung sechs Treffer unter 25.000 Sequenzen gefunden haben. Ist das viel oder wenig? 


Martin Beer: Einer reicht. Wir waren natürlich mit den sechs Treffern ganz glücklich, weil sie auch eine gute Sequenzqualität aufwiesen. Ich bekomme ja ein Sequenzschnipselchen, das können 30 Basenpaare sein, das können aber auch mal 400 sein. Bei den Stückchen, die wir gefunden hatten waren es 200, 300 Basenpaare. Wichtig ist dann ein gutes Analysesystem, um die Sequenzen zu vergleichen. Wir haben einen Doktoranden, der eine Software entwickelt die einen schnellen Datenbankabgleich mit den bisher bekannten Virussequenzen ermöglicht. Wenn irgendwo vermehrt Symptome einer Infektionskrankheit auftreten, die nicht zuzuordnen sind, dann gibt uns die Metagenomanalyse eine Möglichkeit an die Hand, ungerichtet zu untersuchen und Spuren von Erreger-Genomen zu finden. Das hat im Fall des Schmallenberg-Virus recht gut geklappt, was natürlich erfreulich ist, weil man an einem praktischen Beispiel zeigen kann, dass das eine Technologie ist, die uns ermöglicht auch etwas zu finden, womit wir gar nicht gerechnet haben. Das war hier im Institut ein Team von drei, vier Wissenschaftlern mit ihren AGs, die Hand in Hand das Puzzle zusammengesetzt haben. Es hat den Leuten glaube ich auch richtig Spaß gemacht dieses Rätsel zu lösen. Als die ersten „Spuren“ des Virus da waren, hat es für ein paar sprachlose Momente gesorgt: Orthobunyaviren, Simbu-Viren, Akabane-verwandt – da wären wir nicht drauf gekommen. Das war ein spannender Augenblick.

 


Interview: Valérie Labonté

Bild: FLI

 



Letzte Änderungen: 26.03.2012
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