Editorial

Wissenschaft besser machen

Verstöße gegen die „gute wissenschaftliche Praxis“ scheinen gang und gebe. In einem Thesenpapier der Robert Bosch Stiftung zeigen Experten auf, welche Fehler womöglich im System liegen.

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(6. Juni 2011) Die Gesellschaft nimmt die Wissenschaft zuweilen anders wahr als diese sich selbst: Über Fälschungsskandale und unechte Doktoren weiß man außerhalb der wissenschaftlichen Community besser Bescheid als beispielsweise über die Schwierigkeiten an Forschungsgelder zu kommen oder ein Manuskript bei einem Journal unterzubringen. Für Forscher dagegen sind Publikationsflut und strategische Autorenschaft schier unabänderliche Zwänge, dagegen Grundfinanzierung, Zeit und transparente Forschung kaum erfüllbare Wünsche.

Damit die Wissenschaft das Vertrauen der Gesellschaft nicht verliert und die Qualität der Forschung gesichert bleibt, legt eine Gruppe von Wissenschaftlern und anderen Fachleuten in einem  Thesenpapier der Robert Bosch Stiftung eine „Entschleunigungsstrategie“ für das Wissenschaftssystem vor. Die Autoren, darunter auch Ulrike Beisiegel, Uni Göttingen, Gerhard Fröhlich, Uni Linz und Reinhard Jahn, Max-Planck-Institut für biophysikalische Chemie in Göttingen, entwarfen eine bessere Wissenschaftswelt in sieben Schritten:

Erstens: Unter der Vielzahl von Veröffentlichungen ist es, auch im eigenen Fach, oft nicht einfach relevante Forschung zu entdecken und genügend wahrzunehmen. Die Autoren wollen deshalb: Weniger Journale und weniger Publikationen, damit die Qualitätsbewertung von Forschung nur noch auf Grundlage sorgfältiger Arbeit geschieht.

Zweitens: Eine wissenschaftliche Einrichtung kann nicht wie ein Wirtschaftsunternehmen finanzielle Gewinne einfahren, ihr Profit ist nicht-materieller Natur. Um den Erkenntnisgewinn und dessen Wert für die Allgemeinheit zu unterstreichen, sollte eine verlässliche und dauerhafte Grundfinanzierung her.

Drittens: Weil der Forscher mit den meisten Publikationen nicht automatisch der Beste ist, genausowenig wie der, der die größten Erfolge bei der Einwerbung von Forschungsgeldern verspricht, schlagen die Autoren vor die Qualität der Forschung stärker zu berücksichtigen. Da die Zahl der Veröffentlichungen kein zulässiges Kriterium für Leistung ist, sollte der Forschungsinhalt bei einer Begutachtung mindestens genauso viel Gewicht haben.

Viertens: Die Autorenschaft gilt als „Währung der Wissenschaft“, die sich im Gewinn von Forschungsmitteln niederschlägt. Deshalb sollten nur Autoren auf einer wissenschaftlichen Publikation stehen, die inhaltlich zur Arbeit beigetragen haben. Strategische Autorenschaft sollte es nicht geben.

Fünftens: Die Autoren des Thesenpapiers sprechen sich dafür aus, dass Wissenschaftler ihre Drittmittelanträge selber schreiben. Denn im Wettbewerb um hohe Beträge greifen Forscher möglicherweise auf die Hilfe von Ghostwritern und Agenturen zurück, um mit einem professionellen Antrag größere Chancen auf die Förderung zu bekommen.

Sechstens: Kaum durchschaubare Experimente machen es nicht nur schwer Fehler zu entdecken, sondern ermöglichen es auch zu täuschen. Beides gefährdet die Substanz der Wissenschaft. Deshalb fordern die Autoren eine transparente Datenerhebung, auch und gerade weil die Technik immer weiter voranschreitet und der Wettbewerb immer härter wird. 

Siebtens: Zuletzt sprechen sich die Autoren für mehr Zeit zum Forschen und längere Projekte aus. Denn kurze Zeitverträge veranlassen Wissenschaftler dazu, nur in Kleinstprojekte zu investieren und häppchenweise zu publizieren, was wiederum nur zu begrenztem Gewinn an Wissen führt. Sie fordern vernünftige Laufzeiten für Verträge mit sinnvollem Zeitrahmen.

Ganz nach dem Konzept der „Entschleunigung“, ließen sich die 21 Autoren mit der Veröffentlichung ihrer Thesen gute anderthalb Jahre Zeit. Erarbeitet hatten sie alles schon im November 2009 beim vierten Berliner Wissenschaftsgespräch – noch bevor falsche Doktoren in aller Munde waren.

 

 

Valérie Labonté       

Bild: kallejipp / photocase.com



Letzte Änderungen: 04.03.2013