Editorial

Placebos - Sinn und Unsinn

Placebos enthalten keinen Wirkstoff, aber sie wirken trotzdem. – Sowohl im Patienten, als auch in Probanden klinischer Studien.

editorial_bild

(14. Juli 2011) Die Bezeichnung Placebo stammt vom lateinischen Verb „placere“ ab, das auf Deutsch „gefallen“ heißt. Würde es Ihnen gefallen, ein Placebo zu bekommen? Die Bundesärztekammer (BÄK) jedenfalls empfiehlt den Placeboeffekt mehr in der Therapie einzusetzen. Laborjournal sprach darüber mit dem Psychologen und Placeboforscher Paul Enck von der Uniklinik Tübingen.

 

Laborjournal: Herr Enck, gehört die Gabe von Placebos zum Alltag eines Arztes?


Paul Enck: Die Daten aus internationalen Umfragen sagen, dass mindestens 50 Prozent der Ärzte wenigstens einmal im Jahr ein Placebo verschrieben haben. Das heißt nicht bei jedem Patienten und nicht bei jeder Erkrankung, aber immer mal wieder. Die häufigsten Placebos in diesem Zusammenhang sind allerdings unwirksame Medikamente. Diese enthalten zwar einen Wirkstoff, der kann aber bei der entsprechenden Erkrankung nicht wirken. Das klassische Beispiel hierfür sind Antibiotika bei einer viralen Infektion (Fässler et al., BMC Medicine 2010, 8:15).

Das ist aber nicht ganz ungefährlich.


Paul Enck: Stimmt, das ist nicht ganz ohne. Meist wird das nebulös mit „Superinfektion“ begründet. De facto ist es nutzlos, gefährlich für den Patienten und ethisch völlig unakzeptabel.

Welchen Patienten kann man Placebos verschreiben?


Paul Enck: Gar keinen Patienten! Es gibt weder eine ethische noch eine juristische Rechtfertigung für die Placebogabe im klinischen Alltag. Placebos dürfen nur dann verabreicht werden, wenn die Patienten vorher vollständig aufgeklärt wurden und ihre Einwilligung gegeben haben. Ich finde, dass die Aufklärung des Patienten Vorrang hat vor der Notwendigkeit ihm irgendetwas zu verabreichen. Wenn man einem Patienten unbedingt ein Placebo geben will und überzeugt ist, dass er davon profitiert, dann sollte man eine offene Placebogabe wählen.

Wirken Placebos auch, wenn der Patient weiß, dass er ein Placebo und keinen Wirkstoff bekommt?

 

Paul Enck: Mir sind aus der Literatur drei Studien bekannt, in denen gezeigt wurde, dass eine offene Placebobehandlung wirksam ist. So wurde zum Beispiel Patienten mit Reizdarmsyndrom an der Harvard Medical School offen gesagt, dass sie eine Pille bekommen, in der kein Wirkstoff drin ist, die aber trotzdem wirkt. Im Vergleich zur unbehandelten Gruppe verbesserten sich die Symptome deutlich (Kaptchuk et al., PLoS One 2010, 5:e15591).

Oft wird von einer „Grauzone der Aufklärungspflicht“ gesprochen, wenn Ärzte ihren Patienten nicht konkret sagen, dass sie ein Placebo bekommen.


Paul Enck: Diese Grauzone existiert eigentlich nicht. Unvollständige Aufklärung ist ein Verstoß gegen die Berufsordnung und gegen eine ganze Reihe rechtlicher Vorschriften. Im Rahmen von Forschungsprojekten mit Probanden kann man manchmal jedoch nicht die vollständige Wahrheit sagen, weil es das Versuchsziel in Frage stellen würde. Wir haben für solche Fälle mit der Ethikkommission ein Konzept ausgehandelt, das sich „autorisierte Täuschung“ nennt. Das heißt, der Proband stimmt zu, dass er nicht vollständig aufgeklärt wird. Damit haben wir die unvollständige Aufklärung legalisiert. Mit Patienten kann man das aber nicht machen.
Es gibt jedoch eine Ausnahme, die im Ermessen des einzelnen Arztes liegt, der einzig und allein darüber entscheidet, was das Beste für den Patienten ist. Das wäre der Fall, wenn der Arzt aus Sorge um die Gesundheit des Patienten beispielsweise ein Schmerzmittel gegen ein Placebo austauscht ohne es ihm zu sagen. Das wäre der einzige Ausweg aus diesem Dilemma aber dann müsste klar sein, dass diese Sorge tatsächlich besteht.

Was weiß man über die Wirkungsmechanismen von Placebos?


Paul Enck: Man hat im Prinzip verstanden, dass zum Beispiel Schmerz-Placebos wie Opiate wirken. Der Mechanismus der Schmerzhemmung, der durch endogene Opiate vermittelt wird, ist analog zu dem durch exogene Opiatgabe verursachten Effekt. Es werden die gleichen Hirnzentren aktiviert. Placebos machen im Prinzip nichts anderes als das, was Medikamente auch machen, nur nicht so nachhaltig und nicht so effizient. Der Wirkmechanismus hängt jedoch in jedem Fall von dem des Medikamentes ab und es ist unklar, ob es einen allen Placebowirkungen zugrunde liegenden gemeinsamen Mechanismus gibt.

Wie kann die Wirkung von Medikamenten durch Placebos nachgebildet werden?


Paul Enck: Ein zentraler Mechanismus, über den Placebos wirken, basiert auf der klassischen Pawlow’schen Konditionierung. Wenn sie siebenmal eine grüne Pille mit Wirkstoff genommen haben, dann ist sie beim achten Mal auch wirksam, wenn sie keinen Wirkstoff enthält. Hauptsache sie ist grün. Ein zweiter Wirkmechanismus läuft über Erwartungsreaktionen. Auch soziales Lernen durch Imitation wird diskutiert. Im Alltag wirken wahrscheinlich mehr oder weniger alle Mechanismen zusammen.

Welche Auswirkungen haben die Erkenntnisse aus der Placeboforschung auf den Einsatz als Kontrolle in klinischen Studien zur Medikamentenprüfung?


Paul Enck: Das wird heiß diskutiert. Es gibt drei Instanzen, die darüber entscheiden. Die Forscher sagen, dass die Medikamentenprüfungen ganz anders aussehen müssten. Die pharmazeutische Industrie sucht einen möglichst effizienten Weg und die Zulassungsbehörden legen fest, wie ein Medikament geprüft werden muss. Das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) ist wie die U.S. Food and Drug Administration (FDA) eine konservative, rigide Institution. Die halten an Regeln fest, die vor 30 oder 40 Jahren funktioniert haben und verschärfen sie teilweise noch. Alle Medikamentenprüfungen basieren auf der simplen Annahme, dass in der Medikamentengruppe der Placeboeffekt gleich groß ist wie in der Placebogruppe. Es gibt Dutzende Belege dafür, dass diese Annahme nicht immer stimmt.

Wo könnte die Anwendung von Placebos sinnvoll sein?


Paul Enck: Wir denken in Richtung der Wirkstoffsubstitution. Wenn man ein effizientes Medikament für eine bestimmte Zeit gibt und es dann durch ein Placebo substituiert, dann ist die Wirkung über den Konditionierungseffekt des Medikamentes weiter gegeben. Dafür gibt es inzwischen ein paar klinische Beispiele aus der Forschung zur Schuppenflechte (Psoriasis) und zur Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörung (ADHS). Wenn man unter bestimmten Bedingungen jede zweite oder dritte Medikamentengabe durch ein Placebo ersetzt, dann könnte man substanzielle Anteile an Medikamenten einsparen. Das könnte man dem Patienten sogar erklären.

 

 

Kai Krämer
Bilder (2): iStock/CrackerClips,
                privat



Letzte Änderungen: 04.03.2013