Editorial

Cool durch Partnerschaft

Liierte Graugänse reagieren anders auf sozialen Stress, als Single-Gänse. Außerdem gibt es Unterschiede im Stressverhalten zwischen den Geschlechtern.

editorial_bild

(1. Dezember 2011) Graugänse leben oft über Jahre mit demselben Partner zusammen, aber auch in Familienverbänden, die soziale Unterstützung geben. Um herauszufinden, wie die „Gestresstheit“ von Graugänsen mit dem Paarstatus und der Entfernung vom Partner zusammenhängt, untersuchten Verhaltensforscher und Ökologen um Claudia Wascher von der Konrad Lorenz Forschungsstelle und dem Departement für Verhaltensbiologie der Uni Wien eine Gruppe von 25 Graugänsen (Anser anser), die sich in ihrer natürlichen Umgebung frei bewegen konnten. Weil die Gestresstheit sich in der Herzfrequenz der Gänse widerspiegelt, pflanzten sie den Tieren kleine Geräte ein, die den Herzschlag aufzeichneten. Junggesellen hatten demnach bei feindseligen Begegnungen eine höhere Herzfrequenz als liierte Ganter. Bei Weibchen fand sich dieser Unterschied nicht (Wascher et al., Biol Lett 2011, online vorab publiziert).

 

Für männliche Graugänse scheint es sich also auszuzahlen, kein Single zu sein. Das verwundert nicht, denn Angriffe sind im Leben einer Graugans alltäglich und Alleinstehende befinden sich ganz unten in der Hackordnung. Weibchen dagegen scheint es zu beeinflussen, ob der Partner in Reichweite ist, um im Notfall aktive soziale Unterstützung bei Auseinandersetzungen geben zu können: War der Partner weiter als einen Meter entfernt, reagierten sie mit einem schnelleren Herzschlag, nicht aber die Männchen. Verpaarte Gänseweibchen zeigten zudem in Ruhe eine erhöhte Herzfrequenz im Vergleich zu Gänseweibchen ohne Gespons. Bei männlichen Graugänsen gab es diesen Unterschied nicht.

„Soziale Interaktionen beeinflussen die Herzfrequenz sehr stark“, erläutert die Erstautorin Claudia Wascher. „Das ist nicht ausschließlich auf körperliche Aktivität, sondern eher auf psychologische Faktoren zurückzuführen, zum Beispiel, wer der Gegner ist oder welche Relevanz die Interaktion hat.” Sie führt weiter aus: „Das Schöne an Herzfrequenzbestimmungen ist, dass man messen kann, wie eine einzelne soziale Interaktion auf den Körper wirkt.“ Mithilfe von Stresshormon-Bestimmungen im Blut oder im Kot sei das nicht möglich, da Stresshormone über einen ausgedehnteren Zeitraum im Körper wirkten.

Seit Jahrzehnten etabliertes Forschungsmodell

Die Versuchstiere der Wiener Wissenschaftler sind Mitglieder einer frei fliegenden Graugansschar, die 1973 vom Verhaltensforscher Konrad Lorenz und seinen Mitarbeitern im Almtal in Oberösterreich angesiedelt wurde. Die heute etwa 150 Tiere sind ortsfest, an Menschen gewöhnt und werden zweimal am Tag gefüttert. Die Verwandtschaftsverhältnisse innerhalb der Gruppe sind genau bekannt und das Verhalten der Tiere wird seit Jahrzehnten aufgezeichnet. So kam beispielsweise heraus, dass Graugänse gar nicht so monogam sind wie es scheint. Auch wenn sie über Jahre bestehende Partnerschaften eingehen, stammen etwa zehn Prozent des Nachwuchses von einem anderen Mann. Zuweilen bringen Gänse ihre Eier sogar in fremden Nestern unter. Häufig findet der gewählte Partner größeren Gefallen an einem anderen Artgenossen oder kommt durch Raubtiere um.

Letzteres war auch bei drei Gänsen in der neuen Studie von Wascher und Kollegen der Fall. Eine Gans wurde vom Fuchs geholt, zwei andere verschwanden spurlos über Nacht. Die verwitweten Graugänse, zwei Männchen und ein Weibchen, blieben davon nicht unberührt. Sie hatten noch zwei Monate nach dem Verlust eine niedrigere Herzfrequenz, aber auch größere Schwankungen des Herzschlags als davor. Dies könnten Anzeichen für eine depressive Reaktion auf das traumatische Ereignis sein, legen die Autoren im Diskussionsteil ihrer Veröffentlichung nahe.

Dass soziale Unterstützung sich auf die Physiologie, zum Beispiel den Herzschlag, auswirkt, lässt sich auch beim Menschen in Stress-Situationen beobachten. „Bei Menschen, die eine Rede halten müssen, ist die Herzfrequenz niedriger, wenn ein sozialer Partner anwesend ist“, so Claudia Wascher. Was also dem Menschen in manchen Situationen Sicherheit gibt, scheint bei der Graugans ähnlich zu wirken.

 

 

Bettina Dupont
Foto: photonaj/iStock



Letzte Änderungen: 21.12.2011
© 2009 Laborjournal und F & R Internet Agentur