Editorial

Mücken-Mutanten gegen Malaria & Co.

Plöner Forscher simulieren, wie lange sich transgene Mückenpopulationen in Freiheit halten können.

editorial_bild

Freisetzungsexperiment

(13. Dezember 2011) Mutierte Mücken sollen tropische Erkrankungen wie Malaria und Dengue-Fieber eindämmen. Mutationen, die einen heterozygoten Nachteil bewirken, könnten dabei helfen die Ausbreitung der transgenen Tiere möglichst lokal zu begrenzen. Unter welchen Bedingungen sich solche Mutationen stabil in einer Population halten können, untersuchte ein Team um Floyd Reed und Arne Traulsen vom Max-Planck-Institut für Evolutionsbiologie in Plön (MPI).

 

Mutanten mit einem heterozygoten Nachteil haben es schwer: Der Selektionsdruck arbeitet gegen sie. Denn wenn die Mutation nur auf einem Chromosom – heterozygot – vorliegt, ist die Fitness der Träger geringer, als bei Artgenossen, die die Mutation gar nicht oder auf beiden Chromosomen – homozygot – tragen. In der Natur treten Mutationen, die einen heterozygoten Nachteil bewirken, durch reziproke Translokation auf: Dabei kommt es zu einem Austausch zwischen zwei nicht homologen Chromosomen. Damit sich solche Mutationen in einer Population halten können, müssen immer genügend, aber auch nicht zu viele, homozygote Nachkommen entstehen. Andernfalls besteht die Gefahr, dass die Mutation entweder überhand nimmt oder aus dem Genpool verschwindet.

Die Mutanten mit einem heterozygoten Nachteil eignen sich deshalb gut für Freisetzungsversuche. Wird die Mutation mit Resistenzgenen gegen Erreger gekoppelt, lässt sich beispielsweise Malaria-Resistenz in einer Mückenpopulation etablieren. Sobald genügend Mutanten in einer Population vorhanden sind, ersetzen sie die natürliche Variante. Der Vorteil der von der Evolution benachteiligten Mutanten: Sie lassen sich einfach wieder aus der Umwelt entfernen. „Dafür muss nur der Wildtyp wieder ausgesetzt werden“, erklärt Philipp Altrock, Postdoc in Traulsen Gruppe für Evolutionstheorie.

Altrock und Traulsen sind beide Physiker. Mit mathematischen Modellen beschreiben sie die Dynamik evolutionärer Prozesse. „Wir untersuchen so unterschiedliche Vorgänge wie den Verlauf von Krebserkrankungen, den Einfluss von Kooperation auf den evolutionären Erfolg, bis hin zum Phänomen des heterozygoten Nachteils“, berichtet Traulsen. Zusammen mit ihrem Kollegen, dem Populationsgenetiker Floyd Reed, entwickelten die Plöner MPI-Forscher ein Modell, das die Entwicklung von Mutanten mit heterozygotem Nachteil unter definierten Bedingungen in zwei benachbarten Populationen vorhersagt (Altrock et al., PLoS Comput Biol 2011, 7(11): e1002260).

In dem Modell der Evolutionsforscher fassten die transgenen Organismen am leichtesten in der Zielpopulation Fuß, wenn in beiden Populationen Mutanten freigesetzt wurden – idealerweise rund 75 Prozent in der Zielpopulation und die übrigen 25 Prozent in der Nachbarpopulation. Wie lange sich die neue Genvariante in der Population halten kann, hängt dabei vor allem von der Migrationsrate zwischen den Populationen ab: Solange sie weniger als fünf Prozent beträgt, kann sich die Mutation sehr lange stabil halten. „Um unsere Aussagen zu überprüfen müssen natürlich entsprechende Experimente durchgeführt werden“, sagt Traulsen. „Zunächst im Labor und – falls diese Versuche erfolgreich sind – als letzte Stufe dann im Freiland.“

Die praktische Durchführung der Versuche kann Reed übernehmen, der vor kurzem von Plön an die Universität Hawaii gewechselt ist. Seine Versuchstiere sind zunächst Fruchtfliegen. Reeds neuer Aufenthaltsort bietet einen guten Ausgangspunkt für künftige Freisetzungsexperimente. In der Nähe von Hawaii befinden sich zahlreiche abgeschiedene Pazifikinseln: „Ideale Orte um herauszufinden, wie weit die im Modell angenommen Bedingungen mit der Realität übereinstimmen“, so Altrock. „Dort können Populationsgröße, Fitness und Migrationsrate abgeschätzt werden.“

Im Kampf gegen Malaria und Denguefieber werden bereits seit einigen Jahren Freisetzungsexperimente mit genetisch veränderten Tieren geplant und durchgeführt. Luke Alphey, der Gründer des britischen Biotech-Unternehmens Oxitec, entließ 2009 auf der Karibikinsel Grand Cayman genmanipulierte Männchen der Gelbfiebermücke Aedes aegypti. Die Mücken sind Hauptüberträger des Denguefiebers. An der Virusinfektion erkranken jährlich weltweit rund 50 Millionen Menschen, mehr als 12.000 sterben daran. Alpheys OX513A getaufte Mücken tragen einen Gendefekt, der dazu führt das ihre Nachkommen ohne eine Behandlung mit dem Antibiotikum Tetracyclin noch im Larven- oder Puppenstadium absterben.

Die Freisetzung der OX513A-Mücken senkte die Zahl der Dengue-Überträger, wie Alpheys Team berichtete (Nat Biotechnol 2011, 29:1034-7). Doch die Experimente rufen immer wieder viel Kritik hervor. Neben unabsehbaren Folgen für das Ökosystem durch die Ausrottung der Gelbfiebermücken befürchten die Gegner, dass OX513A-Mücken ihr verändertes Erbgut auf den Wildtyp übertragen, falls einige Larven das tödliche Gen überleben. Ein weiterer Nachteil der Methode ist, dass immer wieder transgene Tiere ausgesetzt werden müssen. Denn die manipulierten Männchen sind ja steril. Die Freisetzungen immer wieder zu wiederholen ist mit hohem Aufwand verbunden.

„Mutationen mit einem heterozygoten Nachteil könnten sich dagegen mit weniger Aufwand längerfristig halten“, erläutert Altrock. Außerdem ist die Ausbreitung der Mutation über eine Zielpopulation hinaus extrem unwahrscheinlich, da die Mutanten schlechter angepasst sind als der Wildtyp. Grundsätzlich ist der eingebaute evolutionäre Sicherungsschalter auch für andere zur Freisetzung geplante Organismen denkbar, meint Altrock. „Dabei muss man natürlich immer genau überlegen, ob der Aufwand für die jeweilige Anwendung gerechtfertigt ist.“ Eine denkbare Einsatzmöglichkeit ist auch die Bekämpfung von Schädlingen in der Landwirtschaft.

 

 

Melanie Estrella
Bild: rebealk / photocase.com



Letzte Änderungen: 30.12.2011
© 2009 Laborjournal und F & R Internet Agentur